Rüstungsgroßprojekte: Milliardenpoker des Verteidigungsministeriums
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- Blankoscheck für Rüstungsprojekte?
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Der Coup des Ministeriums von Annegret Kramp-Karrenbauer: Zu wenig Geld im Militärbudget? Dann sollen andere Haushaltsposten aushelfen
Die Wunschliste von Politik und Militär ist lang, weshalb noch vor den Wahlen im September 2021 eine ganze Reihe von Rüstungsprojekten durch den Bundestag geschleust werden sollen. Hierfür übermittelte das Verteidigungsministerium (BMVg) bereits im Februar eine Liste mit 51 sogenannten 25-Millionen-Vorlagen.
Dabei handelt es sich um Vorhaben, die den besagten Betrag übersteigen und denen der Verteidigungs- und Haushaltsausschuss deshalb gesondert zustimmen muss. Schon damals wurde allerdings über eine weitere Aufstellung mit Rüstungsprojekten berichtet, die auf - vorsichtig formuliert - wackliger Finanzgrundlage stünden.
In einer zweiten Liste werden Vorhaben genannt, deren Finanzierung derzeit "nicht gesichert ist". Genannt werden 15 Projekte, darunter die Nachfolge für das Kampfflugzeug Tornado und die Beschaffung eines Schweren Transporthubschraubers.
Wirtschaftswoche
Insofern mag es auf den ersten Blick etwas überraschen, dass Anfang der Woche in zahlreichen Medien Alarm geschlagen und vor einem Scheitern diverser zentraler Rüstungsprojekte gewarnt wurde. Bei Spiegel Online hieß es beispielsweise:
Zahlreiche Rüstungs-Großprojekte der Bundeswehr stehen auf der Kippe, weil die Finanzierung nicht gesichert ist. Das geht aus einer vertraulichen Liste des Verteidigungsministeriums hervor, die auch dem SPIEGEL vorliegt. Die Kosten für die bisher nicht sicher finanzierten Vorhaben summieren sich auf etliche Milliarden Euro.
Spiegel online
Eine Erklärung, worin der Unterschied zwischen der Liste im Februar und der im Mai liegt, blieben aber nahezu alle Medienberichte schuldig. Er besteht vor allem darin, dass nun auch die deutsch-französischen Prestigeprojekte Kampfpanzer (Main Ground Combat System, MGCS) und Kampfflugzeug (Future Combat Air System, FCAS) den Stempel "nicht finanzierbar" verpasst bekommen haben.
Beide Vorhaben gelten aber als Schlüsselprojekte von zentraler Bedeutung auf dem Weg zu einem deutsch-französischen Rüstungskomplex und wurden mit viel politischem Kapitel angeschoben, weshalb ihr Scheitern einen ziemlichen Scherbenhaufen hinterlassen würde.
Dies gilt insbesondere für das FCAS, über das es in der aktuellen Ausgabe der Internationalen Politik heißt:
Strategisch gesehen wird das Luftkampfsystem der Zukunft der Testfall schlechthin für eine europäische Sicherheitspolitik sein. […] Der Druck auf die deutsche Regierung also ist immens, denn in diesem Sommer tritt FCAS in die entscheidende Planungsphase. […] FCAS war von Beginn an eher ein politisches denn ein militärisches Konzept, und vielleicht liegt darin ein Geburtsfehler. […] FCAS ist keine freiwillige Industriekooperation, sondern ein Projekt der politischen Machtzentren in Paris und Berlin.
Internationale Politik
Das Verteidigungsministerium argumentiert deshalb schon seit einiger Zeit, diese länderübergreifenden Großprojekte müssten aufgrund ihrer (industrie)politischen Bedeutung entweder über andere Haushalte finanziert oder über eine Zusicherung kontinuierlich und deutlich steigender Militärausgaben abgesichert werden.
Vor diesem Hintergrund hat sich das BMVg zu einem Erpressungsversuch entschlossen, bei dem es hoch pokert. Die Abgeordneten sollen unter Druck und ihnen die sprichwörtliche Pistole auf die Brust gesetzt werden: Entweder ihr sorgt in der ein oder anderen Form für viele zusätzliche Milliarden oder wir fahren zentrale deutsch-französische Rüstungsprojekte gegen die Wand.
Finanzierungsprobleme?
Seit Jahren kennt der Militärhaushalt nur den Weg nach oben: von 24,3 Milliarden Euro (2000) über 32,5 Milliarden Euro (2014) und 38,5 Milliarden (2018) auf 46,9 Milliarden Euro (2021) (siehe Rüstung in Zeiten der Pandemie). Dennoch sieht das von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn am 9. Februar 2021 veröffentlichte "Positionspapier: Gedanken zur Bundeswehr der Zukunft" weiteren Handlungsbedarf:
Angesichts dieser Gesamtlage stellen wir fest, dass die Bundeswehr trotz erheblicher Zuwächse im Verteidigungshaushalt in den vergangenen Jahren weiterhin unterfinanziert ist.
Positionspapier
Für wie unterfinanziert sich das Verteidigungsministerium genau hält, ließ es vermutlich bewusst durchsickern, indem die interne Finanzbedarfsanalyse 2022 an die Medien gelangte. Darin wird von einem Bedarf von 53,1 Milliarden Euro für das Jahr 2022 ausgegangen, der sich schrittweise bis 2025 auf 61,5 Milliarden Euro erhöhen soll.
Insofern hielt sich die Begeisterung auch in Grenzen, als die Eckwerte des Bundeshaushaltes vom 24. März 2021 für 2022 einen Haushalt von 49,3 Milliarden Euro vorsahen, obwohl es sich dabei um einer nochmalige deutliche Steigerung des Haushaltes handeln würde. Besonders erbost zeigten sich militärnahe Kreise aber über die weitergehende Finanzplanung für die Jahre 2023 (46,32 Milliarden Euro), 2024 (46,16 Milliarden Euro) und 2025 (45,73 Milliarden Euro).
Zwar fällt der endgültige Beschluss über den Haushalt 2022 ohnehin in die Verantwortung der nächsten Bundesregierung, die auch nicht an die Vorgaben der Eckwerte für die Jahre 2023 bis 2025 gebunden sein wird.
Die Sorge aber, dass die fetten Jahre unter Pandemiebedingungen und einer wahrscheinlichen Regierungsbeteiligung der Grünen nun vorbei sein könnten, dürfte die aktuelle Strategie des Verteidigungsministeriums befeuern, den eigenen budgetären Spielraum schon jetzt möglichst zu erweitern und den der kommenden Bundesregierung so weit als möglich einzuengen.
Outsourcing von Rüstungsgroßprojekten?
Schon November 2020 warnte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in einer Grundsatzrede:
Das führt mich zu einem zentralen Punkt: Ich werde einer Finanzierung von Großprojekten zu Lasten der Grundausstattung und der Mittel des täglichen Betriebs nicht zustimmen. […] Neue Großprojekte, so attraktiv sie scheinen und so schön es wäre, die damit versprochenen Fähigkeiten zu haben, können nur dann realisiert werden, wenn dafür in der Finanzplanung zusätzliches Geld bereitgestellt wird - oder wenn andere Großprojekte dafür nicht realisiert werden.
Annegret Kramp-Karrenbauer
Als Lösung für die Finanzierbarkeit der besonders teuren länderübergreifenden Großprojekte schwebt dem Verteidigungsministerium nun, wie bereits angedeutet, vor, deren Kosten einfach anderen Haushaltsposten aufs Auge zu drücken.
Zunächst tat sich mit diesem Vorschlag der CSU-Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl hervor (siehe "Das größte europäische Rüstungsprojekt überhaupt"). Als dann aber Kramp-Karrenbauer und Zorn dieselbe Forderung - wenn auch ein wenig verklausuliert - in ihrem bereits erwähnten Positionspapier zur Zukunft der Bundeswehr erhoben, war klar, dass diese abstruse Idee ernst zu nehmen war.
In diesem Zusammenhang weisen wir mit besonderem Nachdruck darauf hin, dass Verteidigung eine gesamtstaatliche Aufgabe ist, die sich nicht allein im Verteidigungshaushalt niederschlagen kann. Für die Finanzierung von politisch übergeordneten Großvorhaben, vor allem in der multinationalen Rüstungskooperation, steht die Bundesregierung gemeinschaftlich in der Verantwortung. Die staatliche Kernaufgabe Sicherheit muss breit getragen werden.
Positionspapier
Hier geht es um alles andere als Peanuts: Die wichtigsten "politisch übergeordneten Großvorhaben" der "multinationalen Rüstungskooperation" sind, wie erwähnt, das deutsch-französische Kampfflugzeug und der Kampfpanzer, bei denen jeweils von Entwicklungskosten von bis zu 100 Milliarden Euro die Rede ist.