Realpolitik im Kampf gegen die Energiekrise

Zu immens hohen Gas- und Strompreisen, der Abhängigkeit vom russischen Erdgas und einer pragmatischen Lösung: Die Inbetriebnahme von Nord Stream 2. Ein Kommentar.

Dass die Energiepreise sich seit Februar mehr als verdoppelt haben, ist bekannt, ebenso, dass viele Haushalte die hohen Energiekosten einfach nicht tragen können. Die Regierung will mit Entlastungspaketen gegensteuern, die Opposition verlangt eine Deckelung der Energiepreise. Beides geht am eigentlichen Problem vorbei. Das sind die hohen Importpreise für Gas.

Durch den Wegfall der russischen Gaslieferungen ergab sich ein starker Angebotsengpass beim Gas in Europa. Da es nicht möglich ist, die Ausfälle durch Hochfahren der europäischen Gasförderung (Niederlande, Norwegen) zu kompensieren, bleibt nur der zusätzliche Import von Flüssiggas, LNG genannt. LNG ist aber doppelt so teuer wie russisches Pipeline-Gas und weltweit auch knapp, was zu einer Explosion der Gaspreise geführt hat.

Als einzige mögliche Gegenmaßnahme bleibt nach Auffassung des Autors der Import von billigem russischem Pipeline-Gas. In unseren Medien werden Putin, Gazprom und Russland laufend beschuldigt, uns das Gas abzudrehen. Die russische Seite hat beteuert demgegenüber, zu ihren vertraglichen Verpflichtungen zu stehen.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine wurde vonseiten der USA und der Nato ein Boykott der russischen Gaslieferungen verlangt. Als dieser sich nicht durchsetzen ließ, wurde versucht, ihn durch die Sanktionen im Bankwesen zu erzwingen, indem man die Überweisungen der Einnahmen aus dem Gasexport unmöglich machte. Russland reagierte, indem es die Bezahlung in Rubel forderte.

Betriebserlaubnis für Nord Stream 2 als Lösung

Anschließend wurde die Rücksendung einer in Kanada gewarteten Turbine für Nord Stream 1 wegen Sanktionen verzögert und so die Gasliefermenge durch die Pipeline auf 20 Prozent reduziert. Die Turbine befindet sich gegenwärtig immer noch in Mülheim an der Ruhr und Russland und Deutschland machen sich gegenseitig dafür verantwortlich.

Am Freitag wurde eine Ankündigung des russischen Staatskonzerns Gazprom gemeldet, wonach vom 31. August bis zum 2. September wegen Wartungsarbeiten kein Gas nach Deutschland fließen werde. Danach sollen wieder 20 Prozent der Maximalleistung geliefert werden.

"In den drei Tagen müsse die einzige funktionierende Turbine der Kompressorstation Portowaja überprüft und überholt werden, hieß es von Gazprom. Dies solle in Zusammenarbeit mit Spezialisten von Siemens Energy geschehen", berichtete das Handelsblatt.

Es gäbe eine ganz einfache Möglichkeit, den ganzen Ärger zu beenden: Nord Stream 2 ist voll funktionsfähig und bereits mit Gas gefüllt. Es fehlt nur noch die deutsche Betriebserlaubnis. Wladimir Putin hat mehrfach seine Bereitschaft bekundet, über Nord Stream 2 zu liefern. Erteilen wir doch einfach die Betriebserlaubnis.

Dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder Russland liefert nicht, dann ändert sich nichts an der gegenwärtigen Lage, oder Gazprom liefert, dann können wir auf die irrsinnig teuren LNG-Lieferungen verzichten und unsere Gasvorräte mit billigem russischem Gas auffüllen.

Dadurch würde allerdings der Gaspreis sofort einbrechen und möglicherweise sogar ein LNG-Überangebot am Weltmarkt entstehen. Außerdem würden auch die Strompreise stark fallen, da der Preis sich nach dem Merit-Order-Verfahren nach dem teuersten angenommenen Angebot richtet.

Wenn also Gaskraftwerke wegen der hohen Gaspreise nur sehr teuren Strom liefern können – " an der European Energy Exchange (EEX) kostet die Megawattstunde Strom inzwischen achtmal so viel wie im Vorjahr und ein Ende der Rekordpreise ist nicht absehbar" (BR) – gilt dieser überteuerte Preis für allen Strom, egal zu welchen Preisen er aus welchen Quellen erzeugt wird. Das ist übrigens auch der Grund für die Gewinnexplosion bei den Energieversorgungsunternehmen (EVU).

Deshalb wäre die sofortige Erteilung der Betriebserlaubnis für Nord Stream 2 geboten, denn es erscheint wenig sinnvoll, einerseits Russland um Gas via Nord Stream 1 zu betteln und andererseits die Lieferung durch Nord Stream 2 zu blockieren. Wir brauchen das billige russische Gas, nicht Putin. Es geht um unser Geld und unseren Wohlstand.

Diese Erkenntnis kommt langsam auch in Medien und in der Politik auf den Tisch. Nikolaus Blome, Leiter der Politikberichterstattung bei der RTL-Mediengruppe und Spiegel-Kolumnist, hat in einem aktuellen Kommentar darauf verwiesen, dass es auf die Dauer schwierig werden wird, der deutschen Bevölkerung zu erklären, warum wir einerseits bei Putin um Gas aus Nord Stream 1 "betteln" und andererseits kein Gas aus Nord Stream 2 akzeptieren. Das sei unwürdig, widersprüchlich und nütze nur dem Kreml.

Als die Sanktionen gegen Russland verkündet wurden, sprach Kreml-Sprecher Dmitri Peskow davon, dass Westeuropa damit "ökonomischen Suizid" begehe.

Das wurde hier lapidar als russische Propaganda behandelt und abgetan. Aber leider hat Peskow mit seiner Aussage recht, egal wie unsere Medien sie kommentiert haben.

Die hohen Energiepreise in Folge der Sanktionen sind nicht nur für die Bevölkerung unbezahlbar, sondern auch für große Teile der Wirtschaft existenzbedrohend.

Wenn Etiketten nicht passen

Die ganze aktuelle Diskussion wurde durch den Vorstoß von Wolfgang Kubicki zur Inbetriebnahme von Nord Stream 2 ausgelöst. Natürlich wusste Kubicki genau, dass er mit dieser Forderung in ein Wespennest sticht und medial angegriffen wird.

Warum also trotzdem? Kubicki ist Lobbyist und Sprachrohr eines großen Teils der deutschen Wirtschaft und er hat deren Forderung klar ausgesprochen. Dass er dafür von allen transatlantischen Scharfmachern angegriffen wird, nimmt er in Kauf, das gehört zu seinem Lobbyisten-Job schließlich dazu.

Allerdings hatte er dabei auch einen großen Vorteil: Die üblichen Zuweisungen und Etiketten konnten gegen ihn nicht eingesetzt werden, da der Vorwurf des "Putinverstehers" und der Nähe zu Russland auf ihn ebenso wenig glaubhaft angewandt werden kann wie Rechtsextremismus.

Der entschiedenste Gegner von Nord Stream 2 ist Bundeswirtschaftsminister Habeck. Das ist auch verständlich, denn durch seinen emphatischen Kampf gegen die russischen Energielieferungen ist er maßgeblich mitverantwortlich für die gegenwärtige Energiekrise.

Das teure LNG

Als ihm klar wurde, dass Deutschland nicht schlagartig auf die Hälfte seiner Gasimporte verzichten kann, hat er sich entgegen jeder Vernunft entschieden, eine sehr teure LNG-Infrastruktur zu schaffen und LNG zu importieren, koste es, was es wolle.

Dabei hat er klar gesagt, dass er jeden Preis zahlt - und damit nach Ansicht des Autors dieser Zeilen zig Milliarden Steuergelder verschwendet. Ist ja nicht sein Geld. Und dafür wurde er von den Medien auch noch als Retter in der Not gefeiert, weil er die angeblich bedrohte Gasversorgung Deutschlands gesichert hat.

Wenn sich jetzt herausstellt, dass Russland trotz aller westlichen Sanktionen weiter vertragstreu Gas liefert, wird es politisch sehr schwierig für ihn, weil er dann irgendwann mit der Frage konfrontiert wird, warum er die Milliarden Euro unnötig verbrannt hat. Also darf Russland auf keinen Fall liefern und deshalb muss Nord Stream 2 geschlossen bleiben, auch wenn Deutschland dadurch Bankrott geht?

Verhandlungen

Der Ukraine hilft die derzeitige Energiepolitik der deutschen Regierung auch nicht, denn weder scheint es möglich, Russland durch Sanktionen in die Knie zu zwingen, noch der Ukraine irgendwie zum militärischen Sieg zu verhelfen.

Die einzige realistische Möglichkeit, diesen Krieg zu beenden, sind Verhandlungen. Und bei diesen Verhandlungen wird Russland auf jeden Fall auf einer Demilitarisierung der Ukraine und der Rückgabe der Krim an Russland bestehen. Dazu kommt wahrscheinlich ein Regimewechsel in Kiew. Ob uns das nun gefällt oder nicht.

Da nutzt es wenig, auf das Völkerrecht zu pochen, denn erstens kann es der "Westen" nicht durchsetzen und zweitens hat er es oft genug selbst gebrochen bzw. bricht es noch immer.

Politik ist die Kunst des Möglichen und wir sollten zur Realpolitik zurückkehren.