Russische Hardliner drängen Putin zur Eskalation, da die USA weitere "rote Linien" überschreiten
Seite 2: M1-Abrams-Panzer (Januar 2023)
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Nur wenige Monate nach Polischtschuks Äußerungen erklärten sich die USA bereit, der Ukraine ihr bisher stärkstes Waffensystem zu liefern: den M1-Abrams-Panzer. Offizielle Stellen hatten zuvor argumentiert, dass die Fahrzeuge die Ukraine vor zu große logistische und wartungstechnische Probleme stellen würden.
Die Bedenken der Regierung hinsichtlich einer Eskalation spielten mit Sicherheit eine Rolle bei ihrer Zurückhaltung. Doch als Deutschland beschloss, einige seiner eigenen Leopard-II-Panzer zu schicken, wurde die Entscheidung für die Vereinigten Staaten leichter.
In seiner Ankündigung der Lieferung spielte Biden die Gefahr einer Eskalation herunter.
"Es ist keine Bedrohung für Russland", sagte er. "Es gibt keine Angriffsbedrohung für Russland. Wenn die russischen Truppen nach Russland zurückkehren, wo sie hingehören, wäre dieser Krieg heute zu Ende".
Russische Regierungsvertreter bezeichneten die Entscheidung des Westens, Panzer an die Ukraine zu liefern, als "extrem gefährlich". Aber auch sie spielten die Bedeutung des Vorhabens herunter, indem sie sagten, dass es sich um einen "ziemlich katastrophalen Plan" handele, der Kiew kaum helfen werde.
In den folgenden Monaten wurde die Kritik russischer Experten jedoch noch offensiver. Im März hatte der ehemalige russische Staatschef Dmitri Medwedew vorgeschlagen, dass Moskau den Einsatz von Atomwaffen in dem Konflikt in Erwägung ziehen sollte, falls die Ukraine damit beginnen sollte, das Gebiet anzugreifen, das Russland als sein Territorium betrachtet, einschließlich der Krim. Im April erklärte der Politologe Sergej Markow, "wütende Patrioten" wollten, dass der Kreml nachdrücklicher auf die ihrer Meinung nach direkten US-Angriffe auf Russland reagiere.
F-16 (Mai 2023)
Seit den ersten Tagen des Krieges äußerte die Biden-Regierung Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen, die die Entsendung von Kampfjets in die Ukraine nach sich ziehen könnten. Im vergangenen Jahr blockierte das Weiße Haus sogar einen polnischen Vorschlag, Flugzeuge aus russischer Produktion nach Kiew zu schicken, weil man eine Eskalation der Spannungen mit Moskau befürchtete.
Berichten zufolge war es vor allem das Pentagon, dass sich gegen die Entsendung von F-16-Kampfflugzeugen stellte, während Blinken die Besorgnis über eine Eskalation mit der Bemerkung herunterspielte, dass Russland bisher keine seiner roten Linien eingehalten habe. Noch im Februar dieses Jahres wich Biden der Frage aus und argumentierte, dass die Ukraine "jetzt keine F-16 braucht".
Am Ende setzten sich Biden und die, die ihn unterstützten, durch. Er kündigte im Mai an, dass die USA Dänemark und den Niederlanden erlauben würden, einige ihrer F-16 in die Ukraine zu schicken. Die ukrainischen Piloten haben mit einer intensiven Schulung für die Bedienung der Flugzeuge begonnen, die im nächsten Jahr eintreffen sollen.
Russland sagte, dass die F-16 ein "extrem großes Risiko" darstellen würden, da die Flugzeuge in der Lage sind, Atomwaffen zu tragen. (Die Ukraine hat übrigens keinen Zugang zu Atomwaffen.)
Ein prominenter russischer Blogger nahm die mangelnde Bereitschaft Moskaus, die rote Linie gegen die F-16 durchzusetzen, aufs Korn und schrieb, "dass sich die Situation systematisch weiter verschlechtern wird, wenn die Verantwortlichen nicht rechtzeitig und entschlossen handeln".
Ein pensionierter russischer General ging noch einen Schritt weiter und schlug vor, Moskau solle taktische Atomwaffen auf Stützpunkte in der Nähe der Ukraine verlegen oder sogar Angriffe auf Flugplätze in Nato-Ländern in Betracht ziehen, die F-16 liefern könnten.
ATACMS (September 2023)
Im Juli 2022 vertrat der nationale Sicherheitsberater Bidens, Jake Sullivan, die Ansicht, dass die Entsendung von Langstreckenraketen in die Ukraine die USA und Russland auf den "Weg zu einem dritten Weltkrieg" bringen würde. Diese Haltung erregte die Aufmerksamkeit der leidenschaftlichsten Befürworter der Ukraine in den USA, darunter der Abgeordnete Adam Smith (Demokrat vom Bundesstaat Washington), der Biden letztes Jahr vorwarf, in dieser Frage "Putins Rhetorik zu vertrauen".
Biden hat sich in der Frage der taktischen Raketensysteme, den ATACMS, bisher zurückgehalten und im Dezember argumentiert, dass das Eskalationspotenzial für einen Krieg zwischen der Nato und Russland zu groß sei, um es in Kauf zu nehmen. Jüngste Berichte deuten jedoch darauf hin, dass die Regierung nach monatelangem Druck ihre Politik erneut ändern wird.
Sollten diese Berichte zutreffen, wird Russland diesen Schritt mit Sicherheit als eine große Provokation auffassen, wie Biden selbst im vergangenen Jahr argumentierte.
Angriffe innerhalb Russlands und der Weg zur Eskalation
Ein Großteil dieser Debatte dreht sich um eine zentrale Frage: Sollten die USA ukrainische Angriffe innerhalb Russlands unterstützen? Blinkens jüngste Äußerungen deuten darauf hin, dass die Biden-Regierung ihre Position in dieser Frage von einem klaren "Nein" zu einem stillschweigenden "Ja" geändert hat.
Da die russischen Hardliner weiterhin zur Eskalation aufrufen, bleibt Putin nur eine schwindende Zahl von Möglichkeiten, seinen Unmut über die US-amerikanische Kriegspolitik zu signalisieren. Unter anderem könnte er ein westliches Flugzeug abschießen, das in die Nähe des russischen Luftraums fliegt.
Oder er könnte einen verdeckten Angriff auf einen Nato-Stützpunkt planen, wie er es 2014 mit einem tschechischen Waffendepot tat. Wie Beebe vom Quincy Institute feststellt, könnte Putin auch US-Satelliten angreifen, um die logistische Unterstützung des Westens für ukrainische Operationen zu beeinträchtigen.
Doch am Horizont zeichnet sich eine noch bedrohlichere Gefahr ab. Wenn die Ukraine anfängt, mit modernen westlichen Waffen weitere militärische Erfolge zu erzielen, befürchten einige Analysten, dass Putin zur ultimativen Waffe greifen könnte.
"Wenn das russische Militär nicht in der Lage ist, eine Eskalation herbeizuführen oder die Ukraine daran zu hindern, [ihr Territorium zurückzuerobern], wird Putin keine andere Möglichkeit haben, den Krieg militärisch zu eskalieren, also durch eine Atomwaffe", sagte General a.D. Kevin Ryan Anfang dieses Jahres gegenüber Responsible Statecraft.
Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Responsible Statecraft. Sie finden das englische Original hier. Übersetzung: David Goeßmann.