Raketen-Terror in der Ukraine: Ist der Russe immer Schuld?
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Kostjantyniwka: Nach dem blutigen Zwischenfall wurde im Westen Russland beschuldigt. Nun stellt sich die Lage anders dar. Doch Brüssel und Berlin werfen neue Fragen auf.
Nach einem der blutigsten Zwischenfälle im Ukraine-Krieg zeigen weder die Europäische Union noch die Bundesregierung Interesse an der Aufklärung eines möglichen Kriegsverbrechens. Das geht aus einer Antwort des Europäischen Auswärtigen Dienstes an Telepolis und Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes zu einem Raketeneinschlag in der ostukrainischen Stadt Kostjantyniwka hervor.
Am 6. September war ein Geschoss auf dem belebten Marktplatz der Stadt eingeschlagen. 16 Menschen waren sofort tot, mehrere Dutzend wurden zum Teil schwer verletzt.
Wie Telepolis unter Berufung auf ein internes EU-Protokoll berichtete, machte der Europäische Auswärtige Dienst bei einem Treffen in Brüssel am folgenden Tag die russische Seite für den blutigen Zwischenfall verantwortlich. Das Thema war dort im Kontext der Dokumentation und möglichen strafrechtlichen Verfolgung russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine angesprochen worden.
Heikel an der Sache: Eine Recherche der New York Times legt inzwischen nahe, dass die Rakete von ukrainischen Einheiten abgeschossen wurde. Vertreter der ukrainischen Armee und Regierung bestreiten diese These vehement. Unabhängige Untersuchungen haben bisher nicht stattgefunden und sind auch nicht in Sicht.
Auf eine Frage von Florian Warweg vom Portal Nachdenkseiten antwortete Außenamtssprecher Christian Wagner in der letzten Regierungspressekonferenz auf die Frage nach der Verantwortung für den Tod von mehr als einem Dutzend Zivilisten:
Russland hat die Ukraine angegriffen. Russland hat allein in dieser Woche wieder mit vielen Angriffen zivile Ziele in der Ukraine getroffen, Drohnen, die auf Wohnhäuser gingen etc. (…) Die Ukraine hat ja auf diese Berichterstattung reagiert und eine Ermittlung angekündigt. Wir würden jetzt einmal die Ergebnisse dieser Ermittlung abwarten.
Auf die Nachfrage Warwegs, weshalb das Auswärtige Amt nun die Ergebnisse von Ermittlungen abwarten wolle, unmittelbar nach dem blutigen Zwischenfall aber bereits die russische Armee in Verantwortung gesehen hat, wiederholte Wagner:
Die Ukraine hat auf diesen Medienbericht reagiert und eine Ermittlung angekündigt. Dabei wird sich dann herausstellen, ob es sich in diesem konkreten Fall um einen Angriff Russlands oder um einen tragischen Unfall gehandelt hat. Diese Ermittlungen werden wir jetzt abwarten.
Ein ähnliches Muster ist auf der Ebene der Europäischen Union zu beobachten. Dort hatte der Europäische Auswärtige Dienst (EAD) bereits einen Tag nach dem Vorfall in einer geschlossenen Sitzung die russische Seite beschuldigt.
Nach Veröffentlichung der Recherchen der New York Times verwies der Leitende Sprecher des EAD für Außen- und Sicherheitspolitik, Peter Stano, auf Anfrage von Telepolis auf eine Stellungnahme, die ebenfalls von einem vorsätzlichen Angriff Russlands ausgeht. Dort heißt es weiter:
"Russland terrorisiert weiterhin die Zivilbevölkerung in der Ukraine. Der heutige abscheuliche und barbarische Raketenangriff auf einen Markt in Kostjantyniwka in der Region Donezk hat mindestens 16 Menschen, darunter ein Kind, getötet und Dutzende verletzt. (...) Vorsätzliche Angriffe auf Zivilisten sind Kriegsverbrechen. Alle Befehlshaber, Täter und Komplizen dieser Gräueltaten werden zur Rechenschaft gezogen."
Auf Nachfrage von Telepolis ging Stano nicht weiter auf die Erkenntnisse der New York Times ein und beharrte weiterhin grundsätzlich auf der russischen Verantwortung. Seine Argumentation:
Es ist notwendig, sich daran zu erinnern, dass keiner der Angriffe und Zerstörungen, weder in Kostjantyniwka noch an anderen Orten in der Ukraine und in diesem Zusammenhang auch in Russland, ohne den Beginn von Putins Aggression gegen die Ukraine stattgefunden hätte. Die Ukraine führt einen legitimen Verteidigungskrieg gegen eine eklatante Verletzung der UN-Charta und einen Angriff auf ihre territoriale Integrität und Souveränität.
Im Zuge seiner Aggression hat Russland zahllose Gräueltaten begangen, die Kriegsverbrechen gleichkommen (Angriffe auf Zivilisten, zivile Infrastruktur, Häfen, das Stromnetz, Folter von Kriegsgefangenen, Entführung von Kindern, Vergewaltigung von Frauen, Kindern und Säuglingen usw.).
Die EU setzt sich nachdrücklich dafür ein, dass alle Gräueltaten, die während Putins Krieg gegen die Ukraine begangen wurden, durch ordnungsgemäße Untersuchungen zur Rechenschaft gezogen werden, und unterstützt alle diesbezüglichen Aktivitäten.
Peter Stano, Sprecher des Europäischen Auswärtigen Dienstes.
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