Russlands Truppen kesseln Kiew ein – was bedeuten jetzt Verhandlungen?
Beim russischen Einmarsch in der Ukraine geht es nicht nur um den Donbass. Ziel könnte ein Sieg im Blitzkrieg inklusive Eroberung der Hauptstadt sein. In Russland wächst derweil die Antikriegsbewegung
Als gestern am Donnerstag die Militäroffensive der russischen Armee begann, wurde in allen offiziellen Verlautbarungen des Kreml betont, dass es sich nur um eine Unterstützungsaktion der separatistischen Rebellen im Donbass handle. Die Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta erinnert heute wie mahnend an dieses Versprechen, das zumindest die Hoffnung auf einen einigermaßen begrenzten militärischen Konflikt weckte.
Das alles war heute zunächst sprichwörtlicher Schnee von gestern. Denn aktuell geht auch aus russischen Quellen, darunter offizielle Bestätigungen des Verteidigungsministeriums, hervor, dass Russland die Ukraine auf breiter Front und von mehreren Seiten mit dem Ziel eines kompletten Sieges über die ukrainische Armee angreift – inklusive Einnahme der Hauptstadt Kiew.
Stoßrichtung Kiew – der Stadtrand ist erreicht
Denn nicht nur im Donbass ging man in die Offensive und durchbrach die Front zu den Regierungstruppen an mehreren Stellen. Und nicht nur Luftschläge auf strategische Ziele in der übrigen Ukraine sind zu verzeichnen. Im Gegensatz dazu ist die ukrainische Hauptstadt Kiew ein wichtiges Ziel eines russischen Eroberungszugs. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte laut dem Medienportal RBK heute etwa die Landung von mehr als 200 Hubschraubern bei Gostomel nördlich von Kiew und die Vernichtung dortiger ukrainischer Spezialeinheiten.
Auch westlich von Kiew haben russische Fallschirmjäger offiziell bestätigt den Zugang zur ukrainischen Hauptstadt blockiert. Aus der nördlichen Vorstadt Oblon werden Kämpfe mit der russischen Armee gemeldet, die lettische Onlinezeitung Meduza spricht davon, dass die Russen den nördlichen Stadtrand von Kiew inzwischen erreicht hätten.
In der Stadt war mehrfach Sirenenalarm zu hören. Ukrainische Truppen rücken laut der dortigen Nachrichtenagentur UNIAN in die Hauptstadt ein, um die russischen Einheiten von einer Eroberung abzuhalten. Die Einschätzung deren Kampfkraft ist unterschiedlich, in jedem Fall scheinen die Einheiten der Nationalgarde verbissener zu kämpfen als die reguläre Armee, berichtet etwa die Onlinezeitung Gazette.ru. Aus der Stadt wird immer wieder von Explosionen berichtet, die Bewohner flüchten aus Angst vor Beschuss in die U-Bahn.
Russische Militäroffensiven von allen Seiten
Militärische Offensivaktionen der russischen Armee werden von zahlreichen Quellen aus allen möglichen Teilen der Ukraine gemeldet. So aus dem Gebiet des Reaktors von Tschernobyl im Norden (offizielle Begründung: "Verhinderung eines Terroranschlags", von der sogenannten Schlangeninsel im Schwarzen Meer im Südwesten und von der belarussisch-ukrainischen Grenze, wobei der dortige Machthaber Lukaschenko Wert darauf legt, dass seine eigene Armee hier nicht beteiligt ist.
Im Süden der Ukraine besetzten russische Truppen von der Krim aus das strategisch wichtige Ufer des Nordkrim-Kanals, der die Wasserversorgung der Halbinsel sichert. Sein Abklemmen durch de Ukrainer hatte in den letzten Jahren die dortige Wasserversorgung gestört. Doch auch hier geht die Offensivaktion der Russen über diese Absicherung hinaus und Meduza spricht von einem Durchbruch russischer Truppen durch die Front der Ukrainer.
Verhandlungsangebot oder Kapitulationserwartung?
Die Absicht der russischen Truppen scheint ein umfassender Angriff im ganzen Land und schneller militärischer Sieg zu sein. Ein Verhandlungsangebot des russischen Staatschefs Wladimir Putin, kurz nachdem Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Gesprächsbereitschaft signalisiert hat, könnte daher eher für einen Friedensschluss zwischen einem Sieger und einem Besiegten gedacht sein. Moskau habe den Vorschlag zu Verhandlungen über einen neutralen Status der Ukraine als Schritt in die richtige Richtung aufgenommen, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Freitag.
Begleitmusik sind harsche Töne der russischen Außenministeriums-Sprecherin Maria Sacharowa, man wolle mit der Militäraktion das "Marionettenregime in Kiew" für begangene "Verbrechen gegen Zivilisten" bestrafen. Auch Außenminister Sergej Lawrow erklärte laut der Tageszeitung Kommersant, dass Russland erst Verhandlungen zustimmen werde, wenn die ukrainischen Truppen ihre Waffen niederlegen. Nach einem Friedensangebot klingt diese Ausdrucksweise nicht – und Verhandlungen dürften nur von einer so angesprochenen Regierung angenommen werden, wenn sie keine andere Wahl und keinen Trumpf mehr in der Hand hat.
Antikriegsproteste in Russland wachsen
Währenddessen verstärkt sich auch in Russland die Antikriegsbewegung. Nach Offenen Briefen von Prominenten gab es am gestrigen Abend in mindestens 44 russischen Städten spontane Antikriegsdemonstrationen und andere Protestaktionen. Kommersant berichtet, dass dabei landesweit etwa 1.700 Beteiligte festgenommen wurden, davon knapp 500 in Moskau.
Kreative Protestformen gibt es nun auch zahlreiche im russischsprachigen Internet. So postet die regierungskritische russische Politologin Ekaterina Schulmann bei Instagram aus Protest eine einfache Schwarze Fläche, gefolgt von einem Protesttext gegen den Krieg, was von zahlreichen weiteren Accounts aufgegriffen wurde und sich viral verbreitete. Auch zahlreiche Solidaritätsadressen mit den Festgenommenen auf Antikriegsdemos erschienen überall im Netz.
Russische Universitäten versuchen derweil ihre Studenten zu beeinflussen, sich nicht an solchen Online-Protestformen zu beteiligen, berichtet die russische Studentenzeitung Doxa.
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