Schlacht um Bachmut – zwischen Mordor und Klein-Verdun

Die Zerstörungen in Bachmut sind gewaltig. Foto: Donetsk Regional Military Civil Administration / CC-BY-4.0

Die russische Armee hat nach vielen erfolglosen Angriffen östliche Vororte der Trümmerwüste von Bachmut erobert. Der Symbolwert der Stadt ist für beide Seiten groß. Mancher Vergleich ist jedoch übertrieben.

Die Stadt Bachmut ist als äußerster Vorposten der ukrainischen Armee unter ständigen Angriffen der russischen Armee schon seit Monaten immer wieder in den Schlagzeilen. Von der einst mehr als 70.000 Einwohner zählenden Stadt ist nicht mehr viel übrig.

Die ukrainische Journalistin Victoria Chamaza, die die Stadt regelmäßig besucht, berichtete aktuell in der exilrussischen Onlinezeitung Meduza.

Nur noch etwa 2.000 Bewohner harrten in der Stadt aus, 90 Prozent der Häuser seien beschädigt oder zerstört. Kampf und Zerstörung gingen 24 Stunden rund um die Uhr weiter. Chamaza vergleicht ihren aktuellen Eindruck von der Stadt selbst mit der Schilderung des Infernos von Mordor, das der Autor J. R. R. Tolkien in seinem Fantasy-Epos "Herr der Ringe" als Zentrale des Bösen beschreibt.

Der große Symbolwert

Die Stadt hat für beide Seiten im Krieg eine hohe symbolische Bedeutung. 2014 war sie nach Anti-Maidan-Unruhen kurzzeitig von prorussischen Rebellen beherrscht, die dann von der ukrainischen Armee in Richtung des unweiten Donezk vertrieben wurden. Seitdem wurde sie, direkt an der Grenzlinie zum Rebellengebiet gelegen, zu einer Festung der Kiewer Truppen ausgebaut. Wegen der starken Befestigungen griff die russische Armee Bachmut zunächst nicht im Rahmen ihrer Invasion ab Februar 2022 an, sondern versuchte sie zu umschließen.

Das änderte sich ab dem Spätsommer des letzten Jahres. Die Russen begannen, mit einer großen Militärmacht gegen Bachmut vorzurücken, darunter vor allem Söldner der umstrittenen privaten Militärfirma PMC Wagner des russischen Hardliner-Oligarchen Jewgeni Prigoschin. Lange waren die russischen Versuche nicht von sonderlichem Erfolg gekrönt, erst im Januar 2023 gab es die Meldung, die Russen hätten die Kleinstadt Soledar nur 14 Kilometer nördlich von Bachmut eingenommen.

Die Kampfhandlungen rund um die Stadt wurden zunehmend intensiviert und Anfang Februar gelang es der russischen Armee, Bachmut von drei Seiten einzuschließen und östliche Vororte der Stadt unter hohen Verlusten einzunehmen. Das wurde am 5. Februar auch vom britischen Nachrichtendienst bestätigt. Die Front verläuft aktuell durch Stadtteile im Osten.

Ein umstrittener Vergleich wird immer wieder zwischen dem Kampf um die Stadt und der verlustreichsten Schlacht des Ersten Weltkriegs um die französische Stadt Verdun gezogen.

Dieser ist von der Dimension nicht ganz gerechtfertigt, denn wenn in Verdun mehrere Hunderttausend Soldaten fielen, so sind es in Bachmut mehrere Tausend auf beiden Seiten, auch wenn die Verluste zunehmen. Ähnlichkeiten gibt es zwischen beiden Schlachtfeldern jedoch wegen der Grausamkeit vor Ort, einem lang anhaltenden Stellungskrieg, bisher ohne entscheidende Siege und der nahezu vollständigen Zerstörung der lokalen Infrastruktur.

Es gibt in der Stadt jetzt kein einziges komplett erhaltenes Gebäude mehr, Jedes Mal, wenn wir dort sind, hat sich etwas geändert. Etwa Gebäude, in deren Keller wir übernachten, werden kleiner und kleiner – da fehlt neu eine Wand, dort ein Boden (…).

Bei ankommenden Geschossen geht alles so schnell, dass man nicht mal Zeit hat, erschrocken zu sein. Ein dumpfes Geräusch, viel Staub und gleich die Frage: Seid Ihr alle noch am Leben?


Victoria Chamaza gegenüber Meduza

Kaum noch Einheimische in der Stadt

Krankenhäuser gibt es in der Stadt nicht mehr, überall liegen Leichen oder sogar Leichenteile von großkalibrigen Treffern. Durch die Stadt streifen herrenlose, halb verhungerte Tiere, Hunde leben von Kadavern tierischer Opfer der Kämpfe. Nur noch offene Verbandsplätze existieren, an denen Verwundete aus dem Kampf von Ärzten im Dauereinsatz versorgt werden.

Chamaza schreibt von mehreren russischen Angriffen pro Tag. Regierungsnahe russische Zeitungen wie die Nesawisimaja Gaseta in Moskau sehen sie als Vorboten einer Großoffensive und sprechen von wachsenden Erfolgen in Bachmut, seit es den eigenen Truppen gelang, in die Stadt einzudringen.

Außer Soledar hat die russische Armee seit vielen Monaten keine größere Stadt mehr eingenommen, sich im Herbst aus eroberten Gebieten zurückziehen müssen. Wer in Russland den Krieg unterstützt, sehnt sich nach einem militärischen Erfolg in Bachmut - auch wenn er mit vielen Soldatenleben bezahlt werden muss. Auch die New York Times glaubt an eine direkt bevorstehende große Offensivaktion Russlands in den nächsten Tagen.

Die Symbolwirkung für den russischen Erfolg ist durch Truppenbesuche des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj noch gestiegen. Die Mühen bei der Eroberung entschuldigt regierungsnahe russische Presse mit der angeblichen Anwesenheit ausländischer Söldner in den Reihen der Ukrainer. In den Augen der Journalisten ist die Ukraine eher ein Schlachtfeld und der wahre Gegner der Westen - Amerikaner wittern sie überall.

Ob die strategische Bedeutung der Stadt ebenso hoch ist wie der Symbolwert ist stark umstritten. Deutsche Zeitungen mit großen Sympathien für die Ukraine schreiben immer wieder davon, dass auch bei einer Aufgabe von Bachmut ein russischer Angriff in einer Verteidigungslinie hinter der Stadt aufgehalten werden könne.

Hinter der Stadt liegen auf ukrainischer Seite die Großstädte Slawjansk und Kramatorsk mit dem Hauptquartier der Kiewer Donbass-Truppen. Hier handelt es sich auch um das wahre Ziel der russischen Angriffe.

Ebenso umstritten wie die strategische Bedeutung ist, ob der Plan der Kiewer Regierung, Bachmut um jeden Blutzoll zu halten, ein militärisch sinnvoller Schachzug ist oder eher ein sinnloses Unterfangen, das nur zusätzliches Leid verursacht. Die Alternative wäre ein geordneter Rückzug auf eben jene Linie, die hinter der Stadt für den Fall ihres Verlustes existiert.