Sachbücher des Monats: Januar 2022
Die Top Ten unter den Sachbüchern nebst einer persönlichen Empfehlung
Jeden Monat neu präsentiert von der Neuen Zürcher Zeitung, der Literarischen Welt, RBB Kultur, dem ORF-Radio Österreich 1 und Telepolis.
Florian Illies
Liebe In Zeiten des Hasses
Chronik eines Gefühls 1929 – 1939
Florian Illies erweckt die dreißiger Jahre, dieses Jahrzehnt berstender politischer und kultureller Spannungen, zum Leben. Als Jean-Paul Sartre mit Simone de Beauvoir im Kranzler-Eck in Berlin Käsekuchen isst, Henry Miller und Anaïs Nin wilde Nächte in Paris und "Stille Tage in Clichy" erleben, F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway sich in New York in leidenschaftliche Affären stürzen, fliehen Bertolt Brecht und Helene Weigel wie Katia und Thomas Mann ins Exil. Genau das ist die Zeit, in der die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland ergreifen, Bücher verbrennen und die Gewalt gegen Juden beginnt. 1933 enden die "Goldenen Zwanziger" mit einer Vollbremsung. Florian Illies führt uns zurück in die Epoche einer singulären politischen Katastrophe, um von den größten Liebespaaren der Kulturgeschichte zu erzählen: In Berlin, Paris, im Tessin und an der Riviera stemmen sich die großen Helden der Zeit gegen den drohenden Untergang.
S. Fischer Verlag, 432 Seiten, € 24,00
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Evke Rulffes
Die Erfindung der Hausfrau
Geschichte einer Entwertung
Evke Rulffes erzählt die historische Entwicklung der Hausfrau nach und zeigt, wo sich diese alten Verhältnisse trotz all der politischen Bemühungen um ein gleichberechtigtes Miteinander heute noch wiederfinden, wie sie uns prägen und beeinflussen: Warum haben vor allem Mütter das Gefühl, sie müssen alles alleine schaffen? Warum ist es ihnen unangenehm, sich Hilfe zu organisieren? Und warum bleibt selbst das Organisieren von Hilfe in der Regel bei ihnen hängen?
Verlag HarperCollins, 288 Seiten, € 22,00
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Uwe Wittstock
Februar 33
Der Winter der Literatur
Es ging rasend schnell. Der Februar 1933 war der Monat, in dem sich auch für die Schriftsteller in Deutschland alles entschied. Uwe Wittstock erzählt die Chronik eines angekündigten und doch nicht für möglich gehaltenen Todes. Von Tag zu Tag verfolgt er, wie das glanzvolle literarische Leben der Weimarer Zeit in wenigen Wochen einem langen Winter wich und sich das Netz für Thomas Mann und Bertolt Brecht, für Else Lasker-Schüler, Alfred Döblin und viele andere immer fester zuzog.
C. H. Beck Verlag, 288 Seiten, € 24,00
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Franz Kafka
Die Zeichnungen
Erst 2019 tauchten über 100 Zeichnungen von Franz Kafka auf, die jahrzehntelang in einem Zürcher Banksafe unter Verschluss gehalten wurden. Bislang kannte man nur wenige Zeichnungen des Schriftstellers. Kafkas künstlerische Ambitionen und sein Talent lassen sich erst mit den neuen Funden ermessen. Hier werden sie erstmals, zusammen mit den schon bekannten Blättern, veröffentlicht.
Herausgegeben von Andreas Kilcher.
C.H. Beck Verlag, 368 Seiten, € 45,00
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Georg von Wallwitz
Die große Inflation
Als Deutschland wirklich pleite war
Inflation bedeutet nichts weiter, als dass die Preise steigen. Na und? Freilich, da war mal was, vor hundert Jahren, als das Geld in Deutschland scheinbar wertlos wurde. Als man für eine Straßenbahnfahrkarte, die bei Fahrtbeginn zwei Millionen kostete, beim Erreichen des Ziels noch ein paar Hunderttausend drauflegen musste. Über diese wahnsinnigen Jahre, über die deutsche Urangst vor dem (Existenz)Verlust und ihr Fortleben schreibt Georg von Wallwitz. Hier kann man nicht nur erfahren, warum damals die sauer ersparten Mark und Groschen braver Bürger durch den Schornstein verschwanden, sondern auch, wie gewitztere Naturen unterdessen gewaltige Vermögen anhäuften.
Berenberg Verlag, 317 Seiten, € 25,00
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Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.)
Verbrechen der Wehrmacht
Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941 – 1944
Der Krieg gegen die Sowjetunion unterschied sich von allen Kriegen der europäischen Moderne, auch von denen, die die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges in anderen Ländern führte. Es war ein Krieg, der sich nicht nur gegen eine andere Armee, sondern auch gegen Teile der Zivilbevölkerung richtete. Die jüdische Bevölkerung sollte eliminiert, die nicht jüdische durch Hunger und Terror dezimiert und zur Zwangsarbeit eingesetzt werden. Dieses verbrecherische Vorgehen ergab sich nicht aus der Eskalation des Kriegsgeschehens, sondern war bereits Bestandteil der Kriegsplanungen. Ausgehend vom damals geltenden Kriegs- und Völkerrecht wird die Beteiligung der Wehrmacht an den im Zweiten Weltkrieg auf Kriegsschauplätzen im Osten und in Südosteuropa verübten Verbrechen in untersucht.
Hamburger Edition, 3. Auflage, 794 Seiten, € 30,00
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Brendan Simms, Charlie Laderman
Fünf Tage im Dezember
Von Pearl Harbour bis zur Kriegserklärung Hitlers an die USA – Wie sich 1941 das Schicksal der Welt entschied
Am 7. Dezember 1941 greifen japanische Luftstreitkräfte Pearl Harbor an und zwingen so die USA in den Krieg gegen Japan. Fünf Tage später erklärt Hitler, dessen Truppen bereits verlustreich an mehreren Fronten in Europa kämpfen, den USA den Krieg und treibt diese zum Kriegseintritt in Europa. Was hat Hitler zu diesem Schritt bewogen, der das Ende seiner Herrschaft einleitete? Welche Überlegungen, welche Ängste und Hoffnungen bewegten die Akteure der wichtigsten kriegführenden Mächte?
Übersetzt von Klaus-Dieter Schmidt.
Deutsche Verlags-Anstalt, 640 Seiten, € 32,00
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David Baddiel
Und die Juden?
Dieses Buch richtet sich an alle Menschen mit gutem Gewissen. Natürlich sind sie gegen Homophobie, Rassismus und andere Arten der Diskriminierung. Sicher sind sie auch gegen Antisemitismus in jeder Form. Aber zählen Juden wirklich genauso in den Debatten der Gegenwart? David Baddiel frägt: Gelten Juden wirklich als handfest bedroht, genau wie andere Minderheiten? Und falls nicht – warum?
Übersetzt von Stephan Kleiner.
Hanser Verlag, 135 Seiten, € 18,00
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Ludwig Huber
Das rationale Tier
Ein kognitionsbiologische Spurensuche
Kann man nichtmenschlichen Lebewesen Rationalität und Bewusstsein in einem anspruchsvollen Sinn zugestehen? Ludwig Huber zieht in diesem Buch die Bilanz des gegenwärtigen Forschungsstands zum tierischen Denken. Er erklärt die wichtigsten Experimente und Beobachtungen und vermittelt so, was Affen, Hunde, Bienen, Krähen, Keas, Pfeilgiftfrösche, Schildkröten oder Kraken alles können: Werkzeuge gebrauchen und herstellen, kommunizieren, planen, Gedanken lesen und vieles mehr.
Suhrkamp Verlag, 671 Seiten, € 34,00
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Nicole Mayer-Ahuja/Oliver Nachtwey (Hg.)
Verkannte Leistungsträger:innen
Berichte aus der Klassengesellschaft
Sie halten den Laden am Laufen: Pflegekräfte, Paketbotinnen oder auch Arbeiter in den großen Fleischfabriken des Landes. Für ihren Einsatz während der Corona-Pandemie wurden sie von den Balkonen der Republik beklatscht. Doch ihr Alltag ist oft geprägt von prekären Beschäftigungsverhältnissen, schlechten Arbeitsbedingungen, Druck, Stress und Diskriminierung. Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes haben mit Beschäftigten in Branchen wie Gesundheit, Ernährung oder Logistik gesprochen. Entstanden sind Porträts, die sichtbar machen, was in der modernen Klassengesellschaft häufig im Schatten bleibt: Wie erfahren diese "Helden und Heldinnen des Alltags" ihre Situation? Welche Probleme machen ihnen am meisten zu schaffen? Und wo liegen Chancen für Veränderung?
Suhrkamp Verlag (es), 567 Seiten, € 22,00
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Besondere Empfehlung des Monats Januar von Achatz von Müller:
Gottfried Benn, Gertrud Zenzes
Briefwechsel 1921 - 1956
Für weniger als ein Jahr waren Gottfried Benn und sie ein Liebespaar. Die aus einer jüdischen Familie stammende Gertrud Zenzes blieb ihm dennoch bis ans Lebensende freundschaftlich verbunden. Sie hatte noch im Kaiserreich studiert und als eine der ersten Frauen in Deutschland promoviert. Gertrud Zenzes war eine typische moderne Frau dieser Zeit. Sie war berufstätig und erotisch unabhängig. Besonders aufschlussreich ist die Korrespondenz kurz nach der Machtergreifung durch die Nazis, weil Benn sich gegenüber der Freundin erklärt, die bereits seit 1928 in den USA lebte. Nach Kriegsende versorgte sie Benn mit Carepaketen. Insgesamt liegen 156, teils recht umfangreiche Schreiben vor, wobei die Briefe von Gertrud Zenzes (mit zwei Ausnahmen) erst aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg überliefert sind.
Ein vierfacher Benn: überraschend lebensanhänglicher Freund einer kurzen, fast sentimentalen Liebe, trotzig dunkler NS - Revolutionär im Namen der "Geschichte", vom Regime verfolgter "Kulturbolschewist", dankbarer Care-Paket- Empfänger - dies alles im Spiegel tiefer Bewunderung einer im ihm entrückenden US-Exil kulturell breit vernetzten, hilfsbereiten und klug-bescheidenen Frau.
Achatz von Müller
Hrsg. v. Holger Hof und Stephan Kraft, kommentiert von Holger Hof unter Mitarbeit von Samuel Müller und mit einem Nachwort von Stephan Kraft.
Wallstein Verlag, 488 Seiten, € 34,00
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Die Jury: Tobias Becker, Der Spiegel; Manon Bischoff, Spektrum der Wissenschaft; Kirstin Breitenfellner, Falter, Wien; Natascha Freundel, RBB-Kultur; Dr. Eike Gebhardt, Berlin; Prof. Dr. Wolfgang Hagen, Leuphana Universität Lüneburg; Knud von Harbou, Feldafing; Prof. Jochen Hörisch, Universität Mannheim; Günter Kaindlstorfer, Wien; Dr. Otto Kallscheuer, Sassari, Italien; Petra Kammann, Feuilleton Frankfurt; Jörg-Dieter Kogel, Bremen; Dr. Wilhelm Krull, The New Institute, Hamburg; Marianna Lieder, Berlin; Prof. Dr. Herfried Münkler, Humboldt Universität zu Berlin; Marc Reichwein, Die Welt; Thomas Ribi, Neue Zürcher Zeitung; Prof. Dr. Sandra Richter, Deutsches Literaturarchiv Marbach am Neckar; Wolfgang Ritschl, ORF, Wien; Florian Rötzer, München; Norbert Seitz, Berlin; Anne-Catherine Simon, Die Presse, Wien; Prof. Dr. Philipp Theisohn, Uni Zürich; Dr. Andreas Wang, Berlin; Prof. Dr. Harro Zimmermann, Bremen; Stefan Zweifel, Zürich.
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