Schweden: Ministerpräsidentin Andersson gesteht Sieg der Rechten ein (Update)

Erfolgreich und fordernd: Schwedens oberster Schwedendemokrat Jimmie Åkesson. Foto: Landstingshuset / CC-BY-SA-4.0

Regierungsbeteiligung der Rechtspopulisten in Stockholm zeichnet sich ab. Rechtsbündnis kommt mit drei Stimmen auf neue Mehrheit. Andersson zieht sich zurück.

Eingeständnis mit Verzögerung: Drei Tage nach der Parlamentswahl in Schweden hat die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson ihre Niederlage eingeräumt. Damit überlässt die Politikerin der rechten Opposition der sogenannten Schwedendemokraten das Feld. Anderssons Sozialdemokratische Arbeiterpartei war am Sonntag auf 30,5 Prozent der Stimmen gekommen. Heimlicher Wahlsieger aber waren die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die mit ihrem Vorsitzenden Jimmie Akesson mit 20,6 Prozent zweitstärkste Kraft in Stockholmer Reichstag wurden.

Nach Auszählung fast aller Stimmen lag das rechte Lager aus Moderater Sammlungspartei, Schwedendemokraten, Christdemokraten und Liberalen mit 176 Mandaten vor dembislang regierenden linken Block, der nunmehr auf 173 Mandate kommt – eine herbe Niederlage für die sozialdemokratische Regierungschefin Andersson.

Nach Einschätzung von Agenturen liegt damit eine Regierungsbeteiligung für die „Schwedendemokraten“ erstmals in greifbarer Nähe. Die Wurzeln der Schwedendemokraten liegen auch im Rechtsextremismus. Von dieser Vergangenheit distanziert sich die Partei heute. Wie ehrlich das gemeint ist, bleibt Gegenstand der politischen Debatte in Schweden und über die Landesgrenzen hinaus.

Bei einer Pressekonferenz am Mittwochabend räumte Andersson indes ein, das oppositionelle Rechtsbündnis habe die Wahlen am Sonntag gewonnen. Es handele sich um eine dünne Mehrheit, „aber es ist eine Mehrheit", sagte sie.

Der nächste Ministerpräsident in Schweden heißt damit höchstwahrscheinlich Ulf Kristersson. Der Wermutstropfen für ihn an diesem Sieg: Alle Zugewinne auf der rechtskonservativen Seite gingen am Sonntag an die Schwedendemokraten (SD). Kristerssons Moderate liegen 1,5 Prozent hinter den SD. "Unser Ziel ist, in der Regierung zu sitzen", so der SD-Vorsitzende Jimmie Åkesson am Wahlabend. Und das wird Kristersson ihm in dieser Konstellation nicht verwehren können. Die Verhandlungen haben bereits begonnen.

Während Kristersson also ein Sieger ist, dessen Partei nur knapp das Ergebnis von 2018 halten konnte, ist die bisherige Ministerpräsidentin Magdalena Andersson die Verliererin, obwohl die Sozialdemokraten mit zuletzt 30,5 Prozent erneut stärkste Kraft wurden und sogar zwei Prozent dazugewonnen haben. Doch ihrem Block fehlt nach vorläufigem Ergebnis noch ein Sitz zur Mehrheit. Am Montagmorgen unterscheiden sich die Blöcke um 47.000 Stimmen.

Die grüne Umweltpartei (Miljöpartiet) schaffte es trotzt schlechter Umfragewerte doch gut über die Vier-Prozent-Hürde – vermutlich mithilfe von Stützstimmen aus dem rot grünen Block, zu dem auch noch Linkspartei und das liberale Zentrum zählen. Zu Kristerssons Block gehören neben den Schwedendemokraten auch die Christdemokraten und die Liberalen.

Dass es knapp werden würde, hatten Umfragen seit Wochen vorausgesagt. Anfangs sah es sogar nach einer Mehrheit für die rot-grüne Seite aus. Das endgültige Ergebnis wird erst am Mittwoch oder Donnerstag feststehen, wenn auch sämtliche Stimmen aus dem Ausland eingetroffen und gezählt sind. Bei einem derart knappen Ergebnis könnten diese entscheidend sein.

Das Ergebnis ist aber keineswegs eine große Verschiebung der bisherigen Verhältnisse: Die Schwedendemokraten haben um 3,1 Prozentpunkte zugelegt, die Sozialdemokraten um 2,2 Prozentpunkte. Bei allen anderen Parteien bewegen sich die Veränderungen im Bereich von weniger als zwei Prozentpunkten. Knapp waren die Verhältnisse vorher schon, nur etwas zugunsten des rot-grün-liberalen Blocks.

Dass die Schwedendemokraten so gut abgeschnitten haben, dürfte an mehreren Punkten liegen: Es ist Jimmie Åkesson in den vergangenen Jahren gelungen, die Partei aus der Neonazi-Schmuddelecke zu führen, und dafür haben ihm Christdemokraten und Moderate den Weg bereitet.

Dass die Parteigründer zu einem großen Teil Neonazis waren, ist unbestritten. Jimmie Åkesson regiert allerdings jedes Mal extrem gereizt, wenn man die Farbe "braun" mit seiner heutigen Partei in Verbindung bringt. Es werden aber immer wieder Fälle von SD-Mitgliedern bekannt, die auch in offensichtlichen Neonazi-Organisationen wie Nordiska Motstandsrörelsen (NMR) aktiv sind. Eine Untersuchung von Acta Publica zeigte vor kurzem, dass 289 Kandidaten zur Wahl 2022 rechtsextreme Tendenzen öffentlich gezeigt haben, zum Beispiel mit Hitlergruß oder durch die Teilnahme an NMR-Demonstrationen – 80 Prozent davon gehören SD an.

Die Schwedendemokraten punkten mit einfachen Lösungen für Probleme wie Bandenkriminalität und Energiepreise, die ungefähr darauf hinauslaufen: Ausländer raus, Wohlfahrtsstaat ja, aber nur für Schweden, und Atomkraft ja, bitte. Sie sind außerdem die einzige Partei, die das Klima-Thema mehr oder weniger beiseite schiebt.

Was können die Schweden von einer Regierung Kristersson erwarten?

Ulf Kristersson war der gemeinsame Spitzenkandidat des rechtskonservativen Blocks. Hätte sein Block nicht mit knapper Mehrheit gewonnen, wäre seine politische Karriere vermutlich zu Ende gewesen. Es gilt als wahrscheinlich, dass er nun auch Ministerspräsident wird, obwohl seine Fraktion nicht die stärkste geworden ist. Die Schwedendemokraten haben allerdings mit ihrem Wahlergebnis eine sehr gute Verhandlungsbasis, um ihre Inhalte durchzusetzen.

Erste SD-Mitglieder sprechen bereits vom Posten des Ministerpräsidenten, aber so weit wird es wohl nicht kommen. Kristersson will nun "einen, nicht spalten", und alles tun, um einen neue, handlungskräftige Regierung zu bilden.

Bestätigt ist, dass Jimmie Åkesson (SD) am Montag bereits zum Gespräch bei den Moderaten war. Auch der Liberale Johan Pehrson war dort sowie Ebba Busch von den Christdemokraten. Die Liberalen wollen eigentlich keine Regierung stützen, an denen die Schwedendemokraten direkt beteiligt sind. Dies äußerten liberale Vertreter auch nach der Wahl.

Mit 4,6 Prozent sind die Liberalen gerade so wieder ins Parlament gekommen und nun das Zünglein an der Waage. Ulf Kristersson muss jetzt zwei Kooperationspartner koordinieren, die sich gegenseitig misstrauen. Stefan Löfvén und Magdalena Andersson können davon ein Lied singen.

Darauf können sich die Schweden einstellen: Einwanderung von außerhalb des Nordens und außerhalb der EU dürfte stark begrenzt werden, soweit das noch möglich ist, vermutlich wird das Asylrecht strikter gehandhabt werden. Es dürften neue Atomkraftwerke geplant werden.

Die Dänen werden allerdings wenig begeistert sein, wenn der Standort Barsebäck gegenüber von Kopenhagen wieder auflebt, wie die Christdemokraten es vorgeschlagen haben. Klimaschutzmaßnahmen werden sich auf ein Minimum beschränken. Versprochen sind auch Steuererleichterungen.

Es gibt aber durchaus Fragen, in denen die Schwedendemokraten sich nicht einig sind mit den Moderaten. So plädieren SD für einen Kostendeckel bei der zahnärztlichen Versorgung – etwas, was für die Moderaten gar nicht infrage kommt. Diese wollen den Sozialstaat weiter abbauen.

An der höchst problematischen Finanzierung von freien Schulen, die die Kommunen ausbluten, wird sich in den nächsten vier Jahren nichts ändern. Die Aktien der kommerziellen Schulkonzerne schossen in die Höhe (https://www.svt.se/nyheter/inrikes/senaste-nytt-om-svensk-politik-och-valet-2022) , als klar wurde, dass es voraussichtlich eine Kristersson-Regierung gibt.

Kristersson hatte sich stets für Gewinnmöglichkeiten im Schulsystem ausgesprochen und ist selbst tief verstrickt in das, was der rechte Debatteur Ivar Arpi "Freundschaftskorruption" im Schulwesen nannte. Die Beschränkung von Gewinnen für die Schulkonzerne war ein Thema der Linkspartei, der grünen Miljöpartiet und der Sozialdemokraten gewesen.

Das Interessante an dieser Wahl ist, dass sie unter ganz anderen Voraussetzungen stattfand als die Wahl 2018, und dennoch größtenteils sehr ähnliche Resultate brachte. Es war diesmal klar, wer zu welchem Block gehört und was im Falle eines Wahlsieges auf der Agenda steht. 2018 gab es noch eine bürgerliche Allianz aus den beiden konservativen und den beiden liberalen Parteien, die nicht mit den Schwedendemokraten zusammenarbeiten wollten. Verändert hat sich auch die Weltlage – doch Außenpolitik spielte kaum eine Rolle.

Warum hat der rot-grüne Block verloren? Die Sozialdemokraten hätten sich zu sehr auf städtische Wähler und Studentenstädte eingerichtet, so der sozialdemokratische Debatteur Daniel Suhonen zu SVT. Sie hätten wirtschaftliche Probleme und höhere Steuern heruntergespielt. Sie hätten ihre soziale Basis verloren.Tatsächlich haben die Sozialdemokraten einen inhaltlich oft schwammigen Wahlkampf geführt, der auf die Spitzenkandidatin Andersson fokussiert war. Doch es waren Zentrum und Linkspartei, die Stimmen verloren haben – möglicherweise an Miljöpartiet.

Nach bisherigen Zählungen betrug die Wahlbeteiligung um die 83 Prozent, was für Schweden eher niedrig ist. Es sind aber auch noch nicht all die Stimmen mit- und ausgezählt, die vorab oder im Ausland abgegeben wurden. Es bleibt also noch ein bisschen spannend. Magdalena Andersson will sich nicht vor dem Endergebnis äußern.

Bei diesem Text handelt es sich um einen aktualisierten Beitrag. Überarbeitung und Aktualisierung: Harald Neuber.