Schwedens Behörden schließen Nord-Stream-Untersuchung ohne klare Täterzuweisung

Schwedens Geheimdienst beendet Ermittlungen zum Nord-Stream-Angriff. Generalbundesanwalt forscht weiter. Anfängliche Gewissheiten stehen in Frage.

Die schwedischen Behörden haben am Mittwoch ihre mehr als einjährigen Ermittlungen zum Unterwasserangriff auf die Nord Stream-Pipeline eingestellt. "Schweden ist nicht befugt, in dieser Angelegenheit weiter zu ermitteln", hieß es am Mittwoch in einer Erklärung des Schwedischen Sicherheitsdienstes.

Rätsel um Nord Stream bleibt ungelöst

Der Nachrichtendienst teilte mit, dass sie nicht befugt sei, in dieser Angelegenheit weiter zu ermitteln. Das Hauptanliegen der Behörden sei gewesen, einen möglichen Angriff auf Schweden zu untersuchen.

Die Untersuchung wurde eingeleitet, um zu prüfen, ob die Sabotage gegen Schweden gerichtet war und damit die Sicherheit Schwedens bedrohte, was nicht der Fall war. Viele andere Aspekte der Vorfälle wurden ebenfalls untersucht, ein Prozess, der die Zusammenarbeit mit anderen Ländern erforderte, die ebenfalls die Vorfälle erforschen.

Wer steckt wirklich hinter dem Nord Stream Angriff?

Der Angriff auf die Pipelines fand im September 2022 statt, nur sieben Monate nach der russischen Invasion in der Ukraine. Die Sabotage löste eine internationale Kontroverse über die möglichen Täter aus. Während im Westen schnell Russland als Hauptverdächtiger galt, deuteten Geheimdienstinformationen später auf eine ukrainische Gruppe hin.

Wer steckt wirklich hinter dem Nord Stream Angriff?"

Nach den Explosionen, die Löcher in drei der vier Stränge der Nord Stream-Pipeline rissen, vermuteten Experten, dass ein staatlicher Akteur am Werk gewesen sein müsse.

Gleichzeitig lenkten die Anschläge die Aufmerksamkeit westlicher Staaten auf die Sicherheit anderer Infrastrukturen. Die Explosionen an der Erdgasleitung hätten schließlich auch ein in der Nähe verlaufendes Stromkabel zwischen Schweden und Polen beschädigen können.

Die Explosionen ereigneten sich in internationalen Gewässern, aber innerhalb der Wirtschaftszonen Schwedens und Dänemarks. Daher fühlten sich vor allem die Behörden dieser beiden Länder zur Untersuchung berufen.

Die schwedischen Behörden räumten anfangs ein, dass es wenig konkrete Beweise vor Ort gab. Konkrete Erkenntnisse hielten sie lange geheim und lehnten einen Austausch mit den Behörden in Dänemark und Deutschland ab. Sie betonten auch ihre intensive internationale Zusammenarbeit. Nun heißt es aus Stockholm, man habe "intensiv mit mehreren anderen Regierungsbehörden auf nationaler und internationaler Ebene zusammengearbeitet und Informationen ausgetauscht, die sich im Rahmen der Ermittlungen ergeben haben".

Jede weitere Zusammenarbeit, die in dieser Angelegenheit erforderlich sein könnte, wird nicht im Rahmen einer formellen Untersuchung, sondern im Rahmen der laufenden operativen Arbeit des schwedischen Sicherheitsdienstes erfolgen.

Swedish Security Service

Mangel an konkreten Hinweisen in Nord-Stream-Fall

Nach den Anschlägen hatten Polen und die Ukraine öffentlich Russland für die Anschläge verantwortlich gemacht, ohne diese These jedoch mit Beweisen zu untermauern. Russland beschuldigte seinerseits die USA, Großbritannien und die Ukraine, ebenfalls ohne stichhaltige Beweise.

Als Geheimdienstinformationen auf eine proukrainische Gruppe als Täter hinwiesen, erklärten US-Beamte, keine Beweise für eine Beteiligung ukrainischer Regierungsvertreter gefunden zu haben. Verschiedene Indizien führten zu weiteren öffentlichen Spekulationen.

Mats Ljungqvist, leitender Staatsanwalt, der die schwedischen Ermittlungen geführt hatte, sagte der New York Times im vergangenen Jahr, er habe seine eigenen Schlüsse gezogen:

Glauben Sie, dass Russland Nord Stream in die Luft gejagt hat? Das habe ich nie gedacht. Es ist nicht logisch. Aber wie bei einem Mord muss man alle Möglichkeiten in Betracht ziehen.

Der deutsche Generalbundesanwalt äußert sich nicht zu den laufenden Ermittlungen, die von der Entwicklung in Schweden profitieren dürften, denn nun kommen wohl neue Erkenntnisse aus Stockholm.

Die Bundesregierung hält sich ebenfalls bedeckt. Auf Anfrage des BSW-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko teilte die Bundesregierung lediglich mit, der Generalbundesanwalt habe das Justizministerium "seit dem 27. Juni 2023 mit Berichten vom 18. August 2023 und 13. Dezember 2023 über den Stand der Ermittlungen wegen des Verdachts der verfassungsfeindlichen Sabotage (§ 88 StGB) und anderer Straftaten im Zusammenhang mit der Beschädigung der Ostsee-Pipeline Nord Stream am 26. September 2022 unterrichtet".

Alles in allem ist die Lage für die westlichen Nato-Staaten eher unerfreulich. Die aufgeregten Spekulationen, Russland sei für den Anschlag verantwortlich, haben sich bisher nicht bestätigt. Stattdessen weist die Spur weiter nach Kiew.

Zweifel an Russlands Schuld: Neue Fakten weisen auf ukrainische Beteiligung hin

Der ehemalige ukrainische Geheimdienstler Roman Tscherwynsky steht im Zusammenhang mit dem Nord-Stream-Angriff im Zentrum schwerer Vorwürfe. Nach Recherchen des Nachrichtenmagazins Spiegel und der Washington Post soll er den Angriff auf die Pipelines koordiniert haben. Dem Ex-Spion, der zeitweise in Untersuchungshaft gesessen haben soll, drohen wegen eines weiteren mutmaßlichen Delikts zwölf Jahre Haft.

Verdacht gegen Ukraine: Neue Wendung im Nord Stream Sabotagefall

Laut Spiegel soll der Ex-Agent nach Kriegsbeginn in einer Freiwilligeneinheit der ukrainischen Spezialkräfte gedient haben. Die Einheit sei für Spezialeinsätze hinter den feindlichen Linien zuständig und in die militärischen Kommandostrukturen des Landes eingebunden gewesen.

"In Sicherheitskreisen heißt es, es sei kaum vorstellbar, dass nicht zumindest der ukrainische Generalstab im Vorfeld von dem Angriff auf Nord Stream gewusst habe", so der Spiegel.

Nun laufen die Ermittlungen unter anderem in Deutschland noch, aber in Sicherheitskreisen geht auf Basis der bisherigen Daten kaum noch jemand davon aus, dass Russland seine eigene Pipeline gesprengt hat.

Pikanterweise hatte es schon vor dem Anschlag Hinweise auf ukrainische Sabotagepläne gegeben. Der US-Auslandsgeheimdienst CIA hatte entsprechende Äußerungen russischer Geheimdienstmitarbeiter abgefangen und deren Inhalt unter anderem nach Berlin weitergeleitet.

Nachdem der Anschlag trotz dieser Hinweise nicht verhindert werden konnte, richteten sich alle Augen auf Moskau. Der Nordatlantikrat erklärte am 29. September 2022:

Alle derzeit verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass dies das Ergebnis vorsätzlicher, rücksichtsloser und unverantwortlicher Sabotageakte ist. (...) Jeder vorsätzliche Angriff auf kritische Infrastrukturen von Bündnispartnern würde mit einer gemeinsamen und entschlossenen Reaktion beantwortet.

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Nato im Zwiespalt: Mögliche ukrainische Beteiligung wirft Fragen auf

"Jeder vorsätzliche Angriff" – das würde auch die Ukraine einschließen. Man darf also gespannt sein, wie die Nato und ihre Mitgliedstaaten reagieren, wenn sich am Ende herausstellt - und danach sieht es derzeit aus -, dass ein ukrainisches und nicht ein russisches Kommando für die Aktion verantwortlich war.

Wie stark die Debatte von Anfang an eingefärbt und verzerrt war, machte der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter nach den Anschlägen deutlich, die offenbar hätten verhindert werden können.

"Ich halte es schon für naheliegend, dass es Russland gewesen sein könnte", sagte er im ARD-Morgenmagazin. Der Oberst a.D. suggerierte damit Sach- oder gar Faktenkenntnis, um sich mit dem nachgeschobenen Konjunktiv eine Hintertür offenzuhalten.

Was Kiesewetter an diesem Vormittag nicht sagte, lieferte der Journalist Friedrich Küppersbusch nach: Kiesewetter war offenbar schon vor der Sommerpause 2022 als stellvertretender Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums darüber informiert, dass die Ukraine einen Anschlag auf die Pipelines in die EU planen könnte.

Offenbar wurde diese Spur aus politischen Gründen nicht weiterverfolgt. Stattdessen wurde das Narrativ vorgegeben.

Noch Ende September 2023 vertrat der Osteuropaforscher Andreas Umland die These, Russland habe die stärksten Motive gehabt, um Vertragsstrafen nach dem Stopp des Gastransports durch Nord Stream 1 im Sommer 2022 zu entgehen. Dass der russische Energiekonzern Gazprom ein solches Schiedsverfahren einfach hätte ignorieren können, bezog er ebenso wenig in seine Überlegungen ein wie westliche Geheimdiensterkenntnisse, über die die Washington Post berichtet hatte.

Das alles bedeutet nicht, dass Russland eine weiße Weste hat. Aber die Debatte um Nord Stream zeigt in seltener Deutlichkeit, wie der Diskurskorridor eingehegt und verengt wurde.

Ende September 2022 hatte der Spiegel den Angriffen seine Titelgeschichte gewidmet. Russland wurde darin rund 30 Mal erwähnt, fast ausschließlich im Zusammenhang mit Schuldzuweisungen.

Die auch damals schon in seriösen sicherheitspolitischen Kreisen diskutierte Ukraine-Spur erwähnt der Artikel einmal, und zwar in Frageform: "Ist es vorstellbar, dass ‚Rogue Units‘ am Werk waren, außer Kontrolle geratene Einheiten etwa von Geheimdiensten, die auf eigene Faust Geschichte schreiben wollten?"

Eine Antwort sucht man in dem Artikel vergeblich, dafür enthält der Text einen Satz, der bezeichnend ist für die gesamte Diskussion um die Nordstream-Anschläge: "Es spricht, flapsig gesagt, gefühlt doch weit mehr für eine Tat der Russen."