Saudi-Arabien: Auf Konfrontation mit dem Westen

Skeptische Miene: Wolodymyr Selenskyj beim Arbeitsbesuch in Saudi-Arabien, 19. Mai 2023. Foto: President.gov.ua / CC BY 4.0

Das Königreich schaltet in den diplomatischen Turbogang: USA und Israel besorgt über neue Macht-Ambitionen des Partners. Selenskyj will stärkere Unterstützung.

Auf der arabischen Halbinsel dauern die politischen Entscheidungsprozesse normalerweise ungefähr so lange wie ein durchschnittliches Bauprojekt der Deutschen Bahn. Hat man sich einmal auf etwas festgelegt, dann bleibt man dabei, verändert höchstens gelegentlich mal was und dann auch nur ganz, ganz vorsichtig.

Denn auch Autokraten brauchen die Unterstützung ihrer Bevölkerung, sonst werden sie irgendwann abgesetzt oder es gibt, wie in Syrien oder im Jemen jahrelange Bürgerkriege. Und nichts hassen die Öffentlichkeiten in arabischen Ländern so sehr wie wirtschaftliche, politische und soziale Instabilität oder auch nur die Aussicht darauf.

Kronprinz Mohammad bin Salman drückt kräftig aufs Tempo

Doch seit einigen Monaten drückt zumindest der saudische de facto Herrscher, Kronprinz Mohammad bin Salman, kräftig aufs Tempo. Zuerst näherte er sich ebenso überraschend schnell wie überraschend überhaupt an den Iran an, mit dem man sich seit Jahren einen Stellvertreterkrieg im Jemen liefert.

Seitdem die saudische Regierung im Januar 2016 den schiitischen Geistlichen Nimr al-Nimr hatte hinrichten lassen und daraufhin die saudische Botschaft in Teheran von Demonstranten gestürmt worden war, hatte tiefste Funkstille geherrscht und wirklich nichts hatte darauf hingedeutet, dass sich daran so bald etwas ändern könnte.

Waffenruhe im Jemen

Doch nicht nur das geschah: Beide Länder unternahmen auch sehr schnell Schritte, um zumindest den Teil des Jemen-Kriegs zu beenden, an dem sie entweder direkt oder indirekt beteiligt sind. Der von Saudi-Arabien unterstützten und gesteuerten international anerkannten Regierung und den von den iranischen Revolutionsgarden unterstützten Houthi-Milizen, die den Norden des Jemen kontrollieren, wurde einfach eine Waffenruhe aufgegeben, an die sich beide Seiten auch weitestgehend halten.

Baschar al-Assad

Mitte Mai wurde dann in einem nächsten Plot-Twist der syrische Präsident Baschar al-Assad (Europäische Außenpolitik in Syrien: Brüskiert zum Gipfel der Arabischen Liga in der saudischen Stadt Dschidda eingeladen. Auch er: vom Iran unterstützt. Von den Saudis durch Unterstützung für die Opposition bekämpft.

Wolodymyr Selenskyj und Russland

Und außerdem auf der Gästeliste: der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj – eine eigentümliche Auswahl, die die Kommentatoren und Beobachter bis heute verwirrt: Auf der einen Seite der von Russland unterstützte, vom Westen geächtete Assad. Auf der anderen Seite der vom Westen unterstützte und von Russland bekämpfte Selenskyj.

In seiner Rede beschuldigte der ukrainische Präsident einige der Teilnehmer ohne Namensnennung, vor Russlands Aggression "die Augen zu verschließen". Und tatsächlich ist die Herangehensweise vieler arabischer Regierungen, einschließlich der saudischen, bisher verhalten.

Mindestens die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Saudi-Arabien weiteten die Zusammenarbeit mit der russischen Regierung in einigen Bereichen sogar aus.

Man werde alles unternehmen, was dabei helfe, "die Krise zwischen Russland und der Ukraine einzudämmen". Man stehe als Vermittler bereit.

Womöglich ist es genau dies, was es bedeutet: Die arabischen Regierungen scheinen nicht mehr, wie früher, auf die Unterstützung westlicher oder östlicher Regierungen setzen zu wollen, und wenn sie welche brauchen, dann nicht nur von einer Seite.

Abkehr vom westlichen Kurs

Aber vor allem scheint der saudische Kronprinz sein Königreich selbst zu einer internationalen politischen Größe ausbauen zu wollen. Das Signal: Wir hören Euch gerne zu, lassen uns aber nicht reinreden.

So lautete die Antwort des saudischen Außenministers Prinz Faisal bin Farhan auf die Kritik aus den USA und Deutschland belehrend: "Es gibt keinen Weg, die Krise in Syrien ohne einen Dialog mit der syrischen Regierung zu beenden." Es gebe "eine humanitäre Krise". Und: Es gibt "syrische Flüchtlinge, die nach Hause zurückkehren wollen".

Es wirkte wie ein klarer Seitenhieb in Richtung der Regierungen in Europa und Nordamerika und deren Sanktionspolitik, die ganz offensichtlich weder zum Sturz des Regimes in Teheran oder zum Ende irgendeines Krieges geführt hat.

Was man in den arabischen Hauptstädten nicht so gerne hört: Auch die dortigen Regierungen haben diesem Krieg, wie auch jenem im Jemen und anderen Konflikten jahrelang zugesehen.

Sorgen in Israel

Das alles gefällt, nicht überraschend, dann auch vielen überhaupt nicht. Vor allem in Israel macht man sich Sorgen. Denn lange Zeit war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Saudi-Arabien einer der Hauptpfeiler der israelischen Außenpolitik.

Zwar ist es bisher noch nicht dazu gekommen, aber politische und militärische Kontakte, auch ganz offiziell im Licht der Öffentlichkeit, gab es schon seit Jahren. Und im Juli 2022 öffnete die saudische Regierung dann auch den eigenen Luftraum für israelische Fluglinien.

Aber mehr als daran, wie lange israelische Jugendliche nach dem Militärdienst für den Flug nach Indien brauchen, denkt man bei der israelischen Regierung an die eigene Sicherheit. Und damit ans iranische Atomprogramm. Da man auch dort weder auf die Fähigkeit westlicher Regierungen vertraut, ein durchsetzbares Abkommen mit Teheran auszuhandeln noch an den Erfolg der westlichen Sanktionen glaubt, baut man auf eine strategische Allianz mit den Golfstaaten.

Dadurch sollen die Revolutionsgarden davon abgehalten werden, den letzten Schritt zu gehen und die Bombe tatsächlich zu bauen. Zudem träumen die Wirtschaftsplaner auf beiden Seiten von direkten Transportwegen von der arabischen Halbinsel zum Mittelmeer: Eisenbahnlinien, Straßen. Das alles, so die Hoffnung, würde Investitionen und die Etablierung neuer Wirtschaftszweige ermöglichen.

Die jordanische Regierung genießt diesen Traum, soweit er in der Zukunft auch liegen mag, sehr intensiv, denn viel mehr hat man nicht, außer einer großen Zahl an syrischen Flüchtlingen, die man immer schwerer versorgen kann. Eingepfercht zwischen der saudischen und der irakischen Wüste, dem Krieg in Syrien und dem Roten Meer machen ausländische Unternehmen meist einen Bogen um das Königreich.

Zu lange Transportwege, zu schlechte Infrastruktur. Zu den Häfen in Israel führen bis heute nur Straßen, die schnell an ihre Kapazitätsgrenzen kommen, weil trotz der wirtschaftlichen Schwäche in Jordanien der Güterverkehr von und nach Israel ständig zunimmt. Der Grund: Längst werden Waren von der und zur arabischen Halbinsel durch Jordanien transportiert, auch ohne diplomatische Beziehungen.