Richtung Taliban oder Richtung Feminismus

Ein Gespräch mit Phillip Longman, der mit seiner These von der "Wiederkehr des Patriarchats" in Zeiten des Geburtenrückgangs Aufsehen erregt hat

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Phillip Longman, US-amerikanischerBevölkerungswissenschaftler und Mitglied des renommierten Think Tanks New America Foundation machte mit seinem in der Märzausgabe der "Foreign Policy" erschienen Artikel "The Return of Patriarchy gerade hier in Deutschland Furore. Mit dem Schockwort "Patriarchat" lieferte er der tobenden Demographie-Debatte neues, explosives Futter. Wird Longman doch hierzulande nachgesagt, das patriarchale Modell als die einzig erfolgreiche Lebensform zu propagieren.

Phillip Longman

Sie vermuten, dass es einen konservativ-religiösen Back-Lash geben wird, dass sich die patriarchale Familie wieder durchsetzen wird?

Phillip Longman: Es scheint ein Zusammenhang zu bestehen zwischen säkular-liberalen Werten und wenigen Kindern. Und ein Zusammenhang zwischen traditionellen, religiös-fundamentalistischen Werten und vielen Kindern. So finden wir in säkularen Gesellschaften, wo nur noch ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung in die Kirche geht, eine verschwindend geringe Geburtenrate. Andererseits werden in Gesellschaften, wo die Menschen ihren Glauben erhalten und traditionell leben, viele Kinder produziert.

Wo genau beobachten Sie das?

Phillip Longman: Man kann ja sagen, dass von den Industriestaaten die USA die höchste Geburtenrate vorweisen kann, gleichzeitig gehen hier die meisten Menschen in die Kirche. Das ist kein Zufall. Und innerhalb der USA sind wiederum die religiös geprägten Regionen die mit der höchsten Geburtenrate. Zum Beispiel produziert Utah am meisten Kinder und hier ist auch das Zentrum der mormonischen Kirche. In Staaten, die für Bush stimmen, ist die Geburtenrate um 12 Prozent höher als in Staaten von John Kerry-Wählern - sie haben die gleiche Geburtenrate wie beispielsweise Frankreich.

Muss Amerika Bush dankbar dafür sein, dass er die Geburtenrate hoch hält?

Phillip Longman: Ich würde das nicht unbedingt Bush anrechnen. Aber er profitiert natürlich von einer bestimmten Werte-Konstellation. Und vor allem davon, dass die Familie der moralische Mittelpunkt seiner Wähler ist. "Gehet hinaus und mehret euch", das ist ja die zentrale Botschaft der Bibel. Und die Leute, die die Bibel wörtlich nehmen, nehmen diese Botschaft sehr ernst.

Was bedeutet es für die Frauen, wenn die Geburtenrate nicht mehr stimmt?

Phillip Longman: Es ist jetzt schon mehr als eine Generation, die in sehr friedlichen, wohlhabenden und gut ernährten Verhältnissen lebt, vielleicht sogar zu gut ernährt. Und diese Generation produziert nicht mehr ausreichend Kinder, um sich selbst und die Bevölkerung zu reproduzieren. Das bedeutet, dass der menschlichen Natur das "Kinderkriegen" eben nicht eingepflanzt ist. Na gut, sie hatten zufällig mal viele Kinder, das stimmt schon, aber selbst dann musste man eine Menge Druck auf die Frauen und die Männer ausüben, damit sie diese Rolle der Reproduktion auch wirklich ausüben wollten.

Und mehr Druck ausüben heißt, dass die patriarchale Familie wieder her muss? Sonst sterben wir aus?

Phillip Longman: Wenn Teile einer Gesellschaft lieber keine oder nur sehr wenige Kinder haben - aus welchen Gründen auch immer -, gerät ihre Lebensform allmählich in die Minderheit und sie werden durch andere Lebensformen abgelöst: traditionelle, patriarchale Lebensformen. Das Patriarchat verlangt ja von Männern Dinge, die sie eigentlich lieber nicht täten. Oder sagen wir, die viele Männer lieber nicht täten. Dazu gehört vor allem das Heiraten. Es ist also nicht überraschend, wenn die Entwicklung dahin geht, dass immer weniger Männer heiraten oder Kinder aufziehen wollen. Sie definieren sich ja nicht über die Familie, sondern sie pflegen eine kosmopolitische Weltanschauung, sie verstehen sich als Weltbürger, also interessieren sie sich weder für ihre ethnische Herkunft noch für ihre Nation und auch nicht für deren Zukunft.

Aha, also muss man die Männer zurück ins Patriarchat zwingen, damit sie sich für Kinder interessieren. Und darum müssen auch die Frauen wieder an den Herd? Nach dem Motto: Mitgefangen, mitgehangen. Ist das nicht fies?

Phillip Longman: Ich sehe das so, in den urbanen Kulturen stehen wir gerade an einem Scheideweg. Der eine Weg führt in Richtung Taliban, es ist der Weg zurück in eine düstere Welt, in der die wenigen Menschen, die geboren werden, fanatische Gläubige sind, also zurück ins Mittelalter. Der andere Weg ist der in Richtung Feminismus, wir müssen den Feminismus viel weiter entwickeln, als wir das bisher getan haben.

Was heißt das genau?

Phillip Longman: Im Moment leben wir in einer Gesellschaft, in der man nicht mit 19 oder 20 Jahren heiraten, drei Kinder aufziehen und dann mit 30 oder 35 Jahren an die Uni kommen und sagen kann: Hier bin ich! Jetzt kann ich anfangen zu studieren. Es sieht vielmehr so aus, dass wir speziell für Frauen in ihren Zwanzigern oder Dreißigern, also zu dem Zeitpunkt, an dem sie biologisch am besten Kinder kriegen können, folgenden Lebensplan bereithalten: Wenn Du nicht studierst, sondern die Kinder kriegst, die wir ja dringend brauchen, dann kann es gut sein, dass Dich irgendwann Dein Mann sitzen lässt mit den Kindern und Du zusehen musst, wie Du sie ernährst, wie Du klar kommst. Das ist das Risiko. Und darum versuchen Frauen sich abzusichern, eine gute Ausbildung zu machen. Dann passiert es eben oft, dass sie den Zeitpunkt verpassen, Kinder zu bekommen.

Wir müssen die Möglichkeiten schaffen, dass beide, Frauen wie Männer, Kinder haben, wann sie wollen und wie viele sie wollen - ohne dass sie dafür ihre Karrieren und Lebensperspektiven opfern müssen. Und ich denke, es gibt eine Menge Möglichkeiten, das zu schaffen.