"Rechts ist die Auffassung, Krieg und Militarisierung seien notwendig und sinnvoll"

Noch vor wenigen Jahren hätte Hass auf "Lumpenpazifisten" als klassisch rechts gegolten. Manche betonen auch heute, dass er nicht links ist. Symbolbild: UpdateNerd / CC-BY-SA-4.0

Weiter geht die Debatte, wogegen sich die Friedensbewegung abgrenzen soll – sofern sie nicht grundsätzlich delegitimiert wird. Die Initiative Frieden-links hat nun ein Thesenpapier veröffentlicht.

Bald gibt es wieder Ostermärsche für Frieden und Abrüstung – und wer daran teilnehmen will, muss mit Häme rechnen. Schmähungen wie "Lumpenpazifisten", "Friedensschwurbler", "Putin-Versteher" und "Kreml-Propagandisten" sind in der Auseinandersetzung bürgerlicher Kräfte mit der Friedensbewegung seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine salonfähig geworden.

Obwohl Deutschland keine Kriegspartei ist und es nach Aussage von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) auch nicht werden soll, ist eine Schützengrabenmentalität in der öffentlichen Debatte entstanden: Wer angesichts des Abnutzungskrieges eine Verhandlungslösung statt weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine fordert, muss mit dem Vorwurf der Feindbegünstigung rechnen. Zum Teil kämpfen gerade Personen, die bisher dem linksliberalen Spektrum zugeordnet wurden, verbal mit besonders harten Bandagen für eine militärische Lösung.

Unterdessen versucht sich ausgerechnet die ultrarechte AfD als Friedenspartei zu profilieren. Letzteres für von Ex-Pazifisten auf Regierungskurs nur zu gerne aufgegriffen, obwohl es natürlich nicht stimmt. Die AfD ist beispielsweise für die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht in Deutschland. Militärische Gewalt wird von ihr nicht abgelehnt, sofern sie primär "deutschen Interessen" dient. Letztere sieht sie aktuell eher durch das Agieren der USA gefährdet als durch Russland, mit dem sie angesichts des Kräfteverhältnisses lieber keinen Krieg möchte.

Gleichwohl ist das Links-Rechts-Schema in der öffentlichen Debatte durcheinander geraten – was auch daran liegt, dass eine saubere Abgrenzung von der AfD und anderen Nationalisten nur teilweise stattgefunden hat, wenn in den letzten Monaten gegen Krieg und Aufrüstung demonstriert wurde.

Wenige Tage vor den traditionellen Ostermärschen hat nun die Initiative Frieden-links ein Thesenpapier veröffentlicht, um ihre Sicht der Dinge klarzustellen. Telepolis dokumentiert es wie folgt:

Warum die Friedensbewegung nicht "rechtsoffen" ist

Das einigende Band der Friedensbewegung ist die Kritik an Militarismus und Krieg. Auf dieser Grundlage bietet sie Raum für Menschen in ihrer je eigenen bunten Vielfalt von Haltungen und/oder Überzeugungen, darunter etwa konservative oder kommunistische, christliche oder atheistische, anarchistische, bürgerlich-liberale, ökologische, pazifistische und viele andere mehr.

Seit ihrer Herausbildung als "moderne" Friedensbewegung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird sie von den Kriegstreibern und Militaristen politisch verfolgt, diffamiert als Vaterlandsverräter, als ferngesteuert oder fünfte Kolonne des gerade aktuellen "Feindes", als naiv, sich der Realität verweigernd, politikunfähig. Die Diffamierung als "rechtsoffen" (darunter auch "Querdenker" oder "Antisemiten") ist jüngeren Datums, aber sie erzielt durchaus Wirkung. Mit ihr setzen wir uns in diesen Thesen auseinander.

1. Die Friedensbewegung als breites gesellschaftliches Bündnis war immer geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher Analysen und Meinungen zu friedenspolitisch relevanten Fragen. Kontroversen – wie aktuell in der Bewertung von Vorgeschichte und Hintergründen des Ukraine-Krieges – stehen aber gemeinsamen, prägnanten Forderungen nicht entgegen.

2. Die Friedensbewegung war schon immer Diffamierungen ausgesetzt. Neu ist gegenüber früher, dass dieses bei uns durch Kräfte aus Organisationen erfolgt, die bisher in der Friedensbewegung verwurzelt waren. Damit werden innerhalb von großen Mitgliedsorganisationen tiefgehende Widersprüche provoziert, da in ihnen zugleich nach wie vor Menschen aktiv sind, die Stigmatisierung und Ausgrenzung ablehnen. Dasselbe gilt für wichtige Partner der Friedensbewegung, wie Gewerkschaften oder kirchliche Kreise.

3. Der Hintergrund dieser Entwicklung ist der enorme Druck, den die herrschenden Eliten und ihre Medien auf friedensliebende Kräfte jeglicher Art ausüben. Sie engen den Debattenraum auf erschreckende Art und Weise ein und drohen vom Mainstream abweichenden Meinungen mit Strafen und Berufsverboten.

4. Aus Sicht der Nato will und muss der Westen den Krieg in der Ukraine gewinnen. Zu Beginn des Krieges mag das noch anders gewesen sein, aber inzwischen geht es den Nato-Falken und ihrem militärisch-industriellen Komplex um die Aufrechterhaltung ihrer Dominanz in der Welt; sie wollen die (Zeiten-)Wende von einer unipolaren zu einer multipolaren Welt brechen, mindestens jedoch aufhalten. Das begründet ihre Feindschaft und Unversöhnlichkeit gegenüber allen Kräften, die auf Diplomatie, Kompromisse, Abrüstung setzen.

5. In der deutschen Politik hat die Zeitenwende bereits 1999 stattgefunden, als Grüne und die SPD mit Pazifismus und/oder militärischen Zurückhaltung brachen und im Jugoslawienkrieg zu Bellizisten wurden. Der aktuell eskalierende Bellizismus weist zudem Parallelen zur 1914 geschürten Kriegshysterie auf, bei der eine historisch belegte Anti-Kriegs-Stimmung in der Bevölkerung von Politik und intellektuellen Eliten umgedreht werden konnte. Bereits damals spielten anti-russische Stimmungen eine große Rolle. Es war Karl Liebknecht, der dazu mit seinem Aufruf "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" eine Gegenbewegung ermuntern konnte.

6. Aktuell werden links und rechts als politische Koordinaten durch eine totalitäre Meinungsmache der politischen "Mitte" demontiert. Mittlerweile gilt als "rechts" nahezu jegliches vom Normativen abweichende Verhalten.

"Rechts ist autoritär, nach unten tretend und nach oben katzbuckelnd"

7. Für viele Menschen, die sich in den letzten Jahren (neu) politisiert haben - vor allem durch die Corona-Politik der Bundesregierung und deren Absolutheitsanspruch - erscheint der Begriff links nicht mehr als aufklärerisch, sondern eher als denunziatorisch. "Links" wird zunehmend als Synonym für inhaltsleere Abgrenzung, als Beschimpfung und Beleidigung durch vermeintlich "Rechte" wahrgenommen.

Dabei ist rechts die Auffassung, Krieg und Militarisierung seien notwendig und sinnvoll, rechts ist das Denken in Feindbildern, die Meinung, dass unterschiedliche Menschengruppen und Individuen unterschiedliche Wertigkeiten und Rechte hätten, rechts ist autoritär, nach unten tretend und nach oben katzbuckelnd.

8. Wir verstehen uns als Linke in der Friedensbewegung; nicht, um uns von anderen abzugrenzen, vielmehr um uns kenntlich zu machen. Friedenspolitische Grundsätze sind für uns: Antimilitarismus, internationale Solidarität und ein Antifaschismus, der die historischen Umstände, die 1933 zur Machtübergabe an die Nazis geführt haben, zugrunde legt und in ihren heutigen Erscheinungen dechiffriert.

In unserem Engagement für den Frieden blicken wir auch auf Besitz- und Machtverhältnisse, auf geostrategische Interessen, wir analysieren soziale Gleichheit bzw. Ungleichheit hierzulande und weltweit. Frieden und Demokratie und Menschenrechte, Frieden und der Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen gehören für uns zusammen.

9. Wer sich links verortet, sollte dazu stehen. Wer linke Positionen aufgibt, um im Mainstream anzukommen, spielt den Ball denjenigen zu, die rassistische und militaristische Positionen vertreten, aber sich aufgrund ihrer Anhängerschaft oder anderweitiger politischer Opportunität einer strategisch-taktischen Friedensrhetorik bedienen.

10. Wir demonstrieren aus gegebenen Anlässen mit allen Menschen, die ehrlichen Herzens den jeweiligen Aufruf teilen und setzen uns dafür ein, nur solchen Kräften ein Podium zu bieten. Dabei sind wir uns bewusst, dass die Beurteilung der Aufrichtigkeit eher eine Sache des historischen Bewusstseins und der politischen Erfahrung als einer Überprüfung ist.

Wer willkommen ist – und wer zu Hause bleiben soll

11. Wir wenden uns entschieden gegen eine "Abgrenzeritis", die ohne Bezug auf eigene friedenspolitische Grundsätze erfolgt. Begriffe wie "rechtsoffen" (auch "Querdenker" als Schimpfwort oder der leichtfertige politische Todesstoß "Antisemitismus") spiegeln nicht linke Denkungsart. Es sind Erfindungen von rechts, um die Bewegung zu spalten.

Sie entfalten allerdings ihre Wirkung erst, wenn sie nicht nur "von außen" den Bewegungen angeheftet werden, sondern sich auf eine "innere Zeugenschaft" stützen können. Die wiederum arbeitet häufig mit Lügen wie gefälschten oder aus Zusammenhängen heraus gerissenen Zitaten oder indem sie willkürlich und fälschlich Ereignisse oder Äußerungen einander zuordnet, die nichts miteinander zu tun haben.

12. Wir wollen Organisationen und Parteien nach ihrer Programmatik und nicht nach kritikwürdigen Auftritten einzelner Protagonisten beurteilen. Willkommen sind alle, die ehrlichen Herzens für Frieden eintreten. Wer aber meint, Friedenskundgebungen in rechte Versammlungen ummünzen zu müssen, soll zu Hause bleiben.

13. Wir wollen Einzelpersonen, die als "umstritten" oder "rechtsoffen" dargestellt werden, nach der Gesamtheit ihrer inhaltlichen Aussagen beurteilen und kämpfen hierbei für wahrheitsgemäße Darstellungen. Wir suchen bewusst die Zusammenarbeit mit Kräften, die sich der Friedensfrage "neu" annähern. Wir wollen deren politische Sozialisierung verstehen und mit ihnen argumentative Ansätze für eine offene und ehrliche Diskussion finden.

14. Menschen, die ihre Geschichte nicht kennen, sind dazu verdammt sie zu wiederholen. Das beziehen wir auf Schlüsseljahre der deutschen Geschichte wie 1914 und 1933. Wir selbst sehen deshalb ein entsprechendes historisches Bewusstsein als Schlüsselelement unseres aufklärerischen Ansatzes.

Die Frieden-links-Initiative:

Reiner Braun, Berlin, International Peace Bureau, Kampagne Stopp Air Base Ramstein

Wolfgang Gehrcke, Berlin, Mitglied des Gesprächskreises Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Heike Hänsel, Tübingen, Die Linke

Ulla Jelpke, Berlin, Mitherausgeberin von ‚Ossietzky‘, Mitglied u.a. in ‚Sea-Watch‘

Kristine Karch, Düsseldorf, Co-Sprecherin internationales Netzwerk ‚No to war – No to Nato‘, Kampagne Stopp Air Base Ramstein

Prof. Dr. Karin Kulow, Berlin, Nahost- und Islamwissenschaftlerin, Konfliktforscherin

Ekkehard Lentz, Bremen, Sprecher Bremer Friedensforum

Pascal Luig, Berlin, NaturwissenschaftlerInnen-Initiative Verantwortung für Frieden und Zukunftsfähigkeit e.V. (NatWiss), Kampagne Stopp Air Base Ramstein

Dr. Alexander Neu, Rhein-Sieg-Kreis, Politologe

Willi van Ooyen, Frankfurt/M., Aktivist der Friedens- und Sozialforumsbewegung, Bundesauschuss Friedensratschlag, Ostermarschbüro

Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg, emeritierter Professor für Politikwissenschaft und für Öffentliches Recht, Bündnis für Gerechtigkeit und Frieden zwischen Israelis und Palästinensern (BIP)

Karl Heinz Peil, Frankfurt/M. Friedens- und Zukunftswerkstatt e. V., verantwortlicher Redakteur des ‚Friedensjournal‘

Christiane Reymann, Berlin, Publizistin

Prof. Dr. Werner Ruf, Edermünde, Politikwissenschaftler und Friedensforscher, Kasseler Friedensforum, Mitglied des Gesprächskreises Friedens- und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Bernhard Trautvetter, Essen, Mitbegründer Netzwerk Schule ohne Bundeswehr NRW, Sprecher Essener Friedensforum, VVN-BdA, GEW

Dr. Winfried Wolf, Michendorf, Chefredakteur Zeitung gegen den Krieg

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