Russland verdreifacht Drohnen-Produktion im Krieg gegen die Ukraine

Russische Shahed-Drohne im Einsatz

(Bild: Anelo / Shutterstock.com )

Russische Drohnenproduktion erreicht neue Höchstwerte. Neben bekannten Shahed-Modellen stellt das Land nun auch die neue "Garpiya-A1" mit chinesischen Teilen her.

Die Produktion von weitreichenden Drohnen in Russland scheint deutlich zugenommen zu haben. Es wird berichtet, dass neben der gesteigerten Produktion der bereits bekannten Shahed/Geran-2 Drohnen eine neue Variante entwickelt wurde. Diese basiert offenbar ebenfalls auf dem Shahed-Design, verwendet aber überwiegend Komponenten aus China.

Neue Shahed-Variante mit chinesischen Komponenten: Garpiya-A1

Reuters berichtete im September über die Produktion einer neuen Shahed-Variante mit der Bezeichnung "Garpiya-A1" durch den staatlichen russischen Rüstungsriesen Almaz-Antey, die von dessen Tochterfirma IEMZ Kupol hergestellt wird und einen in China hergestellten Motor verwenden soll.

Laut Reuters soll eine ehemalige Zementfabrik in Izhevsk in der Udmurtischen Republik im Westen Russlands, die Kupol 2020 gekauft hat, für die Produktion der Drohnen genutzt werden.

Drei Produktionsstätten für Shahed-Drohnen für russische Streitkräfte

Damit würde sich die Zahl der Produktionsstätten für Shahed-Varianten, die an die russischen Streitkräfte geliefert werden, auf mindestens drei erhöhen:

Zum einen natürlich die iranischen Produktionsstätten, da davon auszugehen ist, dass Russland weiterhin iranische Shaheds importiert.

Dann die bekannte Produktionsstätte in Alabuga/Tatarstan. Dort soll offenbar eine hohe russische Fertigungstiefe erreicht werden, wahrscheinlich soll in Alabuga ein möglichst hoher Prozentsatz aller Komponenten in Russland selbst gefertigt werden.

Der neue, dritte Produktionsstandort wäre dann der von Almaz-Antey in Izhevsk. Die dort gefertigte Shahed-Variante "Garpiya-A1" greift offenbar auf Schlüsselkomponenten aus China zurück. Damit wäre neben Russland und dem Iran auch die Volksrepublik eng in die Produktion der strategisch wichtigen Drohnenfamilie eingebunden.

Ein vierter Produktionsstandort muss aufgrund der Funde der Gerbera-Drohne vermutet werden, dazu später mehr.

Ein Blick auf die in der Ukraine in Dienst gestellten strategischen Langstreckendrohnen scheint die erhebliche Produktionsausweitung zu bestätigen. Die folgenden Zahlen stammen von der ukrainischen Luftwaffe.

Während Russland demnach im September die Rekordzahl von 1.339 Drohnen hauptsächlich gegen die Energieinfrastruktur der Ukraine einsetzte, stieg diese Zahl im Oktober nochmals auf 1.923 an. Dies entspricht im Oktober durchschnittlich 64 Langstreckendrohnen pro Tag, die auf die Energieinfrastruktur der Ukraine abgefeuert wurden. Im September waren es noch 44 Drohnen pro Tag. Dies entspricht einem Anstieg von 43,6 Prozent.

Bis auf einen Tag im Oktober wurden in diesen beiden Monaten täglich Shaheds über der Ukraine eingesetzt. Der "Shahed Tracker" kommt zu etwas anderen Zahlen.

Die ukrainische Luftwaffe gibt den Abwehrerfolg der ukrainischen Luftabwehr mit 42,5 Prozent an. Ferner führt die Luftwaffe "verlorene" russische Drohnen auf, vermutlich durch eigene Mittel der elektronischen Kampfführung. Allerdings lassen sich weder die Zahlen der eingeflogenen Langstreckendrohnen, noch die der Abwehrerfolge verifizieren.

Shahed-Drohnen: Produktionszahlen vermutlich deutlich höher als angenommen

Die von westlichen Analysten angenommenen Produktionszahlen müssten nach diesen Zahlen der ukrainischen Luftwaffe vermutlich deutlich revidiert werden. Erst im Mai dieses Jahres schätzte das US-amerikanische Militärforschungsinstitut "Institute for Science and International Security" die Produktion der Shahed allein in der Produktionsstätte in Alabuga auf rund 6000 pro Jahr.

Rechnet man die von der ukrainischen Luftwaffe behaupteten Einsatzzahlen der Shahed-Drohnen vom September konservativ auf das Jahr hoch, käme man spekulativ auf eine Jahresproduktion von über 16.000, bei Zugrundelegung der jüngsten Oktober-Zahlen auf eine Jahresproduktion von 23.000 Einheiten aller Shahed-Varianten.

In diesen Zahlen könnte jedoch noch eine unbekannte Anzahl von Gerbera-Drohnen enthalten sein. Laut dem Fachportal Army Recognition handelt es sich bei der Gerbera um eine russische Billigkopie der iranischen Shahed, bei der ein Modellbau die Kosten noch einmal deutlich senken könnte, das Portal vermutet Kosten von unter 10.000 Euro.

Gerbera-Drohne: Russische Billigkopie der iranischen Shahed

Ob und inwieweit die Gerbera-Drohne mit Sprengköpfen bestückt werden kann oder nur als Aufklärungs- oder Täuschungsdrohne dient, ist bisher nicht hinreichend bekannt, ebenso wie die genauen technischen Spezifikationen. Funde der neuen Billig-Drohnen lassen jedoch auf eine Reichweite von mehreren hundert Kilometern schließen, wie Forbes berichtet.

Ein interessanter Aspekt der offiziellen Zahlen der ukrainischen Luftwaffe sind die derzeit vergleichsweise niedrigen Raketeneinsatzzahlen der russischen Streitkräfte. Gab es in der Vergangenheit Tage, an denen mehr als 100 Raketen und Marschflugkörper gegen die Ukraine eingesetzt wurden, so sank die Gesamtzahl im Oktober auf nur noch rund 90 Stück.

Laut einem Artikel des ukrainischen "Defence Express" schätzt der ukrainische Geheimdienst die russischen Produktionszahlen für Raketen mit einer Reichweite von mehr als 500 Kilometern auf knapp 120 Stück pro Monat. Forbes geht dagegen in einem aktuellen Artikel von einer russischen Monatsproduktion von bis zu 171 Raketen aus.

Russland hortet möglicherweise Raketen für spätere Angriffe

Der ukrainische Experte für militärische Funktechnologien Serhiy Beskrestnov vermutet in einem gestern veröffentlichten Interview mit der ukrainischen Zeitung "Focus.ua", dass Russland seine Raketenbestände aufstockt:

Wir können feststellen, dass es seit über zwei Monaten keine groß angelegten Raketenangriffe mehr gegeben hat. Dafür gibt es einen Grund: Die Russen horten wahrscheinlich Raketen, um die Energieinfrastruktur zu einem für sie passenden Zeitpunkt anzugreifen. Die Russen schöpfen die Ressourcen unserer Luftabwehr aus und erkennen, dass sie nicht unendlich sind.

Denkbar ist auch, dass die billigeren Langstreckendrohnen der Shahed-Familie ausreichen, um die ukrainische Energieinfrastruktur nachhaltig zu beeinträchtigen.

Ein Indiz dafür könnte sein, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj laut "New Voice of Ukraine" vor einem Monat erklärte, 80 Prozent der ukrainischen Energieinfrastruktur seien zerstört.

Und vor einer Woche erklärte Selenskyj laut Kyiv Post, dass die Einstellung der russischen Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur ein wichtiger Schritt zur Deeskalation des Krieges sein könnte. Die Zeitung zitiert Selenskyj wörtlich:

Wir haben auf dem ersten [Friedens-]Gipfel gesehen, dass es eine Entscheidung über die Energiesicherheit geben könnte. Mit anderen Worten: Wir greifen ihre Energieinfrastruktur nicht an, sie greifen unsere nicht an. Könnte dies zum Ende der heißen Phase des Krieges führen? Ich glaube ja.

Verhandlungen über gegenseitigen Stopp von Angriffen auf Energieinfrastruktur?

Nun behauptet die britische Financial Times, dass genau solche Gespräche bereits im Gange seien. Man verhandle über einen gegenseitigen Stopp von Angriffen auf die jeweilige Energieinfrastruktur, so die Zeitung:

Moskau und Kiew haben die Häufigkeit von Angriffen auf die Energieinfrastruktur der jeweils anderen Seite in den letzten Wochen bereits reduziert, wie ein hoher ukrainischer Beamter sagte.

Diese Aussage steht jedoch in deutlichem Widerspruch zu der von der ukrainischen Luftwaffe behaupteten massiven Ausweitung der Shahed-Einsätze. Die Aussagen des Berichts sind daher anzuzweifeln.

Eine Einstellung der Angriffe auf die ukrainische Energieinfrastruktur als Gegenleistung für eine Einstellung der ukrainischen Angriffe auf die russische Energieinfrastruktur würde der russischen Führung keine Vorteile bringen. Denn obwohl es den ukrainischen Streitkräften immer wieder gelungen ist, vorwiegend die russische Ölinfrastruktur zu treffen, ist es der ukrainischen Führung bisher nicht gelungen, mit diesen Angriffen eine strategische Wirkung zu erzielen.

Das sieht der Kyiv Independent in einem Artikel vom 19. September so – und zitiert einen westlichen Experten:

Die ukrainische Kampagne hat zwar den Umfang der russischen Ölraffinerie erheblich verringert, "aber das hat keine strategischen Auswirkungen auf Russland", sagte ein westlicher Beamter dem Kyiv Independent unter der Bedingung der Anonymität.

Für Russland sind diese ukrainischen Angriffe teuer und ärgerlich, aber kein Faktor, der den Krieg zugunsten der Ukraine entscheiden könnte. Anders sieht es für die Ukraine aus, wo der kommende Winter für die Bevölkerung, die Armee und die verbliebene Industrie aufgrund der fehlenden Heiz- und Stromversorgung zu einer großen Herausforderung wird.