Russlands Kampf gegen IS-Terroristen: Mit harter Faust siegen?
Hauptverdächtigen des Terroranschlages bei Moskauer werden geschlagen und gedemütigt vorgeführt. Das ist eine Strategie der Abschreckung. Aber ohne Erfolgsaussichten.
So sehen keine Sieger aus. Die Bilder der festgenommenen und vor Gericht geführten Hauptverdächtigen des Terroranschlages im Moskauer Vorort Krasnogarsk zeigen keine triumphalen Gesichter fürs Märtyrer-Legenden-Fotoalbum von Dschihadisten.
In die internationale Öffentlichkeit kamen Aufnahmen von gedemütigten Figuren. Es braucht keine große Fantasie, um zu ahnen, dass die Terror-Verdächtigen, so wie sie vor Gericht erschienen, zuvor schwere körperliche Qualen durchlitten haben. Anschauungsmaterial dazu liefern Videos, die auf Telegram gepostet wurden und sich danach auf anderen Kanälen weiter verbreiteten.
Auch große deutsche Medien berichteten darüber. "Bei einer Festnahme soll einem Mann das Ohr abgeschnitten worden sein", meldet die Zeit am 24. März mit Bezug auf die Videos. Zu sehen sei, dass dem Festgenommenen "ein Teil des rechten Ohrs abgeschnitten und anschließend in den Mund gesteckt" wurde.
"Folter, die jeder sehen soll", titelte zwei Tage später die Tagesschau. Der Bericht über die vier Männer, die dem Moskauer Bezirksgericht Basmanny vorgeführt wurden, zählt auf:
Blutergüsse am Kopf und ein zugeschwollenes Auge, ein Verband über einem Ohr, deutliche Schwellungen im Gesicht, eine Plastiktüte um den Hals eines der Verdächtigen, was Schlimmes vermuten lässt, ein weiterer Verdächtiger wurde auf einem Rollstuhl in den Gerichtssaal geschoben. Ein Video soll auf Folter mit Stromstößen im Genitalbereich schließen lassen.
Soweit zum Repertoire an Grausamkeiten, von denen die Bilder künden, nicht wirklich offen ersichtlich, es gibt viel Raum für Ahnungen. Die Botschaft ist dagegen klar: Die russischen Behörden greifen mit aller Härte durch, wenn es um Terrorismus geht, hier wird niemand geschont, Terroristen haben mit einer äußerst schmerzhaften, schnellen und radikalen Antwort zu rechnen. Mit ihnen wird kurzer Prozess gemacht.
Angesichts von über 140 Menschen, die bei dem Anschlag getötet wurden, 360 Verletzten, 155, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, dazu die Todesangst, das Entsetzen, das die Besucher der Konzerthalle bei Moskau während des Anschlags durchlitten, ist eine solch harte Behandlung der dafür Verantwortlichen verständlich, durchaus angebracht und vielleicht gar nötig, um eine Abschreckung zu erzielen?
Die Sonderbehandlung trifft auf geteilte Meinungen. Das eben vorgebrachte dürfte durch manchen Kopf gehen, nicht nur bei sogenannten Russlandverstehern.
Allerdings ist diese Härte-Schnell-Justiz-Reaktion, die stark von Emotionen getragen wird, mit hohen Risiken verbunden. Weil sie zu nah an den Methoden der Terroristen ist.
Der IS hat dem Kampf, der über Bilder und Videos in der Netzöffentlichkeit geführt wird, vor einem Jahrzehnt neue Dimensionen an Grausamkeiten hinzugefügt. Erinnert sei etwa an das IS-Video, das zeigte, wie ein jordanischer Pilot bei völligem Bewusstsein verbrannt wurde. Das Video wurde als Gerichtsverhandlung geframt und präsentiert. Angeklagt war der Pilot als Stellvertreter für Luftangriffe, die zu Opfern unter der muslimischen Zivilbevölkerung.
Eingeleitet wurde die "Gerichtsverhandlung" mit Bildausschnitten von Angriffen der Anti-IS-Koalition westlichen Nachrichtensendern und Bildern getöteter Kinder.
Der Bilderkrieg mit Dschihadisten trifft auf einen Gegner, der keine Gnade kennt und die Schraube der Brutalitäten - "harte Reaktion, keine Schonung, kurzer Prozess" – weiter anziehen wird.
Der Terroranschlag auf die Konzerthalle bei Moskau wird öfter mit dem IS-Terroranschlag am 13. November 2015 auf den Konzertsaal Bataclan in Paris verglichen. Er war Teil einer ganzen Serie von Anschlägen in derselben Nacht, die Zahl der von den Massenmördern Getöteten lag bei etwa 130.
Die meisten Terroristen wurden erschossen. Einem der Drahtzieher, Salah Abdeslam, gelang die Flucht. Er wurde erst später – durch Zufall – aufgespürt und verhaftet. Die Bilder von seiner Festnahme zeigten keine Spuren von Gewalt durch die Behörden. Obwohl die französische Polizei auch nicht gerade im Ruf steht, zimperlich zu sein.
Es lag längere Zeit zwischen den Terrorakten und der Festnahme, aber das ist nicht der einzige Unterschied. Es gab einen Prozess. Aus dem "mutmaßlichen" Terroristen, dem als einer der Drahtzieher Hauptverdächtigen, wurde einer verurteilter Terrorist.
Und die Gerichtsverhandlung war wichtig, sie gab Einsichten in den Albtraum, in das unfassbare Entsetzen, das die Opfer durchmachten, nicht nur in der Terrornacht, sondern auch danach. Und sie gab Einsichten in die Welt der Täter. Als "Der Wahn des Tötens", beschreibt sie die NZZ.
Das hat in Frankreich starke Wirkungen gezeigt. Exemplarisch nachzulesen in dem Buch (siehe NZZ-Bericht dazu), das der Schriftsteller Emmanuel Carrère, der den Prozess gegen die Bataclan-Attentäter zehn Monate lang verfolgt hat, dazu geschrieben hat.
Im Hintergrund gab es im letzten Jahrzehnt eine grundsätzliche Diskussion mit der Frage, ob es auf lange Sicht nicht besser sei, mit den Mitteln des Rechtsstaates gegen den IS-Terror vorzugehen, um sich von dessen Methoden deutlich abzugrenzen.
Es sieht ganz danach aus, dass diese Diskussion mit neuer Vehemenz auf den Tisch kommt. Sind Sieger im Kampf gegen den Terror diejenigen, die im Bilder-Theater der Grausamkeit auf Härte setzen?
Es mag im Moment danach aussehen. Auf lange Frist aber möglicherweise nicht mehr. Die Terroristen werden sich davon wahrscheinlich nicht von weiteren Aktionen abschrecken lassen.