Regime-Change nun auch in Kuba?

Kubas Präsident Díaz-Canel am Ort der Unruhen. Bild: Estudios Revolución

Karibikstaat erlebt größte regierungsfeindliche Proteste seit Jahrzehnten. Wirtschaftliche Lage schwierig, auch durch US-Blockade und Pandemie

Die sozialistische Regierung in Kuba versucht mit fiskal- und handelspolitischen Zugeständnissen den heftigsten Protesten in dem Karibikstaat seit Jahrzehnten entgegenzuwirken.

Bis Ende des Jahres würden bestehende Beschränkungen für die private Einfuhr von Lebensmitteln, Medikamenten und Hygieneartikeln aufgehoben, ebenso seien diese Waren von Zollgebühren befreit, so Ministerpräsident Manuel Marrero am Mittwoch.

Zugleich mobilisierte die Regierung landesweit Anhänger, um ein politisches Zeichen gegen die regierungsfeindlichen Proteste zu setzen. Die Staatsführung und ihre Unterstützer im In- und Ausland machen vor allem die USA für die überraschend aufgebrandeten Proteste verantwortlich.

Die Demonstranten hatten die schwierige Versorgungslage zum Anlass genommen, um in den vergangenen Tagen in mehreren Orten des Inselstaates auf die Straße zu gehen. Die Kundgebungen richteten sich dann rasch grundsätzlich gegen die Regierung, zahlreiche Teilnehmer forderten einen Bruch mit der sozialistischen Regierungsform.

Tatsächlich war die Stimmung in Kuba schon seit Längerem angespannt. Am Sonntag entlud sich die angestaute Wut auf der Insel in den ersten regierungsfeindlichen Protesten seit 1994. Ihren Anfang nahm die Demonstrationswelle in San Antonio de los Baños in der westlichen Provinz Artemisa.

Präsident Miguel Díaz-Canel zeigte dort später mit Vertretern seiner Regierung Präsenz auf der Straße. Am Nachmittag richtete sich das Staatsoberhaupt in einer Fernsehansprache an die Bevölkerung.

Dabei rief Díaz-Canel "alle Revolutionäre und Kommunisten" dazu auf, sich Plünderungen und Protesten entgegenzustellen.

Während die Behörden im Land das Internet in großen Teilen kappte, informierten regierungskritische Medien im Ausland detailliert über das Geschehen.

Nach Angaben des Online-Portals 14ymedio der Deutsche-Welle-Journalistin Yoani Sánchez, eine der prominentesten Vertreterinnen der kubanischen Auslandsopposition, sollen mehr als 5.000 Menschen festgenommen worden sein.

Überprüfen lässt sich diese Zahl nicht. Eine Kriminalbeamtin des Innenministeriums bestätigte Festnahmen wegen Ruhestörung, Raub, Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung, Sachbeschädigung sowie Anstiftung zu Verbrechen, nannte jedoch keine Zahl. Indes bestätigten die Behörden ein Todesopfer.

Schwerste Krise seit den 1990er-Jahren

Seit der letzten Sanktionswelle unter dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump im Jahr 2019 läuft Kubas Wirtschaft auf Sparflamme.

Damals lösten die gezielte Verfolgung venezolanischer Öllieferungen und neue Finanzsanktionen eine erste Konjunkturdelle aus. Anderthalb Jahre Pandemie mit mehreren Lockdowns (inklusive nächtlicher Ausgangssperre) sowie die in Folge des Tourismusausfalls immer prekärer werdende Versorgungslage haben den Unmut in der Bevölkerung weiter anschwellen lassen.

Die Teil-Dollarisierung des Einzelhandels und die mit Beginn der Währungsreform am 1. Januar steigende Inflation sind Ausdruck der Wirtschaftskrise, in der sich Kuba derzeit befindet.

2020 brach das Bruttoinlandsprodukt um 10,9 Prozent ein, im ersten Halbjahr 2021 gab es einen weiteren Rückgang von zwei Prozentpunkte. Die Inselwirtschaft befindet sich heute inmitten der schwersten Rezession seit den 1990er-Jahren.

Konkreter Anlass dürften neben der in einigen Provinzen außer Kontrolle geratenen Delta-Welle der Pandemie auch die infolge einer Kraftwerkshavarie zuletzt häufiger auftretenden Stromausfälle gewesen sein.

Mit Blick auf die traumatischen Erinnerungen an die schwersten Zeiten der "Sonderperiode", die von teils mehrstündigen täglichen Stromabschaltungen geprägt waren, spielt die Stabilität der Stromversorgung in Kuba insbesondere in Krisenzeiten eine wichtige Rolle und könnte der Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlauf brachte.

Einige Tage zuvor forderte die kubanische Opposition unter den Hashtags #SOSCuba und #SOSMatanzas in den sozialen Medien eine "humanitäre Intervention" aufgrund der steigenden Corona-Zahlen in der Provinz.

Während die Infektionszahlen inzwischen hohes vierstelliges Niveau erreicht haben, blieb die Fallsterblichkeit mit 0,64 Prozent allerdings deutlich unter dem regionalen Durchschnitt. In Havanna, wo bereits der größte Teil der Bevölkerung mit dem in Kuba entwickelten Vakzin "Abdala" immunisiert ist, sieht die Corona-Lage deutlich besser aus als in anderen Landesteilen, in denen die Impfkampagne gerade erst anläuft.

Dort schießen die Fallzahlen mit Einschleppung der Delta-Variante seit einigen Wochen steil nach oben. Insgesamt haben in Kuba bislang 27 Prozent der Bevölkerung mindestens die Erstimpfung erhalten.

Proteste von Havanna bis Santiago

Am Sonntag begannen erste Straßenproteste in San Antonio de los Baños, 36 Kilometer südwestlich von Havanna. Binnen weniger Stunden breiteten sie sich auf mehr als ein Dutzend weitere Städte und Ortschaften im ganzen Land aus, darunter auch die revolutionäre Hochburg Santiago de Cuba.

Dabei wurden unter anderem Slogans wie "Nieder mit dem Kommunismus!", "Freiheit!" und "Wir wollen Impfstoff!" skandiert, vereinzelt waren US-Flaggen zu sehen und an Díaz-Canel gerichtete Rücktrittsforderungen wurden laut zu hören.

In Havanna zogen mehrere hundert Demonstranten entlang der Uferpromenade Malecón und versammelten sich vor dem Kapitol. Die oppositionelle Nachrichtenseite Cibercuba übertrug einen Livestream.

Ähnlich wie bei den Unruhen von 1994, die damals durch einen charismatischen Auftritt Fidel Castros vor der Menge ihr Ende gefunden hatten, ereigneten sich auch gestern Plünderungen von Dollarläden.

Die Sicherheitskräfte reagierten nach Berichten von Augenzeugen überwiegend deeskalierend und ließen die Menge gewähren. Es kam jedoch auch zu Verhaftungen und gewaltsamen Zusammenstößen mit Anhängern der Regierung und der Staatsgewalt, mehrere Polizeifahrzeuge wurden umgekippt und mit Steinen beworfen. Auch private Pkw, Wohnhäuser und Ladengeschäfte waren Ziel von Angriffen der Demonstranten.

Umsturzprogramme seit Jahren

Die kubanische Regierungsposition, nach der die Proteste von außen forciert sind, ist kaum von der Hand zu weisen. Schon das Helms-Burton-Blockadegesetz von 1996 zielte auf eine "Übergangsregierung in Kuba" ab, "der weder Fidel Castro noch Raul Castro angehören". Die ersten US-Gesetze zur Abschottung Kubas vom Welthandel ließen offen die Intention erkennen, über eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage einen Systemwechsel zu erreichen.

Seit Jahren ist vor allem die US-Entwicklungshilfeagentur Usaid mit dieser Aufgabe betraut. 2014 veröffentlichte die Nachrichtenagentur AP einen Artikel, dem zufolge ein 24 Jahre alter Costaricaner von einem Usaid-Vertragsunternehmen rekrutiert wurde, um Anti-Regierungsprogramme in Kuba voranzutreiben.

Er sei nach Kuba mit der Mission gereist, "ein Netzwerk von Freiwilligen für die soziale Transformation zu schaffen", hieß es damals. Usaid investiert jährlich mehrere Millionen US-Dollar in "Transitionsprogramme" für Kuba.

Bekannt wurde ebenso der Aufbau autarker Internetstrukturen, die schon vor Jahren von kubanischen Behörden entdeckt und abgeschaltet wurden. Die Hardware und Software wurde auch in diesem Fall von Usaid finanziert.

Dieses Projekt wurde nach seiner Enttarnung ebenso aufgegeben, wie der Aufbau eines "kubanischen Twitters" durch US-Behörden. Der Kurznachrichtendienst ZunZuneo war aus den USA unterstützt worden, um politische Kommunikationsstrukturen zu schaffen. Auch hier war das Ziel ein Systemwechsel.

Solche Initiativen, von denen es zahlreiche weitere gibt, lassen Zweifel daran aufkommen, ob und inwieweit die Proteste in Kuba Ausdruck eines authentischen politischen Bestrebens der Bevölkerung sind. Vielmehr zeichnet sich nach den Umbrüchen im Nahen und Mittleren Osten erneut eine Regime-Change-Agenda ab.

Dabei spielen, wenn auch verhaltener, europäische Staaten ebenso eine Rolle. Die gemeinhin als "unabhängige Journalistin" präsentierte Aktivistin Yoani Sánchez arbeitet seit Jahren für die Deutsche Welle.

Dieser Artikel entstand in Kooperation mit dem Online-Portal Cuba heute.

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