Schweinsbraten oder Netflix?

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Medien: Der Generation Z stehen schwere Entscheidungen bevor - ein Meinungsaustausch.

Gegen die Vernunft habe ich nichts, ebenso wenig, wie gegen Schweinebraten. Aber ich möchte nicht ein Leben leben, in dem es tagaus tagein nichts anderes gibt als Schweinebraten.

Paul Feyerabend

Die Fragen, die frühere Generationen diskutierten – "Nie wieder Krieg?" oder "Wann kommt die Weltrevolution?" – sind heute längst durch Wichtigeres abgelöst: Darf man noch Schweinsbraten essen? Und wenn ja, wie viele?

Kriege, Pandemien, Klimakrisen machen den Alltag der Menschen sowieso schon schwer genug. Hinzu kommt der Faktor der Moralisierung noch der banalsten und alltäglichsten Handlungen: Tragen sie etwas bei zum Untergang der Welt oder halten sie ihn gar ein paar Nanosekunden auf? Wie steht es um den eigenen Fußabdruck auf der Weltuntergangsuhr?

Ist die Endzeit schon da?

Oder ist die Endzeit sowieso schon da? Diesen Eindruck kann jedenfalls bekommen, wer eine Debatte verfolgt, die in den letzten Monaten in der linksalternativen Berliner taz in mehreren Artikeln ausgetragen wurde.

Grob gesagt steht hier eine redaktionelle Mehrheit woker Boomer-Hasser und Alltagsmoralisten gegen eine Minderheit der Moralisierungsververweiger und Alltagshedonisten, ebenfalls aus der Redaktion, die wiederum von einer Mehrheit der taz-Leser im Leser-Forum unterstützt wird.

Aber der Reihe nach: Schon etwas älter ist die Polemik des offensichtlich angenervten Redakteurs und kurzzeitigen taz-Chefs Andreas Rüttenauer, der gelegentlich auch als Kabarettist auftritt und als bekennender Münchner im nordisch-puritanischen taz-Spektrum schon per se ein Außenseiter ist, gegen den "Zertifikatehandel mit dem Klimagewissen".

Darin versucht der Autor auch den skeptischen Lesern klarzumachen, warum ihm beim Gedanken an die kommende Klimakatastrophe der Schweinsbraten immer noch schmeckt: "Ich brauche kein schlechtes Gewissen zu haben, ... ich bin ja sonst ein recht klimafreundlicher Mensch." Der Mann hat keinen Führerschein, macht Wanderurlaub und trägt angeblich fair produzierte Unterwäsche.

Selbstzensur nach verinnerlichten Verbotstafeln

Allein dass dies alles in dem Text überhaupt der Erwähnung wert ist, zeigt, wohin die einst gedankenfreien Gesellschaften des Westens gekommen: Zu Gesinnungsblasen, die sich zunehmend durch Selbstzensur nach verinnerlichten Verbotstafeln regulieren, und in denen es en vogue ist, durch öffentliche Selbstkasteiung und Fehlereingeständnisse moralische Pluspunkte für den jüngsten Tag zu sammeln. Rüttenauer spricht süffisant vom "Handel mit Gewissenszertifikaten".

Ansonsten argumentiert sein Text weniger, als dass er verführen und mit sinnlichen Gewissheiten überzeugen will:

Wenn ich in München bin, wo ich einmal hergekommen bin, weiß ich, wo es einen guten Schweinsbraten gibt. ... Erst mal den Knödel zerteilen. Nicht schneiden, zerreißen muss man ihn. Mit einem kleinen Stück davon versuche ich so viel Sauce wie möglich aufzunehmen, um den Geschmack des Krautsalats, den es vorneweg gegeben hat, ein wenig zu neutralisieren. Dann widme ich mich dem Schwein, von dem ein kleines Teil mich vom Teller aus anzulächeln scheint. Mit dem Messer klopfe ich auf die Schwarte und überprüfe, ob die beim Braten auch wirklich schön rösch geworden ist. Dann schiebe ich mir das erste Stück des Bratens in den Mund. Biss muss er haben, einen eigenen Geschmack aufweisen, und mit der Sauce, die gerne ein wenig malzig schmecken darf, sollte er eine Einheit bilden.

Andreas Rüttenauer

Ganz ohne Spott geht das nicht: "Von der Freischankfläche aus sieht man einen französischen Bäcker, der echte Münchner Croissants verkauft. Daneben kann man Latte trinken. An der nächsten Straßenecke ist ein Start-up, das veganes Hundefutter vertreibt. So ist das heute wohl, denke ich und ergötze mich am Wohlklang, den das Zermalmen der Schweinsbratenkruste verursacht. Die vegan gehaltenen Hunde wären sicher neidisch, denke ich mir. Und: Wenn es dem Klima hilft, soll es mir recht sein."

"Das meiste Gemüse ist nicht vegan"

Der Beitrag findet unter den Lesern Unterstützer wie Gegner: "Das Leben muss Freiheiten haben, Spaß machen, sonst lebt es niemand", schreibt etwa Toto Barig. Ein Leben ohne CO-Fußabdruck sei unmöglich und ein Leben ohne jeden Spaß brauche niemand. Und emmicam weist darauf hin, man könne "nichts machen in unserer Gesellschaft, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. Höchstens durch Vermehrung den Ressourcenverbrauch noch mehr anzukurbeln".

Zu Wort melden sich auch die Empörungsgarden der Veganisten: "Kuhmilchproduktion ist nicht appetitlicher als der grausame Tod, den 245 Millionen Schweine, die 2020 in der EU geschlachtet wurden. Nach über 30 Jahren vegetarischer Ernährung lebe ich nun hauptsächlich vegan. Das schadet weder mir noch dem Schwein noch dem Klima."

Was dann im Leser-Forum der taz eine Subdebatte über Veganismus entfesselt, in der unter anderem auch erklärt wird, warum vegane Ernährung und Kleidung extrem einfach umsetzbar sei, "das meiste Gemüse" aber "leider nicht vegan" ist. Warum? Bauern nutzen Gülle aus der Massentierhaltung.

Am besten sei es, keine Kinder auf die Welt zu bringen.

Alles mündet dann in bloße Satire: "Wild jage ich mit meinen alten Lada Niva und seinen Kuhfänger immer im Wald. Hab dafür keine Kinder und ernähre meinen Hund ganz bestimmt nicht vegan", schreibt ein Leser.

"Jüngere betrachten das große Ganze"

Solche Zeilen und Debatten brachten andere taz-Kollegen offenbar auf die Palme: Fast ein halbes Jahr dauerte es bis die Gegendarstellung formuliert war und von den moralischen Wohlfahrtsausschüssen freigegeben wurde.

Als Autor zeichnet Enno Schöningh, der zwar nach eigenen Angaben nur bis zum Bachelor studiert hat, aber dafür (Jahrgang 1995) die Unschuld der Jugend sein eigen nennt. Nachdem er dem Kollegen widersprochen hat ("Schweinsbraten-Syndrom") erklärt er die Klimadebatte zum Generationenkonflikt zwischen den Boomern, die an allem schuld sind und vom "Schweinsbraten-Syndrom" geplagt im Irrtum leben, und den weisen Jungen der "Generation Z", die natürlich wissen, dass "der Globale Norden" über die ökologischen Verhältnisse lebt und sich freiwillig in die Jungsteinzeit zurückversetzen muss, als man noch keine Schweine züchtete.

"Jüngere betrachten das große Ganze" - im Gegensatz zu den "Boomern", die nur ein bisschen am Konsumverhalten schrauben, behauptet Schöningh, und dann: "Die Jungen haben recht."

"Ob man noch in Frieden Steak genießen darf..."

Ohne an die Tatsache einen Gedanken zu verschwenden, dass die Schöningh vermutlich eher unsympathische FDP bei der letzten Bundestagswahl die meisten Stimmen der Erstwähler bekam und die zweitmeisten bei unter 29-jährigen, macht er weiter:

Für mich ist die Frage, ob man noch in Frieden Steak genießen darf, wenn man sich dafür anderweitig engagiert, die falsche. Sie ist eigentlich unbedeutend. Wenn ich an die Klimakrise denke, kommen mir weder Schweinsbraten noch nachhaltige Mode als Erstes in den Sinn. Ehrlich gesagt, denke ich dann gar nicht so sehr an mich selbst. Und das liegt nicht daran, dass ich mir nie Gedanken über meinen zu großen ökologischen Fußabdruck mache.

Enno Schöningh

Vielleicht macht es sich der Autor mit dieser Auffassung und der Ansicht, dass man als Einzelner eh nicht viel machen kann, dann doch etwas zu einfach. Schöningh benennt nicht einmal ansatzweise Lösungswege.

Und erntet dafür heftigen Widerspruch der taz-Leser: "Unglaubliche Generalisierungen. ... Der hier dargestellte Generationenkonflikt ist ein Konstrukt. ... Immer waren Ältere an den Entscheidungshebeln, Jüngere wussten zum jeweiligen Zeitpunkt auch immer alles besser ... Jugend allein ist kein Kriterium für eine gute, zukunftsgerichtete Politik - oder wo gibt es Beispiel dafür?"

Digitalisierung als Klimakiller

Unbeachtet bleiben ein paar zentrale Punkte: Die Millennials, die gerne die Boomer kritisieren, verbrauchen mindestens so viel Energie wie diese, wenn sie auf ihren E-Rollern zur taz-Redaktion fahren. Wenn sie mehrfach am Tag ihre zwei Mobiltelefone aufladen, ob denen sie dann E-Mails bearbeiten und den Instagram-Account pflegen, bevor sich dann abends im veganen Restaurant unterm Heizpilz die neuesten Netflix-Serien angucken.

Am Morgen gibt's zur Hafer-Latte die Lieblingssongs auf Spotify? – das sind natürlich alles Zuspitzungen, Übertreibungen und zum Teil Klischees, die aber wie jedes Klischee wahres bergen.

Das zentrale Faktum bleibt: Der Treibhausgas-Ausstoß allein des Internet ist mit knapp 4 Prozent weltweiter Emissionen höher und damit schädlicher als der des Flugverkehrs. Und das mit steigender Tendenz.

Vielleicht sollte man also eher auf Netflix verzichten als auf Schweinsbraten?