"Schmutzige Bombe": Wie Moskau das Gerücht zu untermauern versucht

Die Internationale Atomenergiebehörde wurde von Kiew ausdrücklich zur Inspektion eingeladen. Grafik: Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay (Public Domain)

Russland nennt keine Details zu "Beweisen" für angeblich geplante False-Flag-Aktion der Ukraine. Die Umsetzung wäre leichter als der Bau einer gängigen Atombombe. Kiew bietet sofortige IAEO-Inspektion an.

Seit Sonntag wird von russischer Seite vorgebracht, die Ukraine plane den Einsatz einer "schmutzigen Bombe", um diesen dann Russland in die Schuhe zu schieben. Eine solche Waffe ist keine Atombombe im engeren Sinne, die auf einer nuklearen Explosion beruht, sondern eine konventionelle Waffe, die jedoch durch Beimengung radioaktiven Materials solches bei der Explosion mit freisetzt.

Das erforderliche technische Know-How zur Herstellung ist niedriger als bei klassischen Atomwaffen. Der Hauptschaden entsteht nicht durch die Explosion, sondern durch die Verbreitung von Radioaktivität.

Anschuldigungen gegen Kiew aus allen prominenten Kreml-Quellen

Die Anschuldigungen Russlands kommen dabei aus der höchsten Regierungsebene. Verteidigungsminister Sergei Schoigu, angeschlagen durch den bisherigen militärischen Misserfolg der eigenen Truppen, klagt die Ukraine gegenüber Frankreich, Großbritannien, den USA und der Türkei an.

Großbritannien wird der Komplizenschaft beschuldigt, was das Londoner Verteidigungsministerium bereits scharf zurückwies und wiederum Russland beschuldigte, im Krieg einen Vorwand für eine weitere eigene Eskalation zu suchen. In einer gemeinsamen Erklärung sprachen die Außenminister von Frankreich, den USA und Großbritanniens von einer falschen Anschuldigung.

Auch westliche Thinktanks wie das Institute for the Study of War sehen die russischen Anschuldigungen als taktisches Manöver im Krieg, um Militärhilfe für die Ukraine zu verzögern.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow dagegen will die Beschuldigungen im UN-Sicherheitsrat besprechen. Er sprach gemäß der regierungsnahen Moskauer Zeitung Nesawisimaja Gaseta davon, dass es sich nicht um einen "leeren Verdacht" handele: Es lägen Informationen aus zwei "wissenschaftlichen Instituten, die über entsprechende Technologie verfügten, um eine solche schmutzige Bombe zu bauen" aus der Ukraine vor, die "über die entsprechenden Kanäle" geprüft worden seien.

Laut dem Spezialisten der russischen Armee Igor Kirillow, würden durch solche Bomben radioaktive Isotope bis zu 1.500 km weit vom Explosionsort weg getragen und die Arbeiten zur Produktion solcher Bomben würden sich in der Ukraine in der "Endphase" befinden.

Statements zu dieser Anschuldigung verbreitet die russische Regierung aktuell "aus allem Rohren", auch führende Militärs sowie Außenamtssprecherin Maria Sacharowa und Kremlsprecher Peskow äußerten sich offensiv zum Thema. Regierungsnahe russische Medien und Agenturen wie RIA Novosti bezeichnen den Bombenbau gemäß nach eigener Auskunft "glaubwürdigen Quellen" als praktisch erwiesen.

Offizielle ukrainische Stellen wie Außenminister Dmytro Kuleba sprechen von einer "Lüge". Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschuldigte wiederum in einer Videobotschaft Moskau, als einziger potentieller Anwender solcher gefährlicher Bomben in Frage zu kommen.

Inspektionsangebot aus Kiew

Einer der beiden Standorte, die von russischer Seite genannt werden, wurden von der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO zuletzt vor einem Monat inspiziert. Beide stehen wegen ihrer Möglichkeiten unter der Aufsicht der Behörde. Zum Ergebnis der letzten Inspektion meinte IAEO-Generaldirektor Rafael Grossi:

Die IAEO hat vor einem Monat einen dieser Standorte inspiziert und all unsere Ergebnisse stimmten mit den Sicherheitserklärungen der Ukraine überein. Dort wurde keine nicht deklarierten nuklearen Aktivitäten oder Materialien gefunden.

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Rafael Grossi, Generaldirektor der IAEO in einer Stellungnahme vom 24. Oktober

Welche Institute im Fokus stehen, sagen die IAEO und die russischen Politiker in ihren Anschuldigungen nicht direkt. Die regierungsnahe russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti nennt als Verdachtsfälle die "Eastern Mining and Processing Plant" und das "Institute for Nuclear Research". Beide befinden sich in der ukrainischen Hauptstadt Kiew und sind mit Nuklearforschung betraut. Der ukrainische Außenminister Kuleba hat seine Bereitschaft zu sofortigen neuen Inspektionen der IAEO in den in Frage kommenden Einrichtungen erklärt.

Als Untermauerung für seine Anschuldigungen hat das Russische Verteidigungsministerium detailliert die Möglichkeiten der Ukraine für den Bau einer solchen Bombe aufgelistet. Diese dürften in der Tat bestehen. Details zu den nur unbestimmt erwähnten "Beweisen" dafür, dass der Bombenbau tatsächlich stattfindet, werden aber nicht genannt.

Nicht die erste gegenseitige Unterstellung

Die Kampagnen rund um die Vorwürfe gegen die Ukraine gleichen früheren Vorkommnissen, etwa dem Vorwurf des neuen russischen Kommandeurs im Ukraine-Krieg Surowikin am 18.10, dass die Ukraine einen Raketenangriff auf das Wasserkraftwerk Kachowskaja durchführen wolle. Westliche und ukrainische Vertreter unterstellten daraufhin die russische Absicht, einen solchen Angriff "False Flag" durchzuführen und der Ukraine in die Schuhe zu schieben, obwohl bei einem Bruch des betreffenden Staudamms auch russische Stellungen überflutet werden können. Bisher hat keine der beiden Seiten den Staudamm tatsächlich angegriffen.

Zuvor war auch aufgrund von unbestimmt drohenden Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin vor allem im Westen und in der Ukraine gemutmaßt worden, ob Russland im Falle weiterer militärischer Misserfolge den Einsatz von taktischen Atomwaffen plant. Dies hat der russische UN-Vertreter Wasily Nebenzja zwischenzeitlich ausgeschlossen.