Rechtsform "Europäische Aktiengesellschaft": 20 Jahre Mitbestimmungsflucht

Die Rechtsform "Europäische Aktiengesellschaft" ist für manche Unternehmen ein willkommener Ausweg, wenn auch nicht immer von Vorteil. Symbolbild: RGY23 auf Pixabay (Public Domain)

Die lästige Pflicht zur paritätischen Mitbestimmung in Aufsichtsräten kann auch eine "Win-Win-Situation" sein. Immer mehr Unternehmen entziehen sich ihr aber durch die Rechtsform "SE"

Seit 20 Jahren können Unternehmen die Rechtsform der Europäischen Aktiengesellschaft (SE) wählen - und damit die Pflicht zur paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat umgehen, die in der Regel greift, wenn sie mindestens 2000 Beschäftigte haben. In vier von fünf Fällen tun sie das auch, teilte die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung an diesem Mittwoch mit und veröffentlichte eine kritische Analyse.

Nur 21 der 107 großen SE verfügen demnach über Aufsichtsräte, in denen zur Hälfte Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten sitzen. Seit gut zehn Jahren steige auch die Zahl der SE gerade in der Bundesrepublik an. 424 sind es insgesamt, 317 unterschreiten aber zur Zeit noch die Zahl von 2000 inländischen Beschäfigten.

"20 Jahre SE sind leider kein Grund zum Feiern", so Dr. Daniel Hay, der das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) der Hans-Böckler-Stiftung leitet. "Und das nicht nur aus Beschäftigtensicht", fügt er hinzu, "denn wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass mitbestimmte Unternehmen wirtschaftlich erfolgreicher sind und besser durch Wirtschaftskrisen oder Umbruchphasen kommen".

Warum Mitbestimmung krisenfester machen kann

In der Wirtschafts- und Finanzkrise habe die Mitbestimmung "kurzfristiges Verhalten von Unternehmen" - etwa größere Entlassungswellen - verhindert; danach habe sie ein "schnelleres Umschalten in den Wachstumsmodus ermöglicht", schrieben die Wirtschaftswissenschaftler Prof. Marc Steffen Rapp von der Philipps-Universität Marburg und Prof. Michael Wolff von der Universität Göttingen 2019 in einer Studie. Für beide Seiten sei dies eine "Win-Win-Situation".

Die Rechtsform SE sollte offiziell dazu dienen, grenzüberschreitend tätigen Firmen die Arbeit zu erleichtern. Doch eine aktuelle Untersuchung des I.M.U. ergab, dass ein Viertel der SE mit mehr als 2.000 Beschäftigten überwiegend oder ausschließlich im Inland aktiv ist.

44 von 45 SE in Familienhand sind "Vermeider"

Große SE in Familienhand sind nach Angaben des Instituts besonders häufig "Mitbestimmungsvermeider": Insgesamt befänden sich in Deutschland 45 Unternehmen dieser Rechtsform mit mehr als 2000 Beschäftigten in Familienhand - und 44 von ihnen entzögen sich der paritätischen Mitbestimmung.

Unter den mittlerweile 40 DAX-Unternehmen sind aktuell 14 SE, von denen nur vier einen paritätisch mitbestimmten Aufsichtsrat haben - sie hatten ihn jeweils auch schon vor dem Rechtsformwechsel: Der Versicherungskonzern Allianz, der Energieversorger E.on, der Chemiekonzern BASF, und der Software-Konzern SAP.

Die übrigen zehn DAX-Unternehmen mit der Rechtsform SE haben entweder keine gar keine Vertreterinnen und Vertreter der Beschäftigten im Aufsichtsrat - so zum Beispiel die Immobilienkonzerne Deutsche Wohnen und Vonovia - oder die Mitbestimmung ist auf ein Drittel begrenzt.

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