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Radio Dylan

Bob Dylan wird 70. Ein Geburtstagsständchen mit Musik aus einem Studio im Keller

Als Bob Dylan 40 wurde, klang er auch schon wie 70

Es war interessant, mit ihm in einem kleinen Rundfunk-Studio zusammen zu sitzen. An einem kalten Abend, unten in einem subterranen Studio, im Broadcasting House in Wellington, New Zealand. Aber es war nur ein Spiel zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Es war eine kleine Radio-Phantasie.

Damals, vor 30 Jahren, produzierte ich eine ganze Reihe von Radio-Features. Es war nur natürlich, auch ein Programm zu Dylans 40. Geburtstag anzupeilen. Aber was sollte ich über ihn bringen? Mark Knopfler hatte auf Dylans Slow Train Coming ein paar von seinen typischen Gitarren-Licks geparkt gehabt, aber im Vergleich zu jener ersten Dire Straits-Scheibe, Sultans of Swing, die mehr als nur ein bisschen wie eine Neuauflage von Dylan aus seiner besten Zeit klang, wirkte Dylan selber schon ziemlich bedient. Auf This Was My Love, einer Aufnahme von Dylan mit Dire Straits, die es erst später auf einem Bootleg [1] zu hören gab, klang der Kettenraucher Dylan bereits wie 70. Dabei war er hier noch nicht mal 40 gewesen.

Zwei der besten und erfolgreichsten Dylan Raubpressungen, "Great White Wonder" und "Royal Albert Hall". Erst Jahre bzw. Jahrzehnte später gab es das Material, wenigstens teilweise, auch auf legalen Platten- bzw CD-Ausgaben zu hören.

Zufällig hatte ich aber eine ganze Reihe von inoffiziellen Scheiben mit Songs aus Dylans Frühzeit. Es waren Aufnahmen, die heute (zum Großteil) legitim, z. B. auch auf Dylans offizieller Bootleg-Serie, erschienen sind. Freilich sind die Platten selbst (als Objekte) unter den Titeln und in dem Erscheinungsbild, wie sie damals herauskamen, heute verschwunden. Neben Aufnahmen mit verschiedenen Band-Formationen war Dylan dort auch zu hören, wie er, nur mit Gitarre und Mundharmonika, in einem kleinen Studio saß und eine ganze Menge unbekannte Songs herunterhaspelte. Zuweilen hörte man zu Beginn eines Tracks die schwere Studiotür zufallen, dann wieder sagte Dylan ein paar Worte am Anfang, oder er hustete, oder er verschrammelte sich auf der Gitarre, oder er sagte am Schluss Dinge wie: "Ich hab da in der Mitte ein paar Verse ausgelassen, an die ich mich jetzt nicht mehr erinnern konnte. Ich schreib sie dir nachher auf, wenn du willst."

Es war eindeutig ein junger Dylan von knapp über 20, der da sprach und sang, aber die Idee reizte mich, aus diesen Aufnahmen irgendwie einen Studio-Termin mit ihm zu basteln. Ich würde rundherum ein wenig Text sprechen, Sachen wie, "Okay, ich lass dich dann mal hier im Studio allein, und du machst die Aufnahme." Dann würde man die schwere Tür hören, wie sie "RUMMS!" macht, und Bob singt seinen Song. Und so weiter. Natürlich musste ich erstmal jemanden beim neuseeländischen Rundfunk finden, der die Idee mit einem "Okay" abstempeln würde. Und da der junge Dylan hier keineswegs wie 40 klang, musste ich auch die Idee schubladisieren, das Feature als Geburtstags-Überraschung zu deklarieren. Es würde ein ganz unmotivierter Besuch des Großen Bob bei Radio New Zealand im windigen Wellington werden, nichts weiter, und wenn die Zuhörer eine knappe Stunde lang gerätselt hätten, wie das alles wohl sein könnte, und ob da der echte Bob oder ein Imitator zugange wäre, würde dann zum Schluss eine ganz normale Radiostimme das Ganze als eine kleine Radio-Phantasie deklarieren. "But we can always dream, can’t we?" - Und so machten wir’s dann auch.

Dort, wo einst das Gebäude Nachdem der größte Sendesaal in der Südhemisphäre, der ein ganzes Symphonie-Orchester beherbergen konnte, dazu verschiedene Sechzigerjahre 4-Spur-Aufnahmegeräte wie aus dem Abbey Road Studio, Mischpulte, eine Schallplattenpresse und dergleichen mehr, niedergerissen, auf den Müll gekarrt oder (tatsächlich!) im Meer versenkt worden waren, wurde erwogen, das im Hintergrund sichtbare Parlamentsgebäude (den "Bienenstock") um 25 Meter auf das nunmehr freigewordene Gelände zu verschieben. Eine Schnapsidee, die man aufgeben musste. Die Zerstörung des Staatsrundfunks zugunsten des privaten Kommerz-Radios schreitet unterdessen zügig voran, soeben kommen die letzten im öffentlichen Eigentum befindlichen Konzertflügel des Senders (ein 74er Bösendorfer und ein 85er Steinway) unter den Hammer. des neuseeländischen Rundfunks stand, befindet sich heute ein wellenförmig verlaufender Park mit drei Statuen, die bis in die kleinsten Details (Konstruktion aus Schwämmen bei Carl Barks; in Wellington: Styroporziegel, verkleidet mit japanische Importstein) an Kunstwerke aus Entenhausen [2] erinnern. Bild: Appleton

Ich denke mit einer gewissen Wehmut zurück an dieses Dylan-Feature, und an das alte Gebäude [3] des neuseeländischen Rundfunks, in dessen weitläufigen unterirdischen Fluren ich mehr als einmal ganz unvermittelt dem damaligen Premierminister Robert Muldoon begegnet bin, einem kleinen Mann, der von weit her auf mich zukam und trotzdem, auch beim Näherkommen, kaum größer wurde. Es gab einen Sendesaal, ausgerüstet mit einem Steinway Flügel von den Ausmaßen einer Limousine, es gab unzählige kleine Aufnahme-Studios mit jeder Menge Tontechnikern. Und es gab auch, bei aller konservativen Grundeinstellung (denn das Zeitalter des Dampfradios war hier noch nicht völlig vergangen) den Mut und die Bereitschaft, mit dem Medium Radio zu spielen, und sich ein bisschen was zu trauen. Mein Dylan-Programm wurde übrigens nicht aufgehoben. Nach dem Sendetermin hat man das Band gelöscht, um es später wieder für andere Aufnahmen zur verwenden.

Zehn Jahre später, Anfang der Neunziger, wandelte ich, als freiberufliche Radiostimme, immer wieder mal in Wien durch das riesige Radiogebäude des ORF an der Argentinierstraße. Es war dies der österreichische Staats-Rundfunk, eine Anstalt mit mehreren tausend Beschäftigten, das Gebäude enthielt also mindestens einen Sendesaal, Studios, eine gigantische Kantine, Redaktionsstuben, und mehr. Hier produzierte (beim Populärsender Ö3) Wolfgang Kos eine Sendung, das Pop-Museum. Bei der es darum ging, die Geschichte und Entwicklung der einen oder anderen Band oder eines Musikers über längere Zeiträume zurück zu verfolgen. Beim ORF war man allerdings nicht glücklich mit der Idee, auch mal einen Bootleg zu spielen. Wolfgang Kos hielt sich daher streng ausschließlich an das legal veröffentlichte Material, was in den Neunzigern zusehends eine verwaschenere Kategorie bildete. Wenn eine CD "legal" in Italien erschienen war, konnte sie in Österreich immer noch eine Bootleg sein.

Wir (er und ich) machten zweimal, jeweils im Abstand eines Jahres, eine sehr zurückhaltende Show über die Beatles, bei der ich als der Musik-Experte auftrat, der ein paar Raubdrucke von Beatles-Platten mitgebracht hatte. Mein Argument war, dass wir die Tagebücher und Briefe eines Franz Kafka ebenso als sein Werk betrachteten wie seine Romane und Stories. Wir sollten also auch die Vorstudien der Beatles zu ihren Songs hören dürfen. Dass sie noch nicht offiziell erschienen seien, ändere an ihrem Status wenig. Aller Wahrscheinlichkeit nach würden sie in 50 Jahren einmal offiziell erscheinen. Wir griffen also nur der Geschichte vor, indem wir rein interessehalber im Rahmen dieses Programms einmal in den einen oder anderen Song hinein horchten.

Wolfgang Kos vertrat dagegen die Ansicht, der Künstler habe das Recht, sein Werk in der finalen Fassung, in der er es abgeliefert hätte, zu Gehör zu bringen, und alle unautorisierten Versionen zu unterdrücken. Trotzdem spielten wir natürlich ein paar Beatles-Songs, wenn auch, anders als sonst, nicht ohne ein wenig oben drüber zu quatschen, um den "Tonbandfreunden", die ja auf das Pop Museum besonders abonniert waren, in diesem Fall den Spaß ein wenig zu vergällen. Ein Dylan-Programm, wie das, was ich beim neuseeländischen Rundfunk gebastelt hatte, wäre beim ORF undenkbar gewesen.

Dylans Stunde im Radio

Wieder etliche Jahre später - machte Dylan auf einmal selber eine Radio Show, in Amerika. Bob Dylan’s Theme Time Radio Hour, so der komplette Titel, begann im Mai 2006, und endete zum Ende April diesen Jahres, also nach fünf Jahren, wobei die letzten beiden Jahre mit Wiederholungen von Sendungen aus den ersten drei Jahren angefüllt waren. Es war eine einstündige, wöchentlich einmal ausgestrahlte Rundfunk-Serie, bei der "Bob Dylan" verschiedene Songs, jeweils zu einem zentralen Thema, etwa "Katzen" oder "Kaffee", präsentierte und dazu allerlei Schmankerln von sich gab. Ich setze "Bob Dylan" hier in Anführungsstrichelchen, weil Dylan quasi nur den Part des Sprechers in diesem Programm mimte, also die Rolle eines Disk-Jockeys aus längst vergangenen Radio-Zeiten - spielte, nachahmte, zum Besten gab. Ungefähr so, als wäre die Zeit in ein Parallel-Universum abgerutscht, in dem es für immer 1956 ist. Eine "Show" - nur eben: nicht gefilmt, nicht im Fernsehen dargeboten, aber dennoch durch und durch gescriptet, wie ein Hörspiel, im Radio.

Ich fragte Wolfgang Kos, den Erfinder des Pop Museums, was er denn von dieser Sendung hielte. Er schrieb mir:

Hallo, ich habe 2 Folgen gehört, die erste über s Wetter und jene über Tabak. Mir hat's sehr gut gefallen, wenn auch nicht immer leicht verständlich. Aber das war ja mit den Songs auch immer so. Was mir gefällt ist, dass es zwar sehr persönlich und auch ein wenig exzentrisch ist, Dylan aber seine Hörer sehr ernst nimmt, also nicht als Star auftritt, sondern als "Dienstleister", der auch Fachinformationen gibt und etwas tut, was jeder gute Moderator tun sollte: eine suggestive Stimmung aufbauen, Hörer an einen anderen Ort führen, wo diese wohl noch niemals waren. Kurzum: ein sehr profunder Museumskurator, der nie in die Versuchung kommt, die eigene Bio in den Vordergrund zu schieben. Ziemlich seriös und penibel in der Stückauswahl, die nicht wirklich überrascht, weil sie jenes "prämoderne" Feld absteckt, mit dem sich Dylan seit Jahrzehnten "verwandt" fühlt. Ein bissl wie der Soundtrack zum Text, den er einst für eine der beiden Blues-Coverversionen-CDs geschrieben hat. Und ein weiterer Beleg dafür, dass bei Dylan Sprechen und Singen nicht wirklich voneinander zu trennen sind. Die Show hat Melodie und Rhythmus, knurrende Zwischenstücke und sehr poetische Momente. Kurzum: back to "Radio Days", aber ohne die Nostalgie eines Woody Allen. Grüße, Wolfgang Kos

Das war eine durchaus freundliche Sicht der Dinge. Aber mir schien, vielleicht, weil ich selber eine eher verspielte Herangehensweise zu den Medien pflege, dass Wolfgang Kos das Quasi-Ironische, das Theatralische dieser Radio-Show "überhört" hatte. Die Nostalgie war es ja gerade gewesen, die Woody Allens "Radio Days" so hinreißend gemacht hatte. Woody Allen dazu, in einem unlängst veröffentlichten Interview:

I loved radio. Cos that was all we had, when I was a kid. And, you know, it was a great thing to be able to come home and just >click< turn the dial, and you had your dinner or lay down in bed and listened to things - you know, things, that I have heard since, in retrospect, now - they were so awful, and so moronic, and terrible - but at the time, they just were charismatic to me, they made my life.

Der Unterschied zwischen - einerseits, Wolfgang Kos’ eigenem Pop Museum oder beispielsweise Rob Bambergers Hot Jazz Saturday Night, einer Sendung [4], bei der Bamberger seiner persönlichen Leidenschaft frönt und seit 30 Jahren einmal pro Woche auf VOA alte Jazz-Platten aus den 20er, 30er, 40er Jahren präsentiert, oder einer ähnlichen Sendung des als Österreichische "Radiolegende" titulierten Günther Schifter, der seine ausgedehnte Schellack-Platten-Sammlung unter dem Motto "Hauptsache, es swingt" regelmäßig im ORF zu Gehör brachte - und, andererseits, Dylans TTRH [5] (wie die Show tatsächlich abgekürzt bezeichnet wird) - ist der, dass Dylan eben NICHT sein eigenes Programm macht.

Dabei ist unser Interesse als Zuhörer (bei Kos oder Bamberger) in erster Linie auf die Dinge gerichtet, die wir über die Musik und die Musiker erfahren. Selbst wenn die Moderatoren persönlich dem einen oder anderen großen Namen begegnet sind, unser Interesse richtet sich immer auf die Dienstleistung, die Informationsvermittlung. Wenn Kos oder Bamberger einen Text verlesen würden, der von einem Team von Mitarbeitern statt von ihnen selbst geschrieben worden wäre - es wäre okay. Die Nachrichtensprecher verlesen auch nicht ihre eigenen Texte. Aber bei Bob Dylan richtet sich das Interesse primär auf den Menschen und Künstler Dylan selbst. Wie bei, sagen wir - Salvador Dali. Nur dass in diesem Fall "Dali" gewissermaßen seinen Schnurrbart abrasiert hat und in die Rolle eines Ernst Gombrich [6] schlüpft.

Etwa so, als hätte Dali im Fernsehen eine Kunst-Sendung mit 100 Folgen gemacht, bei der er kein einziges Mal über seine eigenen schmelzenden Uhren spricht. Wenn ein Mann wie Bob Dylan, der als einer der größten Künstler des 20. Jahrhunderts gilt, mehrere Jahre lang einen wöchentlichen Radio-Termin wahrnimmt (immerhin, insgesamt 100 mal) fragt man sich: Welche Auskunft wird er über sich und sein Werk erteilen? Dylan hat hunderte andere namhafte Sänger und Musiker in aller Welt nur durch die Kraft seiner Songs dazu bewegt, ihrerseits eine ganze Scheibe mit Dylan-Songs aufzunehmen, und etliche Tausend andere haben (wenigstens einmal) einen Song von ihm gecovert. Man könnte sich also leicht vorstellen, dass Dylan in jeder Sendung wenigstens einen Song vorstellt, den er geschrieben hat, und der von einem anderen Künstler gecovert wurde - All Along the Watchtower von Jimi Hendrix, It’s All Over Now, Baby Blue von Van Morrison, oder Tomorrow Is A Long Time von Elvis Presley.

Zahllose andere Formate wären ebenso gut vorstellbar gewesen. Stattdessen entschloss man sich, Dylan jeweils eine Reihe (meistens: alter) Songs zu fast beliebigen Themen [7]

vorstellen zu lassen. Themen, die sich mehr oder weniger jeweils mit einem einzigen Wort umschreiben ließen, "Geld", "Blut", "Kälte", "Hitze", "Party", "Träume", "Cadillac", "Hallo", "Haare", "Weihnachten", "Mond", "Hunde", "Augen", "Teufel", "Autos", "Blumen", "Sommer", "Scheidung", und so weiter. Ich frage mich dabei: Bin nur ich es, dem dieses Konzept als irgendwie nach "Bild", "Zeitung" schmeckt? Ich betrachte es als eine Art amerikanisches Dumm-Radio, eine Serienproduktion mit einem in jeder Folge fast identischen Mix aus Country und Blues, angereichert mit ein paar weiteren ollen Kamellen aus den Bereichen Jazz, Bluegrass, Folk und Pop. Diese Musik hat mit dem, was Dylan selber geschrieben hat und was von ihm in über Tausend Studio-und Bootleg-Alben verbreitet ist, so gut wie gar keine Berührungspunkte, finde ich.

Aus kaum einer dieser Aufnahmen erschließt sich mir irgendeine Einsicht in Dylans Vorlieben oder musikalische Einflüsse. Gewiss, es gibt eine Vier-CD Box mit alten Blues und Folk-Songs, die Dylan sich angeeignet, nachgespielt oder abgewandelt hat, erhältlich u.a. bei Amazon. Aber in Dylans themengebundener Sendung sind gerade diese Songs nicht zu hören. Tatsächlich stammen die Platten, die auf TTRH gespielt werden, nicht einmal aus Dylans eigenen Beständen, sondern aus der Sammlung des TTRH-Produzenten, Eddie Gorodetsky [8].

Wenn Dylans Radio Show also so gut wie gar nichts mit ihm selber zu tun hat, und sogar seinen Namen eigentlich nur zum Schein im Schilde führt, ist dann das Ganze - ein Theaterstück? Ein Verwirrspiel?

Aber wozu das alles? Nur um den Maskenball mit Dylans aufgesetzten Identitäten um eine weitere Nuance zu bereichern? In der Tat könnte ich in jedem größeren Musik-Geschäft in jeder Stadt der Welt in direkter Linie in die Oldies-Abteilung wandern und praktisch das gesamte Programm der TTRH-Show auf verschiedenen problemlos erhältlichen CDs erwerben, ohne die Herren Dylan oder Gorodetsky eigens zu bemühen. Die Show ist daher, wie ich meine, nichts weiter als ein sorgfältig arrangiertes Audio-Theater, vorgeführt vom "Host" ("Gastgeber", d. h., Moderator) Bob Dylan. Es ist klar, dass ein Programm mit dem Titel Eddie Gorodetskys Theme Time Radio Hour kaum Chancen gehabt hätte, den Äther Amerikas zu erobern, oder bestenfalls die Chancen eines Garrison Keillor [9], Amerikas bekanntester "Radio Personality". Und Keillor hat auch schon fast 40 Jahre an seiner Karriere gebastelt.

So erfüllte Bob Dylan hier eine klare Funktion. Er ist der "Star" der Show, der Verkäufer, der Verkaufsmagnet, auch wenn er sich im Gestus nüchtern, informativ, bescheiden gibt. Ob die DJs damals, in den "Radio Days", wie sie von Woody Allen in seinem gleichnamigen Film nostalgisch beschworen wurden, wirklich so leise mit Abblendlicht durch die Nacht fuhren, wie Dylan es hier tut, bezweifele ich. Alle Radiosprecher Amerikas, die ich aus historischen Aufnahmen kenne, kamen eher vollmundig, großsprecherisch, um nicht zu sagen, marktschreierisch daher, und keiner von ihnen hätte seine Zuhörer mit irgendwelchen Details aus dem Erdkundeunterricht belämmert, wie Dylan es tut, wenn er beispielsweise sehr ernsthaft erklärt, dass es ein Land in Südamerika gäbe, in dem nicht Spanisch gesprochen wird. Und das wäre Brasilien, dessen Sprache Portugiesisch sei.

Die Show ist also eine leise Publikumsverarschung, mit mildem Humor, wenn man dafür ein Ohr hat, und zugleich auch - (wenngleich im engen Korsett aller amerikanischen Radio- und TV-Sender, die sich unter den Zwängen von Kommerz und Ideologie kaum einmal einen kleinen unabhängigen Schnaufer leisten können) - eine Geste gegen die Lieblosigkeit, die Geist-und Herzlosigkeit der Top-40-Radio-Formate, die selbst das bescheidenste Bewusstsein amerikanischer Musik/Geschichte niedertreten, auslöschen. Sehnsucht nach den Radio Days früherer Zeiten? Ja, aber nach jenen der nostalgischen Verklärung. Genauer gesagt, ist die romantische Verklärung natürlich auch nur eine Augenauswischerei, wenn man sich die 530-Millionen-Dollar Anleihen [10] der Firma betrachtet, bei der Dylan hier in Lohn und Brot stand.

Heute, ohne Dylan, stellt sich Sirius (= "serious" = "ernsthaft") als ziemlich normaler Kommerz-Sender [11] dar. Aber pfui, wer da meint, "seine Bobheit" hätte dies alles nur um des schnöden Mammons willen gemacht. Amerika, dessen gesellschaftliches Gedächtnis bereits durch eine Abart der Warholschen 15-Minuten-Berühmtheit geprägt ist, der 15-Minuten-Instant-Amnesie, bedarf solcher Shows, um sich ein wenig historisches Profil zu erhalten und ein wenig neuen Tiefgang zu erschürfen. Kein Wunder, dass jedes Bob-Wort der TTRH in ausführlichen Internet-Diskussionen [12] hin-und-her gedreht und auf seinen tieferen Gehalt abgeklopft wurde.

Dylan wandelt sich demnach, auf seine alten Tage, zu einer Art nationalem Guru, einem Noam Chomsky fürs einfache Volk, oder einem Weisen aus "Springfield", jenem "Entenhausen" der Simpsons, das viele Amerikaner heute bereits als ihr "mythologisches Zuhause" betrachten.

Dylan wird 70

Spät, erst jetzt, im Vorfeld zu seinem 70. Geburtstag (am 24. Mai) hat sich auch in der amerikanischen Radio-Landschaft so etwas wie ein Themen-Schwerpunkt "Dylan" herausgeschält. Eine ganz ähnliche Handschrift wie jene des Teams von gut 20 Mitarbeitern, die das Format von TTRH prägten, lässt sich nun auch wieder=erkennbar an einem Vierersatz von jeweils knapp eine Stunde währenden Einzelprogrammen ausmachen, die, unter dem lapidaren Titel "Dylan", des Meisters Karriere in vier soliden Blöcken abfeiern. Präsentatorin dieser Serie ist - nein, nicht Joan Baez, wie man leicht meinen könnte - sondern Patti Smith [13], die New Yorker Punk-Lyrikerin und Rock-Röhre.

Was hat nun Patti Smith [14], was Joan Baez nicht hat? "Es nötig" - ist nicht unbedingt die richtige Antwort. Eher besitzt Patti Smith noch echte "Street Cred", Glaubwürdigkeit auf der Straße, sie ist "cool", wo Joan Baez heute wohl eher an Hildegard Knef erinnert. (Was ein Freund von mir so umschrieb: "Einerseits heiß, andererseits auch so’n bisschen wie meine Oma.") Patti Smith [15] hat da ein anderes Timbre und Tempo, sie klingt, als ob sie einen ihrer eigenen Texte hinrotzt, fast als wäre der ganze Satz nur ein einziges Wort, wenn sie sagt: "I’m Patti Smith and you’re listening to Bob Dylan Shoulder from the Storm." So sagt sie das wirklich, "shoulder" statt "shelter", sie liest den Text ab, und wenn sie sich verliest, dann lässt sie es dabei bewenden. Das Ganze ist natürlich trotzdem eine Hagiographie, eine Heiligengeschichte. Dann treten verschiedene Leute auf, die irgendwann mal mit Dylan zusammengetroffen sind, und liefern ihre kurzen Wortspenden ab. Dazwischen fügen sich die kurzen Musikzitate ein, denn in voller Länge lässt sich in diesem Rahmen kaum ein Song von Dylan bringen. Und länger als eine Minute dürfen die Sprechbeiträge auch nicht dauern. (Wie anders würde so ein Programm ausfallen, denke ich mir dazu, wenn es von der BBC käme!) Aber hier geht alles zack-zack, das flotte Tempo täuscht ein wenig über die mangelnde Substanz hinweg. Im Grunde ist es Radio zum Weghören. Und alle paar Minuten kommt irgendeine Werbung. Die entgeht einem zum Glück, wenn man sich die Programme aus dem Internet runterlädt.

Nachdem ich vorhin Salvador Dali ins Spiel gebracht habe, finde ich es interessant, wie die Dylan-Geschichte bei Patti Smith ausklingt. Mit einem langen Rap über Pablo Picasso. Dazu John Cohen [16], von den New Lost City Ramblers einer frühen Folk-Gruppe, die auch den jungen Dylan beflügelt hat:

In retrospect, those of us who knew him from the very outset and then watched him over the years, it’s been quite a thrilling ride. But to watch him go through all these phases and watch his thinking change and to see him keeping on creating songs - new songs and powerful stuff - it must have been like that in Paris when Picasso hit town. You know, here’s Picasso, picking up on what everybody else was doing, and stealing from them, left and right, and then watching his star go up - but to watch Picasso’s long career of endless creativity, it kind of reminds me of what it’s been like to watch Bob’s whole career over all these years, and his moving into being a born again Christian, which he never was born into, and then, you know, going off to Israel, and then writing all these love songs. He must have been in love an awful lot of times, or maybe he just using that as a form for his songwriting. I mean, that guy must have more - I wonder if anybody’s ever counted up the number of love affairs that are in his songs [lacht]. Is it possible to have that many in life - in one person’s life? Anyhow, it’s been wonderful to watch that, knowing all the while that deep underneath it somewhere he’s got a family - and kids - and grandkids…

An dieser Stelle fiel Patti Smith dann nichts weiter ein, als sich rasch zu vertschüssen: "I’m Patti Smith and thanks for listenin’."

Ich für meinen Teil kann mit Dylans zusehends melancholischerem Alterswerk leben, aber wirklich interessant bleibt das Werk seiner jungen Jahre, das uns in diesen Tagen in einer Vielzahl von Widerspiegelungen vorliegt. So in den Filmaufnahmen aus seinen Auftritten beim Newport Folk Festival, 1963, 64, 65, deren Bildersprache, weit über die bloßen Tondokumente hinaus, aufschlussreich ist. Es gibt, auf einer DVD-Beilage zum Album Together Through Life, ein Interview mit Joe Silver, Dylans erstem Manager, einem Mann, dessen Mimik in fast jeder Sekunde an die eines Groucho Marx erinnert, bis er zuletzt den Text von Blowing in the Wind vorliest, eines Songs, dem er zum Welt-Hit verhalf, und den er immer noch, zutiefst berührt, als den besten Song betrachtet, der je geschrieben wurde. Es gibt etliche, fast schon beliebige Aufnahmen von Live-Auftritten aus Dylans Frühzeit, darunter das eben erst wiederentdeckte Konzert an der Brandeis University, 1963.

Für immer jung: Live Aufnahmen aus Dylans Frühzeit.

Und schließlich gibt es nun die Witmark Demos, 1962-64, legal zu kaufen, jene Aufnahmen, von denen auch ich einst einige im Radio zu einer trompe l’oeil-Sendung versammelte. Mittlerweile könnte man einen solchen Geburtstagskuchen nicht mehr backen, weil niemand den Siebzigjährigen von heute noch mal mit dem Zwanzigjährigen von damals verwechseln würde, und auch ich bin älter geworden. Aber es ist schön, dass diese Sachen jetzt erscheinen. Denn so klingt Dylan auch weiterhin, im fortgeschrittenen Alter ... forever young ...


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Links in diesem Artikel:
[1] http://de.wikipedia.org/wiki/Bootleg
[2] http://disneycomics.free.fr/Ducks/Barks/show.php?s=date&loc=1957/W_WDC_196-02
[3] http://www.flickr.com/photos/nzbroadcasting/5656328934/
[4] http://wamu.org/programs/hjsn/
[5] http://en.wikipedia.org/wiki/Theme_Time_Radio_Hour
[6] http://de.wikipedia.org/wiki/Ernst_Gombrich
[7] http://www.captaincrawl.com/index.php?pos=20&S1=TTRH
[8] http://en.wikipedia.org/wiki/Eddie_Gorodetsky
[9] http://en.wikipedia.org/wiki/Garrison_Keillor
[10] http://dealbook.nytimes.com/2009/02/18/parsing-sirius-xms-form-8-k-siriuss-last-chance/
[11] http://www.siriusxm.com/hits1?ch=2
[12] http://www.iorr.org/talk/read.php?1,976744,page=2
[13] http://www.altmanphoto.com/keithpattiandbob.JPG
[14] http://dailydoseofdylan.tumblr.com/post/167079542/patti-smith-and-bob-dylan
[15] http://www.postmodern.com/~fi/pattipics/htm/beacon95.htm
[16] http://www.johncohenworks.com/music/ramblers.html