Russlands Bad Cop: Die große Prigoschin-Show

Jewgeni Prigoschin (rechts im Bild 2010 mit Wladimir Putin) darf sich in Russland mehr herausnehmen als ein Normalsterblicher. Bild: Government of the Russian Federation / CC-BY 4.0

Der kremlnahe Oligarch Jewgeni Prigoschin darf auch Kritik äußern. Zuletzt fluchte und drohte er wegen Munitionsmangels. Seine Spielräume sind groß. Warum?

Der kremlnahe Oligarch und Söldnerführer Jewgeni Prigoschin ist immer für eine Schlagzeile gut. Sein Nachrichtenwert gerade für westliche Medien steigt dabei noch dadurch, dass er auch für schlechte Nachrichten rund um die russische Invasionsarmee in der Ukraine gut ist.

Wie viele radikale Befürworter des Kreml-Feldzugs im Nachbarland verfügt er über erstaunliche Möglichkeiten, seine Meinung frei zu äußern, während jede Kritik am Ukraine-Krieg an sich in Russland unter äußerst harte Strafen gestellt ist.

Lieferung nach ausfälligem Video

So verkündete Prigoschin ausgerechnet am russischen Tag des Sieges, dem 9. Mai, dass reguläre russische Truppen die Flanken seiner Söldner rund um Bachmut verlassen hätten und dadurch eine Lücke in der russischen Front entstanden sei.

Gerade an diesem Tag waren alle übrigen russischen Offiziellen äußerst bemüht, Optimismus zu verbreiten. Abermals beschwerte er sich in seinem aktuellen Video über eine unzureichende Ausstattung mit Munition, obwohl das Verteidigungsministerium erst am Vortag neue Lieferungen angekündigt hatte, was Prigoschin selbst in einem anderen Video bestätigte.

Freunde im Moskauer Verteidigungsministerium dürfte Prigoschin bereits zuvor nicht mehr gehabt haben. Die demonstrative Munitionszusage am 8. Mai war ja auch nur eine Reaktion auf seine öffentliche Ankündigung wenige Tage zuvor, wegen des Munitionsmangels mit seinen Söldnern die Stellungen in der großteils frisch eroberten Ruinenstadt Bachmut verlassen zu müssen. Hier ging es jedoch nicht um eine Ankündigung, die Front ersatzlos zu verlassen. Prigoschin stellte vielmehr schon am Folgetag der Ankündigung klar, dass tschetschenische Einheiten des dortigen Machthabers Ramsan Kadyrow seine Wagner-Söldner ersetzen sollten.

Die Sensation des Prigoschin-Videos mit der Abzugsdrohung war also weniger sein Inhalt, als die Machart – vor toten Kämpfern - und der Appell an das Ministerium in der mit Flüchen durchsetzten sogenannten "Mat-Sprache", dem tiefsten russischen Sprachniveau.

Würde sich ein gewöhnlicher Russe in diesem Stil an eine hohe Behörde wenden, wären durchaus harte strafrechtliche Konsequenzen denkbar. Dass es die bei Prigoschin nicht gibt und er sogar kurz darauf eine Munitionszusage bekommt, bestätigt die Einschätzung vieler Experten, dass es sich bei dem Oligarchen nicht etwa um einen revoltierenden Volkstribun handelt.

Prigoschin ist nach dieser Auffassung vielmehr Darsteller einer Figur im Beziehungsgefecht des Kreml, das trotz "unterschiedlicher" Meinungen an einem Siegfrieden gegen den ukrainischen Gegner arbeitet.

Häufige Quellen regierungsnaher Medien in Russland

Dafür spricht auch, dass Prigoschins Attacken – anders als jede Art von grundsätzlicher Kriegskritik – in regierungsnahen Medien nicht etwa totgeschwiegen, sondern breit geschildert werden.

So avanciert sein Telegram-Kanal momentan zu einer der meistzitierten Quellen in Russland über das Frontgeschehen. Mit den Attacken wird auch Aufmerksamkeit auf das einst oppositionslastige Soziale Netzwerk gezogen, in dem immer mehr kriegsbejahende sogenannte Z-Fluencer ihr Unwesen treiben und damit die Mehrheitsverhältnisse auf Telegram verschieben.

Prigoschin wird auch immer wieder von Regierungspolitikern als patriotischer Aktivposten positiv erwähnt, so etwa vom früheren Bürgermeister von Krasnodar Jewgeni Perwischow, der aktuell freiwillig an der Front im Donbass kämpft.

Selbst die Auseinandersetzung mit seinem alten Intimfeind in Machtkreisen, dem Petersburger Gouverneur Alexander Bellow, bezeichnet der frühere Oppositionspolitiker Maxim Reznik nicht als ernsthafte Auseinandersetzung, sondern eher als "Gauleiterkampf im Bunker". Bestätigt wird diese Auffassung von einer anonymen Quelle der exilrussischen Onlinezeitung The Insider.

Prigoschin habe im Wahlkampf mit den Medien seiner Trollfabrik unterstützt, sei dann aber bei der Aufteilung der Budgets durch den Gouverneur leer ausgegangen. Prigoschin sei in Folge seiner durch den Krieg gewachsenen Bedeutung nun nur mutiger geworden.

Wichtig sei jedoch, dass zwar vieles, was Prigoschin tue, nicht von den russischen Gesetzen gedeckt sei, dass aber niemand der mächtigen Leute im Hintergrund den Polterer daran hindere.

Ob auch ein Jewgeni Prigoschin im russischen Machtsystem den ihm gesteckten Rahmen überschreiten kann und ihm dann doch ernste Konsequenzen drohen, ist Gegenstand vieler Spekulationen. Die aber genau das bleiben, was sie sind: Spekulationen. Momentan tut seinem Mitteilungsdrang eine Angst vor solchen Problemen keinen Abbruch.