Russische Hardliner drängen Putin zur Eskalation, da die USA weitere "rote Linien" überschreiten

Wladimir Putin mit Verteidigungsminister Sergei Schoigu (links) und dem Generalstabschef der russischen Streitkräfte Waleri Gerassimow bei einer Übung 2022 in der Region Primorje. Bild: Russische Föderation

Kreml-Kritiker werden immer lauter. Moskau drohe nur, während Washington sich immer mehr am Krieg beteiligt. Zieht Putin wegen ATACMS-Raketen die harte Linie?

Am Sonntag signalisierte US-Außenminister Antony Blinken, dass die USA die Ukraine nicht daran hindern würden, Langstreckenraketen aus amerikanischer Produktion einzusetzen, um Ziele innerhalb Russlands anzugreifen.

Connor Echols arbeitet für das US-Magazin Responsible Statecraft.

"Was ihre Entscheidungen über Ziele angeht, so ist das ihre Entscheidung, nicht unsere", sagte Blinken dem Sender ABC, bevor er hinzufügte, dass "wir den Einsatz von Waffen außerhalb des ukrainischen Territoriums weder ermutigt noch ermöglicht haben".

Blinkens Äußerungen, die auf Berichte über die baldige Entsendung von Langstreckenraketen durch die USA in die Ukraine folgen, sind das jüngste Beispiel für Washingtons Salamitaktik bei der Überschreitung der russischen roten Linien in diesem Konflikt.

US-Präsident Joe Biden hatte lange Zeit argumentiert, dass die Ausstattung Kiews mit taktischen Raketensystemen der Armee, besser bekannt als ATACMS, für den Kreml eine zu große Hürde darstellen würde. Aber diese Ansicht hat offenbar an Überzeugungskraft verloren, da Moskau seine Eskalationsdrohungen nicht wahr gemacht hat.

Inzwischen sind die russischen Falken zunehmend frustriert über Präsident Wladimir Putin. Viele prominente Persönlichkeiten vertreten die Ansicht, dass der russische Staatschef mehr tun muss, um die Amerikaner von einer Beteiligung an dem Krieg abzuhalten. Dieser zunehmende Druck könnte Putin zu einem drastischen Schritt veranlassen, so George Beebe vom Quincy Institute.

"Die Gefahr besteht darin, dass Putin in dem Maße, in dem Washington sicher sein kann, dass es keine russischen Vergeltungsmaßnahmen zu befürchten hat, zunehmend unter Druck gerät, dem Westen gegenüber rote Linien durchzusetzen", so Beebe.

Seine Kritiker argumentieren, wenn er nicht bald eine harte Linie zieht, wird es keine Grenzen für das geben, was die Vereinigten Staaten Kiew anbieten könnten.

Da die Gefahr einer Eskalation immer größer wird, ist es sinnvoll, einen Blick zu werfen darauf, wie der Druck auf Putin als Reaktion auf westliche Entscheidungen, rote Linien zu überschreiten, gewachsen ist.

Himars (Juni 2022)

In den ersten Monaten des Krieges argumentierte die Biden-Regierung, dass jede Verlegung von High Mobility Artillery Rocket Systems, besser bekannt als Himars, eine inakzeptable Provokation für Russland darstellen würde. Doch als die Ukraine im April und Mai letzten Jahres das Blatt wendete, beschlossen die USA, dass es an der Zeit sei, Kiew das moderne Waffensystem zu liefern.

Diese Entscheidung war allerdings mit erheblichen Auflagen verbunden. Colin Kahl, damals Unterstaatssekretär für US-Verteidigungspolitik, sagte, die Vereinigten Staaten hätten sich von der Ukraine zusichern lassen, dass das Himars-System nicht für Angriffe auf russische Ziele eingesetzt würde. Diese Zusage wurde durch die Tatsache untermauert, dass Washington nur Raketen mit kürzerer Reichweite für den Einsatz mit dem Hightech-System lieferte.

"Wir haben kein Interesse daran, dass sich der Konflikt in der Ukraine zu einem größeren Konflikt ausweitet oder sich zu einem Dritten Weltkrieg entwickelt, deshalb haben wir Vorsicht walten lassen", sagte Kahl damals gegenüber Reportern.

Gleichzeitig hat Russland aber auch kein Vetorecht bei dem, was wir den Ukrainern schicken.

Der Schritt löste in Russland sofort heftige Reaktionen aus. Eine prominente russische Fernsehmoderatorin sagte, die Lieferung der Waffen würde "eindeutig eine rote Linie überschreiten". Sie fügte hinzu, sie betrachte den Schritt als "einen Versuch, eine sehr harte Reaktion Russlands zu provozieren".

Später im Sommer sagte der Duma-Abgeordnete Michail Scheremet, die US-Politik habe "längst alle zulässigen roten Linien überschritten und treibt das Land mit voller Geschwindigkeit in den Abgrund und ins Chaos".

Russische Hardliner haben die Führung des Landes weiter unter Druck gesetzt, als die Unterstützung des Westens zunahm. Im September letzten Jahres wurde die Kritik so laut, dass die regierungstreue Prawda ein Meme veröffentlichte, in dem der Kreml auf die Schippe genommen wurde, weil er es dem Westen in den letzten Jahren erlaubt habe, so viele rote Linien zu überschreiten.

Trotz dieses Drucks unternahm der Kreml wenig, um seine erklärten roten Linien mit Taten zu unterfüttern. Im Oktober schien Alexej Polischtschuk, ein hochrangiger russischer Diplomat, die Zielpfosten zu verschieben, als er sagte, dass "die Lieferung von Langstreckenwaffen oder stärkeren Waffen an Kiew" für den Kreml eine rote Linie darstellen würde.