Russische Rakete auf Nato-Flugzeug: Als wir vor dem Dritten Weltkrieg standen

Ein anderer Zwischenfall als der unten beschriebene, der ebenfalls die Spannungen aufzeigt. Attacke auf eine US-Überwachungsdrohne über dem Schwarzen Meer durch einen russischen Kampfjet am 18. April 2023. Bild: U.S. European Command

Pentagon-Leak offenbart, dass Russland beinahe einen Nato-Aufklärer über der Krim abschoss. Mit Glück sind wir dem nuklearen Holocaust entgangen. Warum die Gefahren zunehmen.

Ein britisches Nato-Überwachungsflugzeug startet vom Militärflugplatz Waddington in England, überfliegt Europa Richtung Schwarzes Meer. Es geht um eine Abhörmission militärischer und nachrichtendienstlicher Kommunikation rund um die von Russland okkupierte Krim.

Das war am 29. September im letzten Jahr. An Bord des Flugzeugs sind 30 Crew-Mitglieder. Wir wissen das durch die Veröffentlichung eines Pentagon-Geheimdokuments, mutmaßlich geleakt von dem Luftwaffensoldaten Jack Teixeira in einem Discord-Gruppenchat.

Wir haben im Zuge des Leaks tatsächlich noch mehr über diesen Zwischenfall erfahren. Denn als der britische Aufklärer die Küste der Krim erreichte, stiegen zwei russische Kampfjets in den Himmel, um das Flugzeug auf seiner Nato-Mission abzufangen.

Was dann folgte, war brandgefährlich. Ein russischer Pilot, auf Befehl der Kommandozentrale, feuerte eine Rakete auf das Aufklärungsflugzeug mit den Soldaten der Royal Air Force ab. Aufgrund einer technischen Panne verpasste die Rakete ihr Ziel.

Wir standen also kurz vor einem Dritten Weltkrieg. Denn der Nato-Vertrag ist unmissverständlich. Wird ein Mitglied angegriffen, tritt der Bündnisfall ein. Alle Nato-Staaten sind verpflichtet, das als einen Angriff auf alle zu betrachten und gemeinsam zu reagieren.

Die New York Times sprach nach der Veröffentlichung der Pentagon-Dokumente mit zwei US-Verteidigungsbeamten, die die Geschichte bestätigten und weitere Details lieferten:

... der russische Pilot hatte missinterpretiert, was ein Mitarbeiter am Radargerät auf der Militärbasis zu ihm sagte und dachte, er hätte die Erlaubnis zu feuern. Der Pilot, der das britische Flugzeug im Visier hatte, schoss, aber die Rakete startete nicht richtig.

Seitdem werden nun Spionage-Flugzeuge der Nato bei Einsätzen über dem Schwarzen Meer von britischen Kampfjets eskortiert. Die Gefahr der militärischen Eskalation zwischen der Nato und Russland, die letztlich in einem nuklearen Holocaust enden würde, wird damit aber nicht gebannt, sondern erhöht.

Eskalations-Alarmsignale und Medien-Blackout

Die Medien weltweit, auch in Deutschland, gingen über den Zwischenfall lässig hinweg. Der Beinahe-Abschuss eines Nato-Flugzeugs im Schwarzen Meer nahe der Krim durch Russland fand keinen Eingang in die politischen Debatten über den Krieg in der Ukraine.

Währenddessen wird die Schwelle, die den Krieg von einer direkten militärischen Konfrontation zwischen Nato und Russland trennt, immer schmaler. Drei Tage vor dem Beschuss-Vorfall sprengten Saboteure die Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee – ein Kriegsakt, für den Washington und Moskau sich gegenseitig die Schuld zuschieben.

Die Spannungen zwischen den Stellvertretern nehmen auf verschiedenen Ebenen zu. So wurde die Frequenz der Nato-Aufklärungsflüge von alle zehn Tage auf viermal pro Woche erhöht, während Russland auf den "elektronischen Krieg" mit mehr Kampfjet-Präsenz und Schikanen begegnete.

In den geleakten Dokumenten finden wir einen weiteren Grund zur Sorge. Denn nicht nur unterstützt der US-Kongress die ukrainische Regierung und die Alliierten mit 113 Milliarden US-Dollar an militärischer Unterstützung und Hilfe. Ferner sind US- und Nato-Spezialtruppen in der Ukraine in den Krieg vor Ort involviert.

All das sind Alarmsignale, dass der Krieg schnell außer Hand geraten kann. "Der außerordentlich gefährliche Zwischenfall unterstreicht die Notwendigkeit, unnötige Provokationen zu vermeiden und klare Regeln zu vereinbaren, um potenzielle Zusammenstöße zu steuern und zu vermeiden", sagte Anatol Lieven, Eurasien-Programmdirektor am Quincy Institute.

Welche Lehren sollten wir daraus ziehen? Die Medien im Westen müssen endlich beginnen, ihr Publikum über die Gefahren angemessen zu informieren und vor den Eskalationsspiralen zu warnen.

Zudem wäre es an der Zeit, das zu beherzigen, was Analysten und Kenner der Region in den USA seit Langem und immer eindringlicher einfordern: Anstatt den Krieg der Nachrichtendienste zu befeuern, sollten wir Diplomaten an die Front schicken, um einen Waffenstillstand zu verhandeln, der das Fundament legen kann für eine Friedenslösung.