Russische Armee erobert Soledar – und bald auch Bachmut?
Manches Ereignis im Ukraine-Krieg ist symbolisch wichtiger als strategisch. Rückzug aus Soledar wurde von Kiew zunächst dementiert. Meldungen beider Seiten sollten stets hinterfragt werden.
Das Geschehen in Soledar hat recht deutlich gezeigt, dass auch ukrainische Regierungsquellen – ebenso wie russische – nicht die Aufgabe einer realistischen Lagevermittlung haben, sondern einseitig gefärbt sind, was deutschen Medien nicht immer bewusst ist. Am Freitag, dem 13. Januar bestätigte das russische Verteidigungsministerium die Eroberung der Kleinstadt mit (vor dem Krieg) etwa 11.000 Einwohnern.
ISW und CNN melden Eroberung von Soledar ebenfalls
Gekämpft hatten dort auf russischer Seite vor allem Söldner des russischen Militärunternehmens PMC Wagner – und erstmals wurde deren wichtige Rolle auch in den offiziellen Pressemitteilungen der russischen Behörden auch erwähnt. Bereits an den Vortagen hatte es zahlreiche Meldungen darüber gegeben, dass die russischen Truppen Soledar übernommen hatten. Die erste Nachricht war eine Erfolgsmeldung des PMC-Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin am 11. Januar.
Daneben erwähnte das US-amerikanische Institute for the Study of War die Eroberung von Soledar in seiner Lagebeurteilung am 12. Januar, CNN sprach am gleichen Tag von einem geordneten Rückzug der Ukrainer aus der Stadt.
Die einzigen entgegengesetzten Stellungnahmen stammen von der ukrainischen Führung. Präsident Wolodymyr Selenskyj bestritt am 12. Januar das Abrücken seiner Truppen aus der Stadt, am Tag darauf sprach das ukrainische Oberkommando von andauernden Kämpfen, trotz anderslautender Berichte selbst aus dem Westen.
Die ostukrainische Kleinstadt ist zu einem Symbol im wechselseitigen Propagandakrieg geworden. Diese symbolische Überhöhung gibt es auch auf russischer Seite. Präsident Putin selbst sprach angesichts dieser ersten russischen Eroberung seit Monaten von einer "positiven Dynamik" an der Front.
Die symbolische Bedeutung übersteigt oft die strategische
Deren strategische Bedeutung wird unterschiedlich eingeschätzt. Die exilrussische Onlinezeitung Meduza sieht durch die Eroberung eine Chance der Russen, auch das seit Monaten von ihnen erfolglos angegriffene Bachmut erfolgreicher anzugreifen. Ein solcher Erfolg sei jedoch nicht bereits durch die Einnahme Soledars garantiert, da die Hauptverbindungsroute von Bachmut zum ukrainischen Hauptquartier in Kramatorsk durch die Einnahme noch nicht gefährdet sei.
Bachmut befindet sich zehn Kilometer von Soledar entfernt und ist mit vor den Kämpfen 74.000 Bewohnern das nächste größere Regionalzentrum. Bei ständigen Attacken der Russen von ukrainischen Soldaten über Monate gehalten, hat Bachmut eine noch größere Symbolwirkung als Soledar. Selenskyj selbst hat deshalb die Verteidiger besucht.
Eine russische Eroberung wäre für Kiew im Propagandakrieg eine schwere Niederlage. Die Stadt liegt vor allem in Folge ständigen Beschusses durch russische Truppen weitgehend in Trümmern.
Ob die strategische Bedeutung von Bachmut der symbolischen entspricht, ist laut Meduza umstritten, da die Ukrainer hinter der Stadt bereits eine neue Verteidigungslinie vorbereitet hätten. An dieser seien im Falle eines russischen Erfolges neue, monatelange Kämpfe zu erwarten.
Die Taktik der russischen Seite ziele aber auch nicht auf schnelle Vorstöße ab, sondern darauf, die ukrainischen Streitkräfte dort zu binden, wo für die russischen Truppen Vorteile bestünden. So wolle man den Ukrainern die Reserven für schnelle Offensiven wie im Herbst bei Charkow nehmen und Zeit gewinnen, bis noch mehr mobilisierte Russen einsatzbereit an der Front sind.
Ein Problem sei der hohe Munitionsverbrauch bei diesen heftigen Kämpfen, wo es Hinweise auf einen Rückgang der russischen Lagerbestände gebe, etwa einen nachlassenden Verbrauch im direkten Kampf.
Was traf das Wohnhaus in Dnipro mit 25 Toten?
Überschattet wurden die Meldungen über die Kämpfe um Soledar um einen Raketeneinschlag in einem Wohngebäude in Dnipro mit 25 Toten. Während klar ist, dass dieser zumindest mittelbar eine Folge russischer Raketen- und Drohnenangriffe war, ist umstritten, was konkret in das Haus einschlug.
Das Kommando der ukrainischen Luftwaffe spricht von einer russischen KH-22-Rakete, ebenso der Bürgermeister der getroffenen Stadt, Boris Filatov. Diese Rakete verfügt nach diesen Quellen über eine niedrige Zielgenauigkeit und könne kaum abgeschossen werden.
Dagegen meldet die russische Seite eine fehlgeleitete Luftabwehrrakete der Kiewer Truppen als Ursache der Explosion. Auch Selenskyjs Berater Alexej Arestowitsch äußerte sich in dieser Richtung, was ihm aus den eigenen Reihen heftige Kritik einbrachte.
Der durch einen russischen Angriff begonnene Ukraine-Krieg dauert mittlerweile seit knapp elf Monaten an. Neben zahlreichen toten Soldaten auf beiden Seiten wurden nach einer aktuellen Mitteilung der UNO in diesem Krieg mittlerweile 7.000 Zivilisten getötet.