Russischer Einfluss auf Wahlen in der EU: Eine staatstragende Verschwörungstheorie?

Als "prorussisch" geframed: der frisch gewählte Peter Pellegrini. Archivbild: European Parliament / CC-BY-2.0

Diskussion um Präsidentenwahl in der Slowakei als Vorgeschmack: Wer oder was gilt bei der EU-Wahl als "prorussisch"? Was sind die Konsequenzen? Ein Kommentar.

In der Slowakei hat der gemäßigte Sozialdemokrat Peter Pellegrini die Präsidentschaftswahl gewonnen. Das war eigentlich keine Überraschung. Schließlich war er als Favorit in die Wahl gegangen und auch nach dem ersten Wahlgang, in dem sein konservativer, prowestlicher Gegenkandidat überraschend vorne lag, überwogen die Stimmen für Kandidaten, die zuvor bekundet hatten, im Fall einer Stichwahl keinen Pro-Nato-Kandidaten zu unterstützen. Mit 53 Prozent setzte sich Pellegrini dann am 6. April in der Stichwahl durch.

Allerdings hat er als Präsident, ähnlich wie in Deutschland, nur wenig Einfluss. Hinzu kommt, dass das kleine Land kaum Schlagzeilen macht und selbst von US-Präsidenten schon mal mit Slowenien verwechselt wurde. Dass die Präsidentschaftswahl dennoch einige Schlagzeilen machte und tagelang Zeitungen und Radiosender beschäftigte, lag an der Behauptung, Russland habe sie mit Fake News beeinflusst.

Russlands Einfluss auf die Wahlen: Realität oder Propaganda?

So wird auch vor allem in liberalen Medien immer besonders herausgestellt, der neue Präsident sei prorussisch und regierungstreu. Nun sind diese Adjektive schon recht merkwürdig. Denn in den meisten Ländern, auch in Deutschland, sind schließlich die Präsidenten regierungstreu.

Frank-Walter Steinmeier war sogar mal SPD-Kanzlerkandidat und ist seiner Partei eng verbunden. Pelligrini hingegen hat die sozialdemokratische Smer-Partei des slowakischen Premierministers Robert Fico verlassen und eine eigene Partei gegründet, die bisher immer als moderat galt.

Nun müsste seine Wahl zum Präsidenten eigentlich eine gute Nachricht sein. Ein gemäßigter Sozialdemokrat als Präsident und ein Sozialdemokrat als Premierminister sind eigentlich Konstellationen, die auch der Westen bisher noch ertragen hat.

Die slowakische Wahl: Schachspiel zwischen Russland und der EU?

Aber da ist ja noch Russland – und Präsident und Premierminister sind sich einig, dass im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine nicht immer mehr Waffen, sondern mehr Friedensinitiativen nötig wären.

Das veranlasst den taz-Korrespondenten Florian Bayer dazu, die Wahl insgesamt infrage zustellen:

Peter Pellegrini gewinnt die Präsidentschaftsstichwahl in der Slowakei. Auch russische Desinformationskampagnen bremsten Gegenkandidat Korčok aus.

Florian Bayer, taz

Mediale Einflussnahme auf Wahlen: Ein Spiel auf Gegenseitigkeit

Nun soll nicht bestritten werden, dass im Kampf der Machtblöcke auch Russland mitmischt und über Medien aller Art auf unterschiedliche Länder einwirkt. Das tut übrigens auch der globale Westen gegenüber Russland und den mit Russland verbündeten Ländern. Auch EU-Länder bekommen den Druck der EU-Nomenklatura zu spüren.

Das galt für Griechenland bei der Durchsetzung der Austeritätspolitik, für das rechtskonservativ regierte Ungarn, wo eben nicht deren in der Tat abzulehnende Politik gegen Minderheiten aller Art im Vordergrund steht, sondern deren Widerstand gegen die Aufrüstung der Ukraine.

Neuerdings wird auch die Slowakei wieder verstärkt in die Reihe der Staaten aufgenommen, die dann mit dem vagen Begriff "prorussisch" bewertet werden. Die taz hat noch kurz vor den Wahlen ein ganzes Dossier unter dem Stichwort "Russische Desinformation" veröffentlicht, in dem nachgewiesen werden soll, dass "russische Einflussnahme höchste politische Kreise" erreicht habe.

Der Journalist Christian Jakob, der bisher durch verdienstvolle Texte über die tödliche Abschottungspolitik der EU aufgefallen ist, liefert zu Beginn des längeren Textes Beispiele für russische Desinformationskampagnen, auch mit ki-gestützten Stimmenimitationen. Damit hat Pelligrini allerdings nichts zu tun, sondern seine rechten Kontrahenten.

Deeskalation und Soziales verfängt bei Wahlen

Der nun gewählte moderate Sozialdemokrat setzt sich nicht nur dafür ein, dass der Krieg zwischen Russland und der prowestlichen Fraktion in der Ukraine nicht weiter eskaliert, sondern punktet auch mit seiner Sozialpolitik, was ihm auch der taz-Korrespondent bescheinigt:

Auch beim Thema Sozialpolitik – über die der Präsident im übrigen gar nicht entscheidet – sei er überzeugend gewesen. Nicht zuletzt, so Štefančík, konnte Pellegrini auf die Ressourcen des Staats für seinen Wahlkampf zurückgreifen. Fico hatte ihn im Zuge der Regierungsbildung letzten Herbst zum Nationalratspräsidenten gemacht. Zu Gute dürften ihm laut Štefančík die Wähler der ungarischen Minderheit gekommen sein, vor allem in der Südslowakei.

Florian Bayer, taz

Ein Präsident, der Minderheiten nicht diskriminiert und deshalb von ihnen gewählt wird, und der für eine Sozialpolitik auch für die einkommensschwachen Teile der Bevölkerung eintritt, statt für immer mehr Geld in die Rüstung, muss all denen ein Gräuel sein, die innerlich längst die militaristische Parole "Kanonen statt Butter" übernommen haben.

So kann dann ein Korrespondent, der selbst schreibt, dass Sozialpolitik eine wichtige Rolle bei der Wahl spielte, auch weil die prowestlichen Parteien an der Regierung durch Streit und massive Sozialkürzungen aufgefallen sind, dem Gewählten trotzdem das Prädikat "prorussisch" verpassen.

Die NS-Geschichte, von der niemand mehr hören will

Dieser Umgang mit den Wahlen in der Slowakei ist auch deshalb interessant, weil sie erahnen lassen, auf was wir uns in den künftigen Monaten einstellen müssen bei den Wahlen in der EU aber auch in EU-Ländern wie Deutschland. Nur werden hierzulande, in einem Land, das nie zwischen der Sowjetunion und Russland zu unterscheiden wusste und im Zweifel beiden die Niederlage von Stalingrad nie verziehen hat, besondere deutschnationale Reflexe bedient.

Ein Land, dass die deutschen Verbrechen in der Sowjetunion, auch in der damals sowjetischen Ukraine, nie aufgearbeitet hat, will wieder Russland vernichten und alle alten osteuropäischen Bündnispartner von früher sind wieder mit an Bord. Das gilt auch auf dem Gebiet der Slowakei.

Einige dieser heute prowestlichen Oppositionsparteien haben bis heute keine klare Distanz zu dem nationalsozialistischen Satellitenstaat Slowakei, der mit Hitler-Deutschland den eliminatorischen Antisemitismus und die Feindschaft zur Sowjetunion teilte.

Einige der Parteien, die heute in deutschen Medien wieder als prorussisch klassifiziert werden, wurden schon Ende der 1930er-Jahre verboten. Ihre Mitglieder wurden massiv verfolgt. Doch das ist heute in Deutschland kein Thema mehr, der Erinnerungsweltmeister hat seine eigene Geschichte gut vergraben.

Blaupause für Wahlkämpfe in der EU

Der Umgang mit der slowakischen Wahl ist deshalb so interessant, weil er eine Blaupause für das ist, was und demnächst noch bevorstehen wird. So schrieb Christian Jakob:

An diesem Samstag wählt die Slowakei nun auch einen neuen Staatspräsidenten. Die Abstimmung könnte das osteuropäische Land endgültig zum zweiten EU-Staat machen, der der bedrängten Ukraine die Unterstützung entzieht, wie zuvor Ungarn. Die Sorge vor russischer Desinformation und Wahlmanipulation in der Slowakei und darüber hinaus ist groß, auch mit Blick auf die EU-Wahlen im Juni. Denn sehr klar wurde in der Slowakei sichtbar, wie Russland in seinem Informationskrieg gegen den Westen vorzugehen bereit ist – und wie es damit Erfolg haben kann.

Christian Jakob, taz

Die beste Lösung für die Menschen in der bedrängten Ukraine könnte auch ein schneller Waffenstillstand mit anschließenden Neutralitätsgarantien sein. Auch die vielen Menschen, die sich dem Krieg durch eine Flucht entzogen haben, kämen dann vielleicht wieder zurück. Aber schon diese Einschätzung kann einem das Prädikat prorussisch einbringen.

Welche Bündnispartner linksliberale Warner vor der russischen Gefahr haben, konnte man in der FAZ vom Wochenende lesen. Dort ergeht sich ein Oberst Johann Schmid über den hybriden Krieg, den in seiner Lesart natürlich nur Russland gegen den Westen führt. Hinter der Bezahlschranke können wir dann lesen, wer für diesen Oberst Schmid Teil dieses hybriden Krieges ist .

Etwa das, was im Englischen als "weaponzed migration" bezeichnet wird, also als Waffe, um den Gegner durch irreguläre Migrationsströme zu destabilisieren.

Oberst Johann Schmid, FAZ

Der Militär hat dann gleich den Schwachpunkt Deutschland in diesem hybriden Krieg "entdeckt".

Migranten als Rammbock des Feindes?

Nachdem viele Länder, etwa Schweden, ihre Migrationspolitik geändert haben, entfaltet Deutschladn durch die leichte Zugänglichkeit zu seinen Sozialsystemen immer noch eine Sogwirkung. Das macht es hybriden Herausforderern leicht, ihre fünften Kolonen und Schläferzellen unter dem Deckmantel der Migration zu platzieren und indirekt noch vom Steuerzahler alimentieren zu lassen. Das war niemals einfacher als heute.

Oberst Johann Schmid, FAZ

Bis in die Wortwahl könnte das Statement in jeder Wahlwerbung der AfD oder einer anderen Rechtsaußengruppierung stehen. Was Schmid hier propagiert, ist der Krieg gegen die Ärmsten unter dem Deckmantel des Kampfes gegen den hybriden russischen Krieg. Dieser Krieg wird schon seit Jahren an der Grenze zwischen Belorussland und Polen geführt und die mörderischen Konsequenzen können wir in dem Film "Green Borders" von Agniezka Holland sehen.

Statt sich selber an den militaristischen Planspielen von den hybriden Kriegen zu beteiligen, sollten lieber die mörderischen Konsequenzen in den Mittelpunkt gestellt werden, die ein Oberst Schmid ganz offen benennt. Christian Jakob, der seit vielen Jahren publizistisch für die Rechte der Geflüchteten eintritt, wird da sicher zustimmen. Die Parole müsste heißen: Wir beteiligen uns nicht an Euren Kriegen, auch nicht an den hybriden.


Redaktionelle Anmerkung: Im ersten Absatz wurde die folgende Passage korrigiert bzw. präzisiert: "Schließlich war er als Favorit in die Wahl gegangen und auch nach dem ersten Wahlgang, in dem sein konservativer Gegenkandidat überraschend vorne lag, hatte er rein rechnerisch die Nase vorn" ergab ohne Hinweis auf inhaltliche Positionen weiterer Kandidaten keinen Sinn. Der Satz wurde somit ersetzt durch: "Schließlich war er als Favorit in die Wahl gegangen und auch nach dem ersten Wahlgang, in dem sein konservativer, prowestlicher Gegenkandidat überraschend vorne lag, überwogen die Stimmen für Kandidaten, die zuvor bekundet hatten, im Fall einer Stichwahl keinen Pro-Nato-Kandidaten zu unterstützen."