Schnecken-Post: Gelber Riese soll bummeln dürfen
Eckpunkte für Reform sehen Abstriche bei gesetzlichen Förderquoten für Briefzustellung vor. Verspätungen gibt es standardmäßig, Pünktlichkeit gegen Aufpreis.
Geht heute noch die Post ab? Nicht mit dem gelben Riesen. Früher konnte sich Großmutter noch darauf verlassen, dass ihr Brief ans Enkelchen am nächsten Tag im Briefkasten landete. Heute dauert so etwas schon mal Tage, mithin Wochen oder endlos. Pro Monat gehen Zehntausende Sendungen verloren und rund 90 Prozent der Beschwerden, die deshalb oder wegen anderer Verfehlungen die Bundesnetzagentur erreichen, beziehen sich auf den deutschen Branchenführer aus Bonn.
Im Vorjahr erreichten die Regulierungsbehörde mit mehr als 43.000 Eingaben fast dreimal so viele wie 2021. Ein Allzeitrekord – vorläufig. Hoher Krankenstand und grassierender Arbeitskräftemangel stehen auf der Liste der Ausreden ganz oben. Den brachialen Personalbau der Vergangenheit und andere sogenannte Umstrukturierungen verkneift man sich in öffentlichen Verlautbarungen. Was zählt, sind Profit und zufriedene Anleger. Fürs Vorjahr rechnet Konzernchef Frank Appel mit einem Gewinn von 8,4 Milliarden Euro, auch das ist eine historische Bestmarke.
Briefgeschäft adieu?
Demnächst wird alles noch besser – für die Aktionäre, versteht sich, nicht für die Kunden. Die Bundesregierung schickt sich an, das Postgesetz zu novellieren. Zuletzt war das Regelwerk 1999 grundlegend erneuert worden. Damals steckte das Internet in den Kinderschuhen, das Briefgeschäft lief bestens und der Standardbrief kostete 1,10 D-Mark.
Nach etlichen Portoaufschlägen in gefühltem Jahrestakt liegt der Preis inzwischen bei 85 Cent, und nicht ganz zufällig gilt die Unternehmenssparte heute als größtes Sorgenkind der Deutschen Post AG. Warum schreibt die Oma mit Magerrente auch nur halb so viel wie früher?
Was macht man da? Man trennt sich vom Sorgenkind. Nach Medienberichten aus der Vorwoche denken die Konzernbosse über den Ausstieg aus dem Universaldienst nach. Selbst mit der Bundesnetzagentur sollen dazu schon Gespräche gelaufen sein, auch die Betriebsräte und Gewerkschaften seien alarmiert.
Die Meldung machte just während der ersten größeren Streikwelle im Rahmen des Tarifstreits bei der Post die Runde. Die Gewerkschaft ver.di will 15 Prozent mehr Lohn durchsetzen, argumentiert mit Rekordinflation sowie prächtigen Unternehmensbilanzen. Das Management hat in zwei Verhandlungsrunden noch kein eigenes Angebot vorgelegt und hält stattdessen mit Angstmacherei dagegen. Beim Aus des Briefgeschäfts könnten bis zu 220.000 Arbeitsplätze wegfallen und den Verbrauchern drohe ein "Flickenteppich in der Zustellung von Briefen", heißt es.
Neuentdeckung der Langsamkeit
Aber es gibt ja noch andere Hebel und hier kommt die Postgesetzreform ins Spiel. Am vergangenen Donnerstag präsentierte das Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) erste Eckpunkte zu dem Vorhaben. Im Zentrum der Pläne: Die Post wird langsamer. Die gesetzliche Verpflichtung, mindestens 80 Prozent der Briefsendungen bis zum nächsten Werktag auszuliefern und 95 Prozent innerhalb von 48 Stunden soll gekippt werden. Diese Vorgabe sei "wenig aussagekräftig" und "kaum hilfreich", liest man in dem Konzeptpapier, "denn der Absendende weiß nicht, ob sein Brief zu den 80 Prozent gehört oder nicht".
Das ist von "bestechender" Logik: Wenn im Fußball 80 Prozent der Freistöße im Tor einschlügen, wer würde dann die 20 Prozent Fehlschüsse als Richtgröße für Fortschritt nehmen? Die Neuentdeckung der Langsamkeit deckt sich eins zu eins mit den Vorstellungen des Post-Frontmanns. "Muss tatsächlich jeder Brief, oder mehr als 80 Prozent, am nächsten Tag zugestellt werden?", hatte Appel bereits vor ein paar Wochen gefragt. Natürlich nicht – und das ist auch gut so, zumindest versucht das Wirtschaftsministerium, dies weiszumachen.
Denn was auf eine faktische Verschlechterung beim Service (oder eher eine Anpassung der Gesetzeslage an die schon heute schlechte Qualität) hinausläuft, verkauft das BMWK unter Robert Habeck (Grüne) als reinen Segen. So könnten längere Laufzeiten und höhere Verbindlichkeit "den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer in höherem Maße entsprechen und gleichzeitig eine nachhaltigere Erbringung des Universaldienstes ermöglichen".
Bestes Klima für Profite
Erhört hat die Ampel-Regierung wohl auch die Forderung der Post, die ohnehin schon laxen Anforderungen in puncto Filialnetz weiter zu lockern. Nach Angaben der Bundesnetzagentur gibt es aktuell 140 "unbesetzte Pflichtstandorte" vor allem im ländlichen Raum. Gemäß Eckpunkten "könnten beispielsweise auch jederzeit verfügbare automatisierte Einrichtungen den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer entsprechen".
Seit 2012 betreibt die Post keine hauseigenen Zweigstellen mehr, sondern lässt ihre Dienste von sogenannten Postagenturen in Gestalt von Tankstellen, Kiosken und Supermärkten offerieren. So geht Kundenferne für den maximalen Profit. Fehlt nur noch, dass man die geplante Bummelei beim Briefversand mit den überlasteten Zustellern rechtfertigt. Wobei: Manche könnte die Umstellung den Job kosten. Endlich Zeit, mal die Beine hochzulegen.
Herhalten muss für die Reform selbstredend auch der Klimaschutz. Mit der Modernisierung solle zugleich "zur sozial-ökologischen und digitalen Transformation des Postsektors beigetragen werden" durch "Anreize für eine nachhaltigere Brief- und Paketlogistik". Ja, in Deutschland werden Postkarten und Briefe heute noch durch die Luft befördert, genaugenommen mit sechs Inlandsflügen pro Nacht.
Standard wird Premiumprodukt
Zur Wahrheit gehört jedoch, dass das beschworene Post-Comeback auf der Schiene bisher ziemlich kläglich ausfällt. 2021 lag die Quote der zwischen den großen Sortierzentren mit der Bahn transportierten Sendungen nach Unternehmensangaben bei sechs Prozent. Den großen Rest erledigen nach wie vor LKWs und mit 200 Fliegern unterhält der Logistikableger DHL nach der Lufthansa die zweitgrößte Flotte unter deutschen Unternehmen. Jeder Beitrag zum Klimaschutz ist begrüßenswert. Wo er aber nur vorgeschoben wird, um die Rendite zu steigern, ist Vorsicht geboten.
Das gilt auch für die jüngsten Vorstöße von Politikern, die dem Branchenprimus Mäßigung empfehlen. "Wenn der Post im Rahmen dieser Reform Erleichterungen zugestanden werden und der Briefversand länger dauert, dann muss sich das für die Verbraucher im Preis niederschlagen", äußerte sich etwa der FDP Bundestagsabgeordnete Reinhard Houben. Das Briefporto müsse deshalb "billiger werden oder zumindest sehr lange konstant bleiben".
So sehen das ebenso Vertreter von SPD und CSU. Für den Christsozialen Hansjörg Durz ist klar: "Denn weniger Leistung zum selben Preis: Das wäre eine satte Portoerhöhung durch die Hintertür."
Dann doch gleich durch die Vordertür. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) schrieb, sei auch "ein Premiumprodukt für einen schnelleren Versand" im Gespräch, "so dass die Briefpreise künftig von den Laufzeiten abhängen könnten". Kommt es erst so weit, hat bestimmt auch das Sorgenkind Briefsparte eine Zukunft und macht Appel demnächst einen noch besseren Schnitt als die zuletzt über zehn Millionen Euro Jahressalär. Und Oma? Wie wär's mit WhatsApp.
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