Russlands Soldatenhunger: Werden nun Migranten zum Kriegsdienst erpresst?

Roland Bathon

Wladimir Putin bei einer militärischen Übung in der Region Nischni Nowgorod im Jahr 2021. Bild: Russisches Präsidentenbüro / CC BY 4.0 Deed

Schon seit Längerem rekrutiert Moskau Migranten. Oft war die russische Staatsbürgerschaft das Lockmittel. Doch es gibt auch noch andere, schmutzige Methoden.

An der Front im Donbass sterben auf beiden Seiten viele Soldaten. Die Ukraine reagiert darauf mit einer immer radikaleren zwangsweisen Mobilisierung aller kampffähigen Männer, die in Zukunft sogar in den Westen geflüchtete Staatsbürger einschließen soll.

Der Kreml will derartige Maßnahmen in Russland vermeiden, vor allem vor der geplanten Wiederwahl Putins im März 2024.

Mobilisierung muss vermieden werden

Der Präsidialverwaltung ist bewusst, wie unpopulär unter den Russen jede zwangsweise Mobilisierung für den eigenen Feldzug im Nachbarland ist. Schon die Teilmobilisierung vom Herbst 2022 im Zuge von Offensiverfolgen des ukrainischen Gegners führte zu einer Auswanderungswelle, Verunsicherung und sinkenden Zustimmung der eigenen Bevölkerung für den Krieg.

Putin beteuerte deshalb mehrfach und zuletzt im Dezember 2023, dass es keine zweite Mobilisierungswelle geben wird.

Doch die an der Front zahlreich gefallenen Soldaten müssen ersetzt werden, damit die russische Regierung einen militärischen Sieg über die Ukraine erreichen kann. Zum einen versucht man, mit äußerst großzügigen Konditionen und großen Werbekampagnen Freiwillige für den Kampfeinsatz zu gewinnen.

Weiterhin werden Häftlingen bis zu verurteilten Mördern für den Frontdienst Straferlasse in Aussicht gestellt. Beide Maßnahmen scheinen noch nicht auszureichen, den Bedarf an Soldaten zu decken.

Migranten werden seit Sommer aufgegriffen

Denn es gibt aus dem Bereich von in Russland lebenden Migranten schon seit dem Sommer 2023 Berichte, dass diese zwangsweise zu den Einberufungsbehörden gebracht werden.

Aufgegriffen werden sie im Zuge von Razzien an ihren bevorzugten Arbeitsstellen wie Märkten und Baustellen. Auch direkter Druck zu einer sofortigen Verpflichtung zum Militärdienst wird berichtet.

Besitzen sie die russische Staatsangehörigkeit, werden sie sofort für den Militärdienst registriert. Sind sie noch keine Russen wurden sie bereits vor Putins Erlass mit dem Versprechen einer erleichterten Einbürgerung überredet, sich für die Front freiwillig zu melden.

Vor dem Ukraine-Krieg war ein dreijähriger Militärdienst noch eine Voraussetzung dafür, Russe zu werden. Die Frist wurde durch ein Dekret Putins im September 2022 auf ein Jahr verkürzt, das im Mai des letzten Jahres nochmals erneuert und modifiziert wurde.

Vor dieser Praxis war der Erwerb der russischen Staatsangehörigkeit für die Migranten attraktiv, da er den Umgang mit den örtlichen Behörden wesentlich erleichterte. Der Lebensstandard der Migranten war in Russland wesentlich höher als in ihren Herkunftsländern. Für eine Einbürgerung nach Russland wurden im Rahmen der Korruption sogar Schmiergelder gezahlt.

Millionen von mittelasiatischen Wanderarbeitern

Mittelasiatische Wanderarbeiter gibt es in Russland in großer Zahl, Presseberichte sprachen vor der Covid-19-Pandemie von zehn Millionen Arbeitnehmern. Im Zuge der Pandemie verließ etwa die Hälfte von ihnen das Land.

2022 gab es eine große Einwanderungswelle von mehreren Millionen Migranten aus den armen Republiken Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan, sodass der Stand vor der Pandemie nun wieder erreicht sein dürfte.

Die Mittelasiaten sind im russisch besetzten Teil der Ukraine nicht nur in der Armee im Einsatz. Viele werden auch von Firmen angeworben, die sich mit dem Wiederaufbau zerstörter Städte wie Mariupol beschäftigen, berichtet der Zentralasienexperte Sher Hashimov in einer Analyse.

Diese Jobs waren nach seiner Auffassung trotz schlechter Arbeitsbedingungen wegen guter Verdienste unter den Migranten lange beliebt. Das hat sich inzwischen geändert, seit es in zentralasiatischer Presse Berichte über Migranten gibt, die in die besetzten Gebiete der Ostukraine als Arbeiter kamen, aber dann zum Kampfeinsatz erpresst wurden.

Der Trick: Flüchtende müssen russische Papiere unterzeichnen

An Attraktivität eingebüßt habe Russland als Auswanderungsland nach Meinung des Experten für die Mittelasiaten jedoch 2023 mit der Rekrutierung für die Front. Kasachstan entwickele sich deswegen zunehmend zu einer Alternative zum russischen Arbeitsmarkt. Das ist für Russland nicht unbedenklich, da im Zuge des Krieges dort aktuell ein akuter Arbeitskräftemangel herrscht.

Nicht nur Arbeitsmigranten bekommen in Russland den Soldatenhunger der Offiziellen zu spüren. So gibt es einen Bericht der britischen BBC, dass mehrere der an der finnisch-russischen Grenze abgewiesenen Migranten mit Ziel EU, die in Russland eigentlich nur auf der Durchreise waren, nach Ablauf ihres Visums dort festgesetzt wurden.

Ohne nötige Sprachkenntnisse wurden ihnen russische Dokumente vorgelegt, die sie unterzeichnen sollten, um in Russland bleiben zu können: im Rahmen einer Arbeit "für den Staat". Wer unterschrieb, wurde zum Kampfeinsatz an die Front gebracht.

Wie sich Migranten schützen können

Die Vorladung zu den Einberufungsämtern hat für die Betroffenen einige Konsequenzen. Die exilrussische Zeitung Meduza berichtet, dass den Betroffenen die Zulassung von Fahrzeugen, die Aufnahme von Krediten und der Verkauf von Immobilien untersagt wird, damit sie sich nicht vor Antritt eines Frontdienstes absetzen können.

Die Zeitung empfiehlt allen, die nicht im Krieg kämpfen wollen, tatsächlich nicht an der eigenen Meldeadresse zu wohnen, öffentliche Verkehrsmittel und größere Menschenansammlungen zu meiden, da die Behörden hier die Zustellung von Vorladungen veranlassen.

Die Praxis, Ausländer für die russische Armee arbeiten zu lassen, gibt es rechtlich bereits seit 2003. 2015 wurde sie im Zuge des Syrienkrieges auf den direkten Kampfeinsatz ausgeweitet.

Jedoch erst ab 2022 begann man in Russland, im großen Stil Nichtrussen für den Kampf in der eigenen Armee anzuwerben. 2023 ging das Werben in Druck über und ein sich länger fortsetzender Krieg verheißt in Russland lebenden Zentralasiaten nichts Gutes.