zurück zum Artikel

Raubfische am Ende

Riesenhai. Bild: Chris Gotschalk / gemeinfrei

Wegen Überfischung und rücksichtsloser Bejagung stehen zahlreiche Hai- und andere Fischarten kurz vor dem Aussterben

Neun von zehn Hai- und Rochenarten in der deutschen Nord- und Ostsee sind vom Aussterben bedroht. Dabei handelt es sich um eine Chimärenart, drei Rochen- und fünf Haiarten, darunter die Riesenhaie, die 2015 und 2016 in der Nähe des Sylter Außenriffs gesichtet wurden. Das geht aus einer aktuellen Studie [1] hervor, in der Wissenschaftler der Uni Hamburg die Bestände von 19 Knorpelfischen untersuchten.

Ausgestorben sind der Gewöhnliche Stech- als auch Glattrochen. Nagelrochen und Dornhai stehen kurz davor auszusterben, Hundshai und Sternrochen sind gefährdet. Kuckucks- und Fleckrochen gelten als extrem selten. Der Kleingefleckte Katzenhai [2] ist laut Ralf Thiel, einem der Autoren, die einzige noch ungefährdete Knorpelfischart in den deutschen Nord- und Ostseegebieten.

In der Nord- und Ostsee leben die Meerestiere, vor allem Rochen, meist nah am Meeresboden, wo sie sich von Weichtieren, Würmern, Krebstieren und Fischen ernähren. Hauptursachen für ihr Verschwinden sind Fischerei, Veränderung der Lebensräume, Schadstoffe und Klimawandel. Ein Viertel aller Hai- und Rochenarten gilt bereits als stark gefährdet. Von den weltweit 509 Hai-, 630 Rochen- und 49 Seekatzen (Chimären-) arten unterliegen nur wenige dem Washingtoner Artenschutz- oder regionalen Meeresschutzabkommen.

Glaubt man dem alle zwei Jahre erscheinenden Status-Bericht der FAO [3], sind etwa ein Drittel der weltweiten Bestände überfischt, Tendenz steigend. Zum Vergleich: Zu Beginn der 1970er Jahre waren nur etwa zehn Prozent der Bestände überfischt. Aktuell ist der Fischverbrauch pro Kopf und Jahr auf mehr als 20 kg gestiegen - das ist doppelt so hoch wie in den 1960er Jahren. So wurden 2014 weltweit 93 Millionen Tonnen Fisch gefangen. Dem entsprechend sind die Exportumsätze des Sektors auf 148 Milliarden Dollar gestiegen (zum Vergleich: 1976 waren es noch acht Milliarden).

Besonders im Mittelmeer und im Schwarzen Meer sind fast zwei Drittel der Bestände überfischt [4], vor allem bei Seehecht, Seezunge und Seebrasse. Umweltorganisationen schätzen, dass jährlich rund 100 Millionen Haie getötet werden. Zum Beispiel Hammerhaie im Nordatlantik: Ihr Bestand ist von 1986 bis 2000 um fast 90 Prozent gesunken. Riesenhai, Walhai und Weißer Hai stehen schon länger auf der Liste der gefährdeten Arten, fünf weitere Arten wurden vor einigen Jahren in das Washingtoner Artenschutzabkommen [5] aufgenommen. Seit Oktober 2016 stehen auch Seidenhaie, Fuchshaie und Teufelsrochen auf der Liste.

Haifischflossensuppe - für Haie ungesund

Obwohl es seit 2003 Handelsbeschränkungen für Haie und Rochen gibt, werden die Tiere immer noch kommerziell gefischt oder landen als Beifang im Netz. So verenden jedes Jahr tausende Haie an bis zu 150 Kilometer langen Hochseeleinen - vor allem von Europäischen Fangflotten - die mit bis zu 3.000 Haken bestückt sind.

Ein Teil der weltweit gehandelten Haifischflossen werden von Europa nach Asien verschifft. Meistens stammen die Flossen von Mako- und Blauhai, da für diese Arten in Europa keine Fangbeschränkungen bestehen. Die Haie werden aus dem Meer gezogen, ihre Flossen abgehackt und anschließend wieder ins Wasser geworfen. Die Umweltorganisation Greenpeace schätzt, dass auf diese Weise jährlich mehr als 100 Millionen Haie verenden.

Mittlerweile ist das so genannte Finning in den USA und in der EU verboten [6]. Nicht jedoch in Asien, wo Indonesien als führende Haifang-Nation gilt und Hongkong die größten Mengen an Haifisch importiert: 2015 führte die Metropole 5,7 Tonnen Haifischflossen ein, 2011 waren es mit zehn Tonnen fast doppelt so viel.

Obwohl auf offiziellen Banketten in China verboten, löffelt man in den meisten Lokalen immer noch die umstrittene Suppe. Angeblich sind die glibbrigen, fade schmeckenden Haiflossen gesund. Allmählich setzt ein Umdenken ein: Immer mehr - vor allem jüngere, umweltbewusste - Konsumenten wenden sich von der fragwürdigen Mahlzeit ab.

Die Basler Ökonomen Rolf Weder und Tobias Erhardt untersuchten die weltweite Situation der Haie und veröffentlichten ihre Ergebnisse in einer Studie [7] Ihrer Ansicht nach könnte eine Besteuerung der Fischerei oder Vergabe von Lizenzen den Handel einschränken. Aufklärungskampagnen vor allem in China könnten dazu führen, dass Suppen mit Haifischflossen von der Speisekarte verschwinden. Am wirksamsten, glauben die Forscher, wäre ein Handelsverbot mit Haifischflossen.

Eishaie: Erst mit 150 Jahren erreichen die Weibchen die Geschlechtsreife

Ihr langsamer Fortpflanzungszyklus beschleunigt das Aussterben einiger Arten zusätzlich [8]. Zum Beispiel beim Eishai (Grönlandhai): In einer Veröffentlichung in Science [9] von 2016 untersuchten Wissenschaftler der Universität Kopenhagen das Alter von 28 Eishaien, die sich zwischen 2010 und 2013 in die Netze grönländischer Fischer verfangen hatten.

Das größte Tier maß fünf Meter und soll 392 Jahre alt gewesen sein. Erst mit 150 Jahren erreichen die Weibchen die Geschlechtsreife. Wie viele Individuen es tatsächlich gibt, ist ungeklärt. Häufig verenden sie auch als Beifang in Fischernetzen [10]. Die Internationale Union zur Bewahrung der Natur und natürlicher Ressourcen IUCN [11] hat den Eishai (Somniosus microcephalus) als gefährdet auf ihrer Roten Liste eingestuft.

Im Gegensatz zum Eishai, der in den arktischen Gewässern zu Hause ist, fühlt sich der Engelhai (Squatina squatina) in den flachen Gewässern der Kanarischen Inseln am wohlsten. Früher im Atlantik und im Mittelmeer weit verbreitet, zählen Engelhaie - vermutlich als Folge von Überfischung - heute zur am zweitstärksten bedrohten Familie der Haie und Rochen [12]. In einer aktuellen Studie untersuchten Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Biodiversität der Tiere in Bonn zwölf lang Monate ihre Bestände, Lebensweise und Paarungszeit, wobei sie die Hilfe von Hobby-Tauchern in Anspruch nahmen [13].

Ohne Haie kein ökologisches Gleichgewicht

Etwa 400 Millionen Jahre hielten Haie das ökologische Gleichgewicht der Ozeane aufrecht. Als "Meerespolizisten" halten sie die Anzahl der in den Riffen lebenden Tiere in Schach. Ohne die Haie würden sich die Tiere derart vermehren, dass die Riffe komplett abgefressen würden. Wie australische und kanadische Forscher herausfanden, würde das Verschwinden der Riffhaie an der Nordwestküste Australiens außerdem dazu führen, dass sich die mittelgroßen Räuber vermehren und die Algen fressenden Papageienfische ausrotten würden.

In der Folge würden die jungen Korallen komplett von Algen überwuchert [14]. Bis vor ein paar Jahren gab es vor der südafrikanischen Küste die weltweit größte Population an Weißen Haien. Die wenigen, die sich noch in der Bucht von Kapstadt finden, wurden mit Sendern markiert. Doch nur einzelne Tiere kehrten in die Bucht zurück.

Wissenschaftler sehen darin ein Zeichen für den schlechten Zustand des südafrikanischen Meeres. Zudem dringen Badetouristen immer tiefer in die Lebensräume der Haie ein. Dadurch kommt es häufig zu Angriffen auf badende oder surfende Urlauber. Doch in den Schutznetzen, welche die Haie abhalten sollen, verenden einige tausend Tiere im Jahr, vor allem trächtige Weibchen, aber auch Delfine, Schildkröten und Rochen.

Anstelle der Netze werden mittlerweile Hai-Beobachter (Shark Spotters) eingesetzt, die die Badeurlauber vor möglichen Angriffen durch Haie warnen sollen. Darüber hinaus experimentiert man mit elektrischen Unterwasserzäunen [15].

Zu viel Beifang in den Schleppnetzen

Neben der Fleischgewinnung werden Haie auch aus reinem Freizeitvergnügen gejagt. So wurden der Umweltorganisation SAVE zu Folge alleine vor der Ostküste der USA geschätzte 2,5 Millionen (meist Tiger- oder Blau-) Haie von Sportanglern gefangen. Lebendig am Haken mit dem Boot mitgezogen oder mit scharfen Haken traktiert, sterben sie einen qualvollen Tod. Kleinere Haie werden von Tauchern oft mit der Harpune getötet [16].

Unter der Intensiv-Fischerei mit Schleppnetzen und der Zerstörung des Meeresbodens leiden nicht nur die empfindlichen Unterwasser-Lebensgemeinschaften. Zahllose Haie und Rochen, Großaugen- und Gelbflossenthun und andere Arten, deren Bestände teilweise überfischt sind, landen in den Netzen. In der Hochseefischerei werden Fische mit Langleinen und Treibnetzen sowie mit bis zu 2000 Metern langen Ringwaden gefangen.

Laut Schätzungen der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft werfen Fischer jedes Jahr 600.000 Tonnen Hai über Bord. Häufiger Beifang sind Meeresschildkröten, Meeressäuger, Seevögel, Haie und Jungfische. Meistens schwer verletzt, gehen die Tiere qualvoll zugrunde. Besonders viel Beifang verbraucht die Jagd auf Thunfisch [17]. So waren im März 2017 auf einer nächtlichen Thunfischjagd vor La Palma rund 50 Fischerboote unterwegs, von denen einige bis 5000 kg Fisch an Bord gezogen hatten [18]

Nachhaltig fischen und einkaufen

Umwelt- und Tierschutzorganisationen wie Greenpeace [19] WWF [20] kämpfen seit Jahren gegen die Überfischung der Meere. Unlängst appellierte auch der NABU [21] an Mitglieder des Bundestages, den Ausverkauf der Nord- und Ostsee zu verhindern. Eine nachhaltige Fischerei würde unsere Meere gesund und Fisch als hochwertiges Nahrungsmittel erhalten, erklärt [22] Dr. Gerd Kraus vom Thünen-Institut für Seefischerei in Hamburg.

Außerdem könnte ein Rückwurfverbot den Anteil an ungewolltem Beifang reduzieren. Besonders sensible Meeresbewohner und Lebensgemeinschaften müssen unter Schutz gestellt werden. Mittlerweile gibt es bereits eine Trendwende in der EU-Fischereipolitik: Die Überfischung in europäischen Gewässern bis 2020 zu beenden, hält der Fischereibiologe für ein erreichbares Ziel.

Auch wir Konsumenten haben Einfluss darauf, ob uns die Weltmeere mit ihrem Artenreichtum in Zukunft noch ernähren. Hering, Zander, Zuchtlachs, Zuchtkarpfen - welchen Fisch kann man noch guten Gewissens essen? Orientierungshilfen geben Fisch- und Einkaufsratgeber von WWF [23] und Greenpeace [24].

Etliche Siegel - von MSC [25], Naturland [26], Friend of the Sea [27] oder BIO-Fisch [28] - informieren über Art der Fang- bzw. Zuchtmethoden. Fischexperte Rainer Froese vom Forschungsinstitut Geomar rät, günstigen Fisch mit Schwanz und Kopf direkt an der Fischtheke zu kaufen. Seine Annahme [29]: Je günstiger der Fisch, desto mehr davon gebe es noch.

Infos:
SAVE-Wildlive Conservation Fund: Hai-End...? Der verdeckte Handel mit Haien in Deutschland (2013) [30]

Heinrich-Böll-Stiftung: Meeresatlas 2017 [31]


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3760874

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bfn.de/fileadmin/BfN/service/Dokumente/skripten/Skript450.pdf
[2] https://www.wissenschaftsjahr.de/2016-17/aktuelles/alle-aktuellen-meldungen/april-2017/hai-und-rochenarten-in-deutschen-meeren.html
[3] http://www.fao.org/news/story/en/item/421871/icode
[4] http://www.zeit.de/wirtschaft/2016-07/fao-fische-arten-bedrohung
[5] https://www.bfn.de/0310_cites.htmlhttp://www.wwf.de/themen-projekte/weitere-artenschutzthemen/politische-instrumente/cites
[6] http://www.br.de/br-fernsehen/sendungen/faszination-wissen/hai-fische-libido-100.html
[7] https://www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-Research/Nachfrage-nach-Haifischflossen-bedroht-langsam-wachsende-Arten.html
[8] https://www.nzz.ch/panorama/aktuelle-themen/bedrohte-tierarten-warum-die-haifischflossensuppe-in-china-so-begehrt-ist-ld.123682
[9] http://science.sciencemag.org/content/353/6300/702
[10] http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2016-08/groenlandhai-alter-rekord/komplettansicht
[11] http://www.iucnredlist.org/details/60213/0
[12] https://www.wissenschaftsjahr.de/2016-17/aktuelles/alle-aktuellen-meldungen/mai-2017/engelhai-in-gefahr.html
[13] http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/aqc.2769/full
[14] http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2013-09/studie-haie-erhalt-korallenriffe
[15] http://www.travelbook.de/welt/Neues-System-Wie-Urlauber-vor-Haien-geschuetzt-werden-sollen-603765.html
[16] https://www.save-wildlife.org/themen/save-the-oceans/ohne-haie-stirbt-das-meer
[17] http://www.wwf.de/themen-projekte/meere-kuesten/fischerei/ueberfischung/fischereimethoden
[18] http://lapalma1.net/2017/03/28/erbitterte-thunfisch-jagd-vor-la-palma
[19] http://www.greenpeace.de/themen/meere/fischerei
[20] https://www.stopp-wilderei-weltweit.de/hai/oderSharkprojecthttps://www.sharkproject.org
[21] https://www.nabu.de/natur-und-landschaft/meere/meeresschutzgebiete/nord-und-ostsee/20818.html
[22] https://www.wissenschaftsjahr.de/2016-17/aktuelles/das-sagen-die-experten/nachhaltige-kaufentscheidungen-treffen.html
[23] http://www.wwf.de/aktiv-werden/tipps-fuer-den-alltag/vernuenftig-einkaufen/einkaufsratgeber-fisch/einkaufsratgeber-fisch
[24] https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/20160120_greenpeace_fischratgeber_2016_0.pdf
[25] https://msc.org/de
[26] http://naturland.de/de
[27] http://www.friendofthesea.org/DE
[28] http://das-ist-drin.de/glossar/siegel/BIO-Fisch-und-BIO-Meeresfruechte-von-Deutsche-See--58/-
[29] https://reset.org/act/fischbestaende-schuetzen
[30] https://www.save-wildlife.org/downloads/save_the_oceans/Hai_Broschuere_28_05.2014.pdf
[31] https://meeresatlas.org/wp-content/uploads/2017/06/Meeresatlas-Web-DE.pdf