"Russki Mir": Ideologie des Putinismus erobert Russlands Schulen und Unis
Die Staatliche Universität Moskau, auch Lomonossow-Universität Moskau, ist die größte Uni in Russland. Bild: Alexander Smagin / Unsplash Licence
Im russischen Bildungsbereich findet ein radikaler Umbruch statt. Liberale Hochschulen und unliebsame Lehrkräfte werden ins Visier genommen. Wohin geht die Reise?
Die russischen Schulen und Universitäten waren noch bis zur russischen Ukraine-Invasion im Februar 2022 ein vergleichsweise ideologiearmer Ort. Einige Hochschulen galten auch als liberal und fortschrittlich mit entsprechendem Lehrpersonal und internationalen Kontakten. Moderne, urbane Studenten standen oft dem herrschenden System Putin sehr kritisch gegenüber. Die normalen Schulen waren weit von der Politik.
Diese Bildungswelt ist seitdem in einem radikalen Umbruch. Die Ideologen des politischen Establishments haben die Weltanschauung der "Russki Mir", der Russischen Welt als theoretische Grundlage des Putinismus entwickelt. Sie ist ultrakonservativ, wenn nicht reaktionär, setzt auf die Einheit alles "Russischen", womit notfalls auch gegen ihren Willen Ukrainer und Weißrussen eingeschlossen sind. Die Ideale liegen in der Vergangenheit und sind natürlich gegen den Westen gerichtet.
Wer abweicht, wird bestraft
Parallel werden nun in der Welt der Bildung alle Einrichtungen auf Kurs gebracht. Regierungskritische Professoren wie Ilja Inischew von der Moskauer Hochschule für Wirtschaft wurden entlassen oder wie der linke Soziologe Boris Kagarlizky, Professor an der Moskauer Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften gleich inhaftiert.
Einstmals als fortschrittlich geltende Universitäten wie die Moskauer Higher School of Economics stehen unter verstärkter Beobachtung des Inlandsgeheimdienstes FSB und fahren notgedrungen einen Anpassungskurs. Als aktuellster Fall gilt die Europäische Universität in Sankt Petersburg. Sie erhielt erst in dieser Woche eine Strafe wegen einer Teilnahme an Aktivitäten einer "unerwünschten Organisation".
Grundlage waren Bücher über antike chinesische Philosophen, Petersburger Universitäten, kulturelle Unterschiede zwischen Nationen und die Globalisierung in der Unibibliothek. Diese wurden mit Unterstützung westlicher NGOs erstellt, die von Seiten von Russlands Offiziellen als unerwünscht gelten, etwa das US-amerikanische Kennan Institute.
Nach Auskunft der Universität befanden sich die Werke in der Bücherei noch aus der Zeit, als es in Russland noch gar kein Gesetz über "unerwünschte Organisationen" gab. Sie will deswegen gegen die Strafe vorgehen – die Zeit solcher Literatur in russischen Bildungseinrichtungen dürfte jedoch definitiv vorbei sein.
Ideologie soll in alle Unterrichtsfächer wandern
Neben dem Austausch von unliebsamem Lehrpersonal und einer Säuberung der Bibliotheken ist ein drittes Standbein der Ideologisierung an Russlands Schulen und Unis die 2022 eingeführten sogenannten "Gespräche über wichtige Dinge". Hier erfahren die russischen Schüler in speziellem Unterricht etwa, dass Wahlen im Land "korrekt und objektiv" seien und dass die "Meinung jedes Wählers berücksichtigt wird".
Zentrale Inhalte sind Patriotismus und Staatsbürgerkunde, historische Bildung und Moralvermittlung im Sinne des Kreml. Putin selbst erteilte in diesen Unterrichtsstunden mehrfach Lektionen und erklärte etwa im letzten September Schülern in Kaliningrad, dass die russische Armee mit ihrer Invasion des Nachbarlandes eigentlich beabsichtigt, einen "Krieg zu stoppen" und "Menschen zu schützen".
Der Umfang dieses Ideologieunterrichts beträgt an den Schulen aktuell eine Stunde pro Woche. Das ist dem Russischen Bildungsministerium jedoch nicht genug.
Die ideologische Arbeit soll nach dem Willen der Akademie des Ministeriums nach einer aktuellen Mitteilung nun auch auf alle übrigen Schulfächer des Lehrplans ausgeweitet werden. So sollen sich Geographielehrer auf die "technischen Errungenschaften des Landes" konzentrieren oder Physiklehrer über die russische Raumfahrt referieren. Geschichtsbücher werden aktuell ideologisch überarbeitet. Alle Fächer sollen in die Vermittlung der "Russischen Welt" eingeschlossen werden.
Was all diese Bestrebungen vereint, ist die Konzentration des Bildungsbereichs auf das Nationale und Traditionen. Moderne Kommunikationsformen wie das Internet werden von den Ideologen eher als Gefahr und weniger als Möglichkeiten für Jugendliche und junge Erwachsene gesehen.
Hier hallt nach, dass die in Russland weitgehend online vernetzte junge Generation in allem Umfragen zur Regierung stets die kritischste Einstellung hat. Das zu ändern ist der wahre Hintergrund aller Bestrebungen der russischen Behörden, wenn sie ideologisierte Unterrichtseinheiten installieren und auf den gesamten Schulbetrieb ausweiten.
Nicht einverstandenen russischen Eltern bleibt in diesem Klima nur das vorsichtige Gespräch mit dem eigenen Nachwuchs über die neuen Inhalte, die die Kinder aus der Schule mitbringen. Exilrussische Medien wie die Onlinezeitung Meduza widmen dem Austausch solcher Eltern umfassenden Raum.
Dabei wird deutlich, dass sie sich alle in der Defensive befinden. Jedoch gab es ideologischen Unterricht in Russland auch zur Sowjetzeit – wirklich verinnerlicht wurde er von denen, die ihn absolvieren mussten, in vielen Fällen nicht.