Russland: Vom Frauengefängnis an die Front

Seite 2: Russische Scharfschützinnen in der Ukraine

Unter den in Gefängnissen rekrutierten Männern sind die Verluste hoch. Werden auch Frauen in gefährliche Brennpunkte im Kriegsgeschehen geschickt?

Olga Romanowa: Ja, das werden sie. Man preist ihnen ihre Aufgabe als Scharfschützinnen an – doch sie sind Kanonenfutter. Ich weiß, dass einige auch als Drohnenpilotinnen an vorderster Front arbeiten, aber in der Regel operieren sie als Scharfschützinnen.

Das ist eine schwierige Aufgabe mit harten körperlichen Anforderungen. Und sie werden gar nicht dafür ausgebildet. Meine Kontakte schicken mir viele Bilder, auf denen Tote zu sehen sind. So kam ich an die von zwei gefallenen Frauen, davon eine nur etwa 20 Jahre alt, die man identifizieren konnte.

Wie viele Frauen wurden rekrutiert?

Olga Romanowa: Es begann schon Dezember letzten Jahres. Es waren Frauen aus der Strafkolonie Sneschnoje, das ist in der Region Lugansk. Es betrag die ganze Kolonie. Ich weiß nicht, was aus ihnen geworden ist.

Konkrete Zahlen kenne ich nur von einzelnen Rekrutierungen, etwa im September in einer Frauenkolonie bei Sankt Petersburg. Dort haben sie in der Gefängnisaula aktiv geworben für einen Vertrag mit einer Laufzeit von einem Jahr im Gegenzug für die vollständige Rehabilitation.

Zunächst wurden Frauen mit Hepatitis und HIV aussortiert, die nimmt das Militär nicht. Es sollten 300 rekrutiert werden, bei einer Koloniegröße von 800. Sie gehen aber wirklich freiwillig – seit Kriegsausbruch ist mir kein Fall von Zwangsrekrutierung untergekommen.

Kann es sein, dass das nur so dargestellt wird?

Olga Romanowa: Nein. Wir hatten mehrere Gelegenheiten, wo wir nah dran waren. Wir haben Leute befragt, wo die Verwandten dem zustimmten. Sie wollen oft nicht verstehen, dass es besser ist, in einer Zelle zu sitzen, als in einem Schützengraben. Die Gefangenen denken wie die Mehrheit der russischen Bevölkerung. Sie unterschreiben Verträge, ohne das Kleingedruckte zu lesen.

Frau Romanowa, vielen Dank für das Gespräch

Olga Romanowa ist Journalistin und Vorsitzende der russischen Menschenrechtsorganisation "Russland hinter Gittern". 2017 musste sie vor einer drohenden Verhaftung durch die Behörden nach Deutschland fliehen und leitet seitdem die Organisation aus dem Exil.