Rabatt für die Wohlhabenden
Energie- und Klimawochenschau: Christian Linders Gießkanne, Deutschlands steigende CO2-Emissionen, Chinas Sticheleien gegen den Petrodollar und die späte Liebe der Torries zur Windkraft
Das ganze Land stöhnt unter den hohen Energiepreisen, aber in der öffentlichen Wahrnehmung scheint es nur Autofahrer zu geben. Während derzeitig jährlich mehreren Hunderttausend [1] Haushalten der Strom abgestellt wird, dominieren in der öffentlichen Wahrnehmung die Nöte des Homo automobiles.
Mit dazu beigetragen hat sicherlich der Vorstoß des FDP-Chefs und Finanzministers Christian Lindner, der äußerst medienwirksam einen "Tankrabatt" [2] fordert.
Die Höhe ist noch unklar. Verschiedene Beträge zwischen 20 und 40 Cent pro Liter Kraftstoff sind im Gespräch. Noch diese Woche soll das Bundeskabinett ein Entlastungspaket für die Verbraucher schnüren, heißt es.
Man darf gespannt sein, ob es wirklich jenen helfen wird, die es am nötigsten haben. Instrumente wie der vorgeschlagene Tankrabatt oder auch die Absenkung der Mehrwertsteuer auf Kraftstoffe helfen jenen am meisten, die viel tanken.
Das sind jedoch nicht die Menschen mit den niedrigsten Einkommen, die oft gar kein Auto haben. Haushalte mit mehreren Pkw oder SUV-Fahrer, die einen besonders hohen spezifischen Kraftstoffverbrauch haben, werden bevorzugt.
Man könnte natürlich auch die Ticketkosten im öffentlichen Nahverkehr halbieren, wie es Neuseeland macht [3].
Damit wäre auch jenen geholfen, die aus den vielfältigsten Gründen kein Auto fahren können oder wollen oder auch Familien mit Kindern. Gleichzeitig wäre für Autofahrer ein Anreiz zum Umstieg geschaffen. Zugleich müsste natürlich insbesondere im ländlichen Raum das Bahn- und Busangebot erheblich verbessert werden.
Mehr Umverteilung
Die von der FDP vorgeschlagenen Maßnahmen laufen hingegen einmal mehr auf Umverteilung von unten nach oben hinaus. Eine Untersuchung [4] des Umweltbundesamtes aus dem vergangenen Jahr zeigt, wie mit dem Einkommen auch der Konsum der Haushalte und namentlich die Fahrleistung im privaten Pkw steigt.
Oder mit anderen Worten: Je mehr eine Person verdient, desto mehr fährt sie auch mit dem eigenen Auto und desto mehr Kraftstoff verbraucht sie, zumal die teuren, besonders viel Benzin oder Diesel schluckenden Wagen in sogenannten einkommensschwachen Haushalten kaum zu finden sein werden.
Nach den Plänen des Finanzministers soll dieser Personenkreis nun besonders begünstigt werden. Und da zugleich auch noch erheblich mehr Geld für die Rüstung ausgegeben werden soll und Pandemiefolgen zu verkraften sind, aber weiter keine Steuern auf Erbschaften, Vermögen oder ähnliches erhöht werden sollen, braucht es nicht einmal die Finger einer Hand, um auszurechnen, wo demnächst der Rotstift angesetzt werden wird.
Mehr Treibhausgase
Von sozialer Ausgewogenheit also weiter keine Spur und von Klimaschutz auch nicht. Es wäre ja auch zu schön gewesen. 2020 waren infolge der Corona-Pandemie die Kohlendioxid-Emissionen zurückgegangen, und zwar nicht unerheblich. Weltweit und auch in Deutschland.
Leider war von vornherein klar, dass es nicht dabei bleiben würde, dass mit der wirtschaftlichen Erholung auch die Emissionen dieses wichtigsten durch menschliche Aktivitäten verursachten Treibhausgases steigen würden.
Genauso ist es denn auch gekommen. In Deutschland nahm 2021 der Treibhausgas-Ausstoß um 4,5 Prozent [5] zu, woran die Energiewirtschaft den Löwenanteil hatte. Von 33 Millionen Tonnen CO2, die hierzulande im vergangenen Jahr mehr in die Luft geblasen wurden als ein Jahr zuvor, gingen 27 Millionen Tonne auf ihr Konto, was vor allem an der vermehrten Verbrennung von Kohle in den Kraftwerken lag.
Weltweit stiegen die mit dem Energie-Konsum verbundenen CO2-Emissionen auf ein bisher unerreichtes Niveau, berichtet [6] die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf die Internationale Energie Agentur IEA in Paris. 36,3 Milliarden Tonnen CO2 wurden demnach 2021 aus Verbrennungsmotoren, Kraftwerken und ähnlichem in die Luft geblasen.
Mit einem Plus von zwei Milliarden Tonnen wurde nicht nur das Minus aus dem Vorjahr mehr als wett gemacht, sondern zugleich der größte jährliche Anstieg in der Geschichte der globalen Industriegesellschaft verzeichnet, heißt es [7] bei der IEA.
Auch im globalen Maßstab ist vor allem Kohle, daneben aber auch Erdgas die Quelle des erneuten Anstiegs der Treibhausgase. CO2-Emissionen aus dem Verkehrssektor, das heißt aus der Verbrennung von Erdölprodukten, blieb hingegen 2021 unter dem Niveau von 2019. Das Transportwesen habe sich noch nicht wieder voll von den Pandemiefolgen erholt.
Das ist insofern bemerkenswert, als dass der in den letzten Monaten erheblich gestiegene Erdölpreis offenbar nicht mit einer entsprechend anziehenden Nachfrage korrespondiert.
Das könnte inzwischen auch einigen Marktteilnehmern aufgefallen zu sein, denn seit seinem Höchststand von letzter Woche hat der Ölpreis [8] innerhalb weniger Tage rund ein Sechstel verloren.
Man darf gespannt sein, ob Lindners "Tankrabatt" trotzdem kommt und eventuell den Handel ermuntert, sich mit der Weitergabe der sinkenden Großhandelspreise an den Verbraucher Zeit zu lassen.
Weniger Dollar
Hier und da gibt es derzeit mal wieder Anzeichen, dass die – befeuert durch die Konfrontation der Nato-Staaten und ihres Anhangs mit Russland – überragenden Position des US-Dollars ein wenig bröckelt. Vielleicht auch ein wenig mehr.
Die US-Währung hat diese Stellung als Quasi-Weltwährung, die der Regierung in Washington unter anderem ein wahres Kreditfüllhorn zu Niedrigstzinsen verschafft, nicht zuletzt, weil rund 80 Prozent des weltweiten Ölhandels in ihr abgerechnet wird.
Daran versuchen bereits seit Längerem einige zu kratzen. Nun berichtet [9] das New Yorker Wall Street Journal über Gespräche zwischen Riad und Beijing. Die beiden Regierungen verhandeln darüber, ob die Volksrepublik künftig ihr Öl in Saudi-Arabien mit chinesischen Yuan bezahlen kann.
In Beijing ist man ohnehin bemüht, die internationale Stellung der eigenen Währung zu verbessern. Zusätzlich lassen die US-Sanktionen gegen Iran und auch Russland Beijing nach sicheren Wegen der Energieversorgung suchen, auf die Washington keinen Zugriff hat.
Könnte da vielleicht demnächst das nächste despotische Regime [10] in westliche Ungnade fallen, so wie einst der lange vom Westen protegierte Saddam Hussein, dem die Bundesrepublik gar Giftgas-Anlagen für seinen Krieg gegen den Iran und die Kurden lieferte [11]? (Der Massenmord [12] im südkurdischen Halabdscha jährt sich am heutigen Mittwoch zum 34. Male.)
Doch woher beziehen wir dann noch Erdöl und -gas? Und wer sollte dann unsere Waffen für seine Kriege [13] kaufen?
Die Gespräche zwischen der chinesischen und saudi-arabischen Seite laufen allerdings bereits seit sechs Jahren, auch wenn das New Yorker Wirtschaftsblatt nun eine zunehmende Verärgerung in Riad gegenüber der US-Politik unter dem neuen Präsidenten ausgemacht haben will.
Der Schritt wäre dennoch für Saudi-Arabien, das seine Währung fest an den US-Dollar angebunden und wie viele andere Länder mit Handelsbilanzüberschüssen einen größeren Teil seines Vermögens in US-Anleihen geparkt hat, weder einfach noch unproblematisch.
Mehr Windenergie
Auch in Großbritannien hat derweil der Krieg in der Ukraine die Schwerpunkte in der Diskussion über die Energieversorgung drastisch verschoben. Die regierende Partei der Torries ist über Nacht zum glühenden Befürworter der Windenergie geworden, wie die britische Zeitung Guardian schreibt [14].
Bisher war das Vereinigte Königreich zwar weltweit führend beim Ausbau von Offshore-Windenergie, also Windrädern im flachen Küstenmeer. Doch an Land haben es entsprechende Projekte meist sehr schwer. Oft genug gehören die örtlichen Gliederungen der Konservativen zu den eifrigsten Gegnern.
Doch jetzt soll der Ausbau der Windenergie und Atomkraft zur Frage der nationalen Sicherheit werden. Während letztere aber sehr lange Planungs- und Bauzeit benötigt, könnten Windkraftanlagen sehr rasch errichtet werden, sollten die Genehmigungsverfahren wie angekündigt erleichtert werden. Laut Guardian wird aus den Reihen der Torries auch der Ruf laut, das Verbot von Fracking aufzuheben. Doch werde dem wenig Aussicht auf Erfolg eingeräumt.
Die konventionelle britische Gasförderung hatte ihren Höhepunkt [15] im Jahre 2000 erreicht und nimmt seitdem annähernd kontinuierlich ab. Inzwischen wird nicht einmal halb so viel wie zu den Hochzeiten der Förderung produziert.
Der Bedarf des Landes muss inzwischen zu gut einem Drittel durch Importe gedeckt werden. Russisches gas hat daran allerdings laut Guardian bisher nur einen Anteil von vier Prozent und soll künftig ganz unterbleiben.
Was sonst noch geschah
Noch über manches mehr könnte hier berichtet werden. Zum Beispiel, darüber, wie der russische Krieg gegen die Ukraine auch die jugendlichen Klimaschützer von Fridays for Future umtreibt. Der katarische Sender Al Jazeera hat dazu Arshak Makichyan befragt [16], das Gesicht von Friday for Future in Russland.
Auch über den Entwurf [17] für eine Novelle des Erneuerbare-Energie-Gesetzes müsste eigentlich mehr geschrieben werden. Seit Anfang März liegt eine erste Fassung aus dem Ministerium für Wirtschaft und Klimaschutz vor, der Referentenentwurf, und soll demnächst im Bundeskabinett verabschiedet werden. Unter anderem werden die Ausbauziele für Solar- und Windenergie deutlich erhöht.
Dann wäre noch über einen interkontinentalen Protest zu berichten: In Paris gingen am vergangenen Wochenende nach Veranstalterangaben [18] mehr als 32.000 Menschen auf die Straße, um gegen ein Pipelineprojekt [19] des französischen Erdölkonzerns Total zu demonstrieren.
Gemeinsam mit einem chinesischen Konzern plant das Unternehmen Erdöl knapp 1500 Kilometer aus dem Nordwesten Ugandas durch Tansania an dessen Küste zu pumpen. Doch in den betroffenen Ländern befürchtet man [20] die Verdrängung von Anwohnern und negative Auswirkung auf die dortige Umwelt.
Schließlich gibt es noch eine Meldung aus dem hohen Norden der Republik, aus Schleswig-Holstein. Dort will in Heide an der Westküste der schwedische Akku-Hersteller Northvolt ein neues Werk errichten. In der nun mehr dritten Fabrik [21] des Unternehmens sollen ab 2025 Lithium-Ionen-Akkus für Elektroautos hergestellt werden. Geplant ist eine maximale Jahresproduktion, die eine Million Pkw ausstatten kann.
Die bisherige Kapazität des Unternehmens würde damit um gut 50 Prozent erhöht. Das Unternehmen beliefert unter anderem VW, Volvo Cars, Scania und BMW. Der Standort sei ausgesucht worden, weil es vor Ort besonders viel "saubere Energie" gäbe.
Schleswig-Holstein hat nach offiziellen Angaben [22] derzeit Windkraftanlagen mit einer Leistung von 8.7 Gigawatt, die 2021 63 Prozent des zwischen den Meeren erzeugten Stroms eingespeist haben, womit rechnerische 160 Prozent [23]des dortigen Bedarfs gedeckt werden konnten.
Der größere Teil des Windstroms wird im nördlichsten Bundesland an der Nordseeküste erzeugt. Dessen große Verfügbarkeit hat sich somit für die ansonsten wirtschaftlich eher abgehängte Region somit zum Standortvorteil erwiesen.
Ein Wermutstropfen ist hingegen, dass, anders als die Unternehmensrhetorik suggeriert, der Abbau von Lithium keineswegs nachhaltig erfolgen kann, da der Rohstoff knapp, natürlich nicht regenerierbar und sein Abbau oft mit erheblichen Umweltproblemen [24] verbunden ist.
URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6550634
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/news/Tempo-100-und-weniger-Mehrwertsteuer-6545854.html
[2] https://www.tagesspiegel.de/politik/20-cent-tankrabatt-je-liter-regierung-prueft-deutlichen-nachlass-bei-spritpreisen/28159468.html
[3] https://www.theguardian.com/world/2022/mar/14/new-zealand-halves-public-transport-fares-as-petrol-prices-soar-amid-russia-ukraine-war?CMP=twt_a-world_b-gdnworld
[4] https://www.umweltbundesamt.de/daten/private-haushalte-konsum/strukturdaten-privater-haushalte/einkommen-konsum-energienutzung-emissionen-privater#konsumausgaben-der-privaten-haushalte-steigen
[5] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/treibhausgasemissionen-stiegen-2021-um-45-prozent
[6] https://www.reuters.com/business/energy/global-energy-related-carbon-emissions-rose-6-2021-new-record-high-iea-2022-03-08/
[7] https://www.iea.org/news/global-co2-emissions-rebounded-to-their-highest-level-in-history-in-2021
[8] https://www.finanzen.net/rohstoffe/oelpreis/chart
[9] https://www.wsj.com/articles/saudi-arabia-considers-accepting-yuan-instead-of-dollars-for-chinese-oil-sales-11647351541
[10] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/hinrichtungen-107.html
[11] https://www.spiegel.de/geschichte/giftgasangriff-auf-halabdscha-1988-a-951065.html
[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Giftgasangriff_auf_Halabdscha
[13] https://unric.org/de/150322-jemen/
[14] https://www.theguardian.com/environment/2022/mar/13/tories-plan-big-expansion-of-wind-farms-to-protect-national-security
[15] https://www.worldometers.info/gas/uk-natural-gas/
[16] https://www.aljazeera.com/features/2022/3/4/qa-with-moscows-protester-from-climate-change-to-ukraine-war
[17] https://www.energiezukunft.eu/politik/die-erste-eeg-novelle-der-neuen-regierung-im-entwurf/
[18] https://twitter.com/stopEACOP/status/1503655327497175043?s=20&t=EhPaIhduqrBFnh3KG6VIgw
[19] https://eacop.com/https://eacop.com/
[20] https://www.stopeacop.net/home
[21] https://northvolt.com/articles/northvolt-drei/
[22] https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/Themen/Energie/Windenergie/windenergie.html
[23] https://www.ee-sh.de/de/aktuelles/meldungen/20211216_Strom_aus_EE.php
[24] https://www.ee-sh.de/de/aktuelles/meldungen/20211216_Strom_aus_EE.php
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