Rheinmetall zu Altmetall: Alternativen zur deutschen Friedensbewegung
Protest gegen Rüstungskonzern setzt trotz geringer Teilnehmerzahl Maßstäbe: Es geht nicht immer nur um den "Standort Deutschland". Kriegsprofiteure sollten beim Namen genannt werden.
"Rheinmetall zu Altmetall" schallte es am Dienstagnachmittag durch Berlins Mitte. Das antimilitaristische Bündnis "Rheinmetall Entwaffnen" hatte die Jahreshauptversammlung des Rheinmetall-Konzerns des Konzerns am 9. Mai zum Anlass für eine antimilitaristische Demonstration genommen. Vor der Corona-Pandemie waren die Jahreshauptversammlungen direkt gestört worden. Das ist sicherlich ein Grund dafür, dass der Konzern auch im Jahr 2023 an einer digitalen Jahreshauptversammlung festgehalten hat. Die Demonstration war dennoch gut begründet.
Antimilitarismus statt deutsche Friedensbewegung
Hier ging eine Antimilitarismus-Bewegung auf die Straße, die schon seit Jahren existiert, aber im Windschatten der deutschen Friedensbewegung oft kaum wahrgenommen wird. Dafür arbeiten sich auch viele Linke nach der Berliner Kundgebung von 25. Februar ausdauernd an jener deutschen Friedensbewegung und speziell an Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht ab.
Viele der Kritiken sind übertrieben, wenn etwa der Eindruck erweckt wird, dass am 25. Februar nur Rechte und Verschwörungsideologen auf der Straße gewesen wären. Berechtigt ist dagegen die Kritik, die schon von den Linken an der deutschen Friedensbewegung der 1980er-Jahre geleistet wurde: Sie nimmt eine sehr deutsche Perspektive ein, die ich oft nicht für Kriege in anderen Teilen der Welt interessiert. Es wird über den Schaden für den "Standort Deutschland" durch Wirtschaftssanktionen lamentiert, statt sich für die Rechte von Geflüchteten und Deserteuren auf allen Seiten einzusetzen.
Und schließlich wurden bei der Großkundgebung am 25. Februar ganz in der Tradition der deutschen Friedensbewegung die Staaten der Welt aufgefordert, zu verhandeln und damit wieder Frieden zu machen. Dabei wird oft vergessen, dass dieser Frieden eine Friedhofsruhe ist.
Das zeigt sich in der aktuellen Ausgabe des vom Bundesausschuss Friedensratschlag herausgegebenen Friedensjournals. Dort wird positiv über "Das Ende der Eiszeit zwischen Saudi-Arabien und dem Iran" berichtet, aber mit keinen Wort die Frage gestellt, wie die Bevölkerung in diesen beiden islamistischen Diktaturen zu diesen neuen Bündnissen der Machthaber steht.
Zumindest forderten große Teile der iranischen Aufstandsbewegung, die Verhandlungen mit dem Regime in Teheran einzustellen. So muss man sich schon die Frage stellen, ob die neue Annäherung der beiden Regime für einen Großteil der Bevölkerung nicht mehr Unterdrückung bedeutet. Frieden darf eben nicht Friedhofsruhe bedeuten.
Krieg beginnt hier
Diese Kritik an der deutschen Friedensbewegung ist berechtigt, bedeutet aber keineswegs, dass es richtig ist, sie einfach pauschal in die rechte Ecke zu stellen und sich ständig an ihr abzuarbeiten. Zumal es mit Bündnissen wie "Rheinmetall Entwaffnen" bereits seit Jahren Alternativen gibt. Sie appellieren nicht ständig an Machthaber von Staaten, doch zu verhandeln – und sie verwechseln auch Abkommen zwischen solchen Staaten nicht mit einer emanzipatorischen Gesellschaft.
Sie haben schon seit Jahren die Parole "Krieg beginnt hier" ausgegeben und meinen damit in Deutschland Rüstungskonzerne Rheinmetall oder Heckler & Koch. In Rostock gingen sie ebenfalls am Dienstag auf die Straße, um gegen die Unterwassermilitärmesse zu protestieren. Sie versuchen, mit ihren bescheidenen Mitteln Sand ins Getriebe dieser Kriegsmaschine zu streuen. Tatsächlich ist es aber ein Armutszeugnis für eine Linke, wenn sich in der Bundeshauptstadt Berlin nur maximal 200 Menschen an einer solchen Demonstration beteiligen.
Wenn man das Ausmaß an Tweets und Texten betrachtet, in denen sich nicht nur, aber auch vorgeblich Linke nach dem 25. Februar über die Kundgebung von Wagenknecht und Co. aufregten, muss man schon feststellen, dass es einem Großteil der Kritiker eben nicht darum ging, dass die Kritik am deutschen Militarismus dort zu kurz kam. Viele monierten, dass überhaupt Kritik am herrschenden Diskurs geübt wurde.
Von den Grünen über die FDP bis zum Bundeswehr-Shop
Wahrscheinlich sind viele auch nicht zur Demonstration gekommen, weil zu den Orten, an denen Krieg beginnt, auch die Parteizentrale der Grünen gehörte. Schon am Vormittag des 9.Mai brachten dort antimilitaristische Feministinnen ein Transparent an, auf dem die grüne Kriegspolitik verurteilt wird.
Das steht ganz in der Tradition eines linken Antimilitarismus, der die Kriegspolitik der damals noch nicht ganz so einigen Grünen in Jugoslawien verurteilt hat. Die nächste Station der Demo war die FDP-Zentrale in Berlin-Mitte, da führende Politiker der Liberalen mit den Grünen darum wetteifern, wer lauter nach immer neuen Waffenlieferungen an die Ukraine ruft.
Im Spätsommer 2022 haben unterschiedliche Spektren der Protestbewegung gegen Inflation und Krise vor diesen Parteizentralen demonstriert: das Bündnis "Heizung, Brot und Frieden" vor der Grünen-Zentrale und das Umverteilen-Bündnis vor der FDP-Zentrale. Die Demonstration am 9. Mai zeigte auf, dass sie beide Parteien zu den Treibern und Profiteuren von Aufrüstung und Waffenlieferungen gehören.
Die Demoroute führte dann an einem Werbeshop der Bundeswehr vorbei und endete am Brandenburger Tor. In dieser exponierten Lage nah am Parlament unterhält Rheinmetall sein Berliner Lobby-Büro. Es ist wenig bekannt und auch nicht besonders auffällig.
Wenn Menschen fallen, steigen die Aktien
Es ist funktional für die Interessen eines Konzerns, der zu den größten Kriegs- und Krisengewinnlern gehört. Der Ukraine-Krieg macht deutlich, dass noch immer stimmt, was die linke Arbeiterbewegung schon vor dem Ersten Weltkrieg gesagt hat. Wenn die Menschen in Kriegen fallen, geht es dem Kapital gut und die Aktienkurse steigen.
Natürlich ist Rheinmetall nicht der einzige Kriegs-Profiteur, aber er ist einer der mächtigsten in Deutschland. Dass dieser am 9. Mai seine Jahreshauptversammlung abhält, ist wahrscheinlich historischer Amnesie zu schulden. Der Tag, an dem die Welt vom deutschen Faschismus befreit wurde, interessiert die Rüstungsmanager nicht.
Dass die Proteste gegen ihn so überschaubar sind, ist auch ein Ausdruck des neuen deutschen Revisionismus, der den Alliierten nicht verziehen hat, dass sie vor 78 Jahren deutsche Großmachtträume vorerst beendet haben. Einstweilen bekommt diesen neuen deutschen Revanchismus die nicht mehr existierende Sowjetunion zu spüren. In diesem Jahr waren auf den Gedenkveranstaltungen in Berlin nicht nur Fahnen der russischen Föderation verboten, sondern Flaggen und Symbole der Sowjetunion – was die Polizei vor Ort auch gleich auf die Fahnen kommunistischer Parteien aus anderen, einst von den Nazis besetzten Ländern Europas ausweitete.
Davon träumten deutsche Nationalisten aller Couleur seit 1945. Die Schmach, dass ein sowjetischer Rotarmist am 9. Mai 1945 auf der Ruine des deutschen Reichstags die rote Fahne mit Hammer und Sichel hisste, haben sie bis heute nicht verwunden. Deshalb muss sie jetzt höchstrichterlich verboten werden. Und deshalb wird auch eine so absurde Diskussion darüber geführt, ob der Soldat, der die Fahne hisste, Ukrainer oder Georgier war. Tatsächlich war er Teil der multinationalen Sowjetunion und für einen Großteil der Deutschen war er lange Zeit sowieso nur ein Russe.
Deutscher Geschichtsrevisionismus in Aktion
Seit dem Krieg in der Ukraine gibt es ein Halten mehr für den deutschen Geschichtsrevisionismus. Die mildere Form ist noch die Kranzniederlegung der ukrainischen Regierungsdelegation vor der Neuen Wache in Berlin, statt bei den Gedenkstätten für die Opfer der Sowjetunion. Wer erinnert sich noch an die Proteste deutschlandkritischer Linker gegen die Einweihung dieser Neuen Wache, weil dort Opfer und Täter gleichgesetzt und damit die deutschen Verbrechen relativiert werde?
Doch es gibt schon ein viel krasseren Geschichtsrevisionismus. In der taz darf ein ukrainischer Journalist formulieren, was die deutschen Rechten schon seit 1945 umtreibt:
Feiert nicht den Tag des Sieges. Feiert lieber den Tag der Erinnerung an die Millionen von Opfern zweier Regime – die Opfer des Nazi-Regimes und die Opfer des kommunistischen Regimes.
Jury Konkewitsch, taz
Dass der 9.Mai kein Tag der Befreiung sei, haben Rechte aller Nationen immer gesagt. Vor einigen Jahren haben alte und neue Rechte im Umfeld der Wochenzeitung Junge Freiheit sogar einen Aufruf dazu gestartet. Und tatsächlich war dieser 9. Mai für den Faschismus und seine Kollaborateure in den unterschiedlichen Staaten auch der Ukraine eine Niederlage.
In diese Tradition stellt sich Konkewitsch. Die Opfer des Nazismus aber sahen deren Niederlage mit Freude. Dass 78 Jahre später einem solchen Geschichtsrevisionismus kaum widersprochen wird, ist die Bedingung dafür, dass die Aktien bei Rheinmetall und Co. steigen. Daher war die kleine Demonstration am 9. Mai durch die Berliner Innenstadt nicht nur ein Beitrag gegen deutschen Militarismus, sondern auch gegen Geschichtsrevisionismus.