Kreml-Leaks: Russische Militärpläne gegen Japan und Südkorea aufgedeckt

Harald Neuber

Luftaufnahme von Chilsan Tower, Yeonggwang, Südkorea. Bild: Foto Möwe// Shutterstock.com

Russland hatte bereits 2014 Angriffspläne gegen Japan und Südkorea. Das belegen geheime Militärdokumente aus dem Kreml. 160 Ziele standen auf der Liste.

Öffentlich gewordene russische Militärdokumente aus den Jahren 2013–2014 haben im Fall eines Konfliktes mit der Nato im asiatischen Raum offenbar detaillierte Pläne für mögliche Angriffe auf Ziele in Japan und Südkorea enthüllt. Dies berichtet die Financial Times unter Berufung auf westliche Quellen, denen 29 geheime russische Militärdokumente vorliegen sollen.

Die Unterlagen stammen demnach aus russischen Offizierstrainings für potenzielle Konflikte an der Ostgrenze des Landes. Demnach hat das russische Militär 160 vorrangige Ziele in Japan und Südkorea identifiziert, sollte sich ein kriegerischer Konflikt mit der Nato nach Ostasien ausweiten.

Kernkraftwerke und Tunnel als Ziele

Neben militärischen Anlagen wie Radarstationen, Flugplätzen und Marinebasen stehen laut den Dokumenten auch zivil genutzte Infrastruktureinrichtungen wie Kernkraftwerke, Fabriken und Verkehrstunnel auf der Angriffsliste.

Gezielte Attacken auf solche zivilen Objekte, wie sie russische Truppen bereits in der Ukraine verübt haben, würden Kriegsverbrechen darstellen, erklärt James Brown, Politikprofessor an der Temple University in Tokio und Experte für russische Angelegenheiten. Dieser Punkt ist allerdings strittig, sofern die Ziele auch militärisch genutzt werden oder einen Vorteil bringen.

Detaillierte Angriffspläne mit Marschflugkörpern

Die geleakten Dateien enthalten unter anderem eine Präsentation zu den Fähigkeiten der konventionell bestückten Marschflugkörper vom Typ Ch-101. Darin finden sich detaillierte Szenarien, wie ein hypothetischer Angriff auf die japanische Radarstation Okushiritou mit zwölf Lenkraketen ablaufen könnte, die von einem einzigen Langstreckenbomber des Typs Tu-160 abgefeuert werden. Die Erfolgswahrscheinlichkeit für die Zerstörung des Ziels beziffert das Dokument auf 85 Prozent.

Allerdings hat sich im Ukraine-Krieg gezeigt, dass die Ch-101 weniger leistungsfähig sind als vom russischen Militär erhofft. Laut Fabian Hoffmann, Forschungsstipendiat an der Universität Oslo, erwiesen sich die Marschflugkörper als weniger tarnfähig als erwartet und hatten Schwierigkeiten, mehrschichtige Luftabwehr zu durchdringen. Auch ihre Treffgenauigkeit blieb hinter den russischen Erwartungen zurück.

Russland testet Luftverteidigung der Nachbarstaaten aus

Eine weitere Präsentation gibt laut Financial Times seltene Einblicke, wie Russland regelmäßig die Luftabwehr seiner Nachbarn austestet. So wird die Mission zweier schwerer Bomber vom Typ Tu-95 zusammengefasst, die am 24. Februar 2014 – dem Tag der Krim-Annexion – die Reaktionen der südkoreanischen und japanischen Luftstreitkräfte aufzeichnen sollten.

Während des 17-stündigen Fluges um die beiden Länder kam es demnach zu 18 Abfangmanövern mit 39 Flugzeugen.

Konflikt um Kurilen belastet Beziehungen

Die Spannungen zwischen Japan und Russland werden auch durch den Streit um die Kurilen-Inseln angeheizt. Wegen der Gebietsansprüche haben beide Staaten seit Ende des Zweiten Weltkriegs keinen Friedensvertrag unterzeichnet. Die Sowjetarmee hatte die Inselgruppe 1945 erobert und die japanische Bevölkerung vertrieben. Heute leben dort rund 20.000 Russen.

Während sich die japanische Regierung zu Verhandlungen bereit erklärt, macht der ehemalige russische Präsident Dmitri Medwedew deutlich: "Es ist uns völlig egal, was die Japaner 'fühlen'... Das sind keine 'umstrittenen Gebiete', sondern Russland."

Russlands Strategie im Ukraine-Krieg mit Auswirkungen auf Asien

Die geleakten Militärdokumente zeigen, welche Bedrohung Russland in den westlichen Verbündeten in Asien sieht. Der Kreml befürchtet, dass die US-Streitkräfte und ihre Partner in der Region die russischen Truppen im Osten angreifen oder einen solchen Angriff unterstützen könnten.

"In einer Situation, in der Russland Estland aus heiterem Himmel angreifen würde, müsste es auch US-Kräfte und Unterstützer in Japan und Südkorea angreifen", erklärt William Alberque, ehemaliger Nato-Funktionär und jetzt beim Stimson Center tätig, einer US-amerikanischen NGO.

Zusammen mit der jüngsten Entsendung von angeblich 12.000 nordkoreanischen Soldaten in die Ukraine beweisen die Leaks laut Alberque, "dass die europäischen und asiatischen Kriegsschauplätze direkt und untrennbar miteinander verbunden sind". Asien könne bei einem Konflikt in Europa nicht außen vor bleiben und umgekehrt.

Für den Fall einer Eskalation dürfte Japan eine besondere Herausforderung erwarten, wenn sich ein Konflikt kurzfristig von Europa in den Fernen Osten ausweitet. "Bei einem Konflikt mit Nordkorea oder China würde Japan frühzeitig gewarnt.

Wir hätten vielleicht Zeit, uns vorzubereiten und zu versuchen, etwas zu unternehmen", sagt Michito Tsuruoka, Politikprofessor an der Keio-Universität. Doch bei einer horizontalen Eskalation aus Europa heraus hätte Tokio weniger Handlungsspielraum.

Auch Südkorea rückt ins Visier Russlands. Seit der russischen Invasion in der Ukraine haben sich Seoul und Tokio wie die USA dem Exportkontrollregime angeschlossen, um den Druck auf Moskaus Kriegsmaschinerie zu erhöhen. Als Gegenleistung für die nordkoreanischen Söldner unterstützt Russland Pjöngjang wirtschaftlich und militärisch.

Dass die Zeichen auf Sturm stehen, zeigt auch ein Zitat des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im November hatte er eingestanden, dass "der regionale Konflikt in der Ukraine Elemente eines globalen Charakters angenommen hat".