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Rohstoff der Energiewende: Folgt auf die Opec nun ein Lithium-Kartell?

Viel ist von Entdollarisierung die Rede. Dabei wird die Weltwirtschaft ebenso stark von Rohstoffmärkten entscheiden. Welche Rolle dabei Lithiummärkte und Energiewende spielen.

Ohne bezahlbare Speichertechnologien droht die Energiewende zu scheitern [1], und der wichtigste Rohstoff für leistungsfähige Batterien ist das Leichtmetall Lithium. Nach zwischenzeitlich stark gesunkenen Preisen steigt derzeit eine regelrechte Lithium Rally: Im März 2022 kostete Lithiumkarbonat 75.400 bis 77.500 US-Dollar pro Tonne und Lithiumhydroxid erzielte 64.000 bis 73.300 US-Dollar pro Tonne.

So kann es nicht verwundern, dass die Presse Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) anlässlich seiner Lateinamerika-Reise Ende Januar aufforderte, eine Aufholjagd [2] bei der Beschaffung der strategischen Ressource zu starten.

Da muss es Politik und Märkte aufscheuchen, wenn wichtige Lithium-Exportländer wie Argentinien, Bolivien und Chile ihre Politiken zunehmend aufeinander abstimmen [3].

Sogar von einer "Lithium-Opec", also sozusagen einer "Olec", war schon die Rede. Immerhin lagern über zwei Drittel der bislang bekannten globalen Lithiumreserven in den drei lateinamerikanischen Staaten. Und mit Mexiko und Brasilien verfügen zwei weitere Länder der Region über bedeutende Lithium-Vorkommen, die gute Kontakte zu Argentinien, Bolivien und Chile unterhalten.

Eigene Industrien aufbauen

Dabei zielen die Unterhandlungen gar nicht primär auf die Kontrolle der Exportpreise ab, sondern sie verfolgen eine wesentlich ambitionierte Vorstellung: Die beteiligten Nationen streben eigene Industrien zu Lithiumverarbeitung [4] an, um nicht nur in der undankbaren Rolle von Rohstoffexporteuren zu verharren.

Zwar sehen Beobachter noch bedeutende Schwierigkeiten auf dem Weg zu einer abgestimmten Industriepolitik der lateinamerikanischen Gesprächspartner.

Und auch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) erwähnt das Thema in ihren Dera-Rohstoffinformation [5] vom Januar 2023 nicht. Stattdessen werden die Lithium-Produktionsländer einzeln nach Risiken eingestuft, die auf den "Worldwide Governance Indicators" der Weltbank beruhen.

Doch auch hier kann es Überraschungen geben. Bisher galt zum Beispiel Chile als sichere Quelle, eine Situation, die sich aber nach der erst im April angekündigten Verstaatlichung der Lithium-Vorkommen [6] in dem Andenland ändern könnte. Auch Bezug auf Mexiko warnen die Dera-Rohstoffinformationen:

In Mexiko wurde bspw. im April 2022 das Bergbaugesetz reformiert und (…) ein staatliches Lithiumunternehmen (…) gegründet. Dieses (…) wird die vollständige Produktion und Vermarktung von Lithium übernehmen.

In Bezug auf Bolivien heißt es:

Gleiches gilt für die großen Potenziale in Bolivien. (…) Aktuell versucht die Regierung in Bolivien einen alternativen Ansatz zur Entwicklung einer Lithiumindustrie.

Auch Argentinien schmiedet neue Pläne [7] in Bezug auf die Lithium-Gewinnung, wie das Lateinamerika-Portal amerika21 meldet: Künftig sollen Quoten festgelegt werden, wie viel der Förderung im Inland verarbeitet werden muss. Die Lizenzgebühren für den Bergbau sollen erhöht und Bergbauunternehmen gezwungen werden, einen Teil der Produktion zu günstigen Preisen im Inland zu verkaufen. So soll eine konkurrenzfähige Lithium-verarbeitende Industrie in Argentinien geschaffen werden.

Die Konkurrenz schläft nicht

Und die Konkurrenz der westlichen Bergbaukonzerne schläft nicht: Kürzlich meldete Kabul Now, dass das chinesische Unternehmen Gochin zehn Milliarden US-Dollar für die exklusive Ausbeutung des afghanischen Lithiums [8] geboten habe. Shahabuddin Delawar, der afghanische Minister für Bergbau und Erdöl erhofft sich von dieser Investition 120.000 Jobs für sein kriegszerstörtes Land, denn Gochin habe zugesichert, das Leichtmetall in Afghanistan zu verarbeiten.

Wie viel Lithium in Afghanistan zu holen ist, scheint zumindest im Westen nicht genau bekannt zu sein. Die US-Amerikaner hatten die Vorkommen offensichtlich übersehen [9].

Alle derartigen Initiativen werden vom knappen Lithiumangebot auf den Weltmärkten auf absehbare Zeit begünstigt, denn die Nachfrage nach dem Leichtmetall ist nicht nur ungebrochen – sie wächst weiterhin rasant. Die BGR prognostiziert Nachfragesteigerungen auf mindestens 316.000 beziehungsweise mehr als 550.000 Tonnen pro Jahr.

Im schlechtesten Fall würden 2030 dann 300.000 Tonnen Lithium pro Jahr fehlen – im besten Fall werden es demnach immer noch 90.000 Tonnen sein. Zum Vergleich: 2020 wurden weltweit etwa 105.000 Tonnen gefördert; 55.000 Tonnen davon in Australien.

In der aktuellen Phase rasant wachsender Lithiummärkte und -industrien besteht noch kein großer ökonomischer Druck, ein Kartell zu gründen.

Dennoch könnte ihre weitere Entwicklung zum Indikator für die Fortschritte auf dem Weg zu einer multipolaren Welt [10] werden. Denn je mehr Lithium-Vorkommen weltweit ausgebeutet werden und je größer der Anteil des Recyclings an der Produktion wird, desto wichtiger wird für die großen Exportländer die Koordination untereinander. Auch ein Quantensprung in der Batterietechnik könnte die Marktlage noch fundamental verändern.

Es wird spannend sein, zu sehen, ob die betroffenen Regierungen die nächsten Jahre nutzen können, um dem Ressourcenfluch [11] zu entgehen – zumindest beim Lithium.


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https://www.heise.de/-8984431

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.roedl.de/themen/erneuerbare-energien/2019-11/lithium-batterie-elektroautos-energiewende-mobilitaetswende
[2] https://www.dw.com/de/lithium-deutschland-braucht-eine-aufholjagd/a-64532579
[3] https://dialogochino.net/en/article/57203-latin-america-discusses-regional-strategies-for-lithium-production/
[4] https://www.dw.com/de/der-schwierige-traum-von-der-lithium-opec/a-63774508
[5] https://www.deutsche-rohstoffagentur.de/DE/Gemeinsames/Produkte/Downloads/DERA_Rohstoffinformationen/rohstoffinformationen-54.pdf?__blob=publicationFile&v=2
[6] https://www.n-tv.de/wirtschaft/Chile-verstaatlicht-Lithium-Abbau-article24071118.html
[7] https://amerika21.de/2023/03/263177/lithium-industrialisierung-argentinien
[8] https://kabulnow.com/2023/04/chinese-company-offers-10-billion-to-the-taliban-for-access-to-lithium-deposits/
[9] https://web.archive.org/web/20110514140029/http://business.timesonline.co.uk/tol/business/industry_sectors/natural_resources/article7149696.ece
[10] https://telepolis.de/-8516430
[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Ressourcenfluch