Selenskyj: "Wir müssen die Zeit zu unserer Waffe machen"
Kiew will mehr Tempo bei Waffenlieferungen. 2023 soll Jahr des Sieges werden. Wie klar sind die Kriegsziele der Unterstützer?
Schnelligkeit ist offenbar das neue Schlüsselwort, das von ukrainischer Seite in die Diskussion mit den westlichen Verbündeten gebracht wird.
"Ich sehe, dass sowohl Deutschland als auch die USA effektiv einen Kurs fahren, der keinen schnellen Sieg der Ukraine sucht. Das kostet Menschenleben", gibt Marina Weisband gegenüber der deutschen Öffentlichkeit zu Protokoll. Sie war gestern Gast bei Anne Will. Es sei in Russlands Interesse, den Krieg zu verlängern, so das Argument Weisbands für mehr Tempo.
Es ist das Argument des ukrainischen Präsidenten. In seiner Botschaft an das ukrainische Volk gestern Abend, die auch und nicht nur nebenbei an eine größere internationale Öffentlichkeit adressiert ist, sagte Wolodymyr Selenskyj (in offizieller englischer Übersetzung)
(…) es ist sehr wichtig, die Dynamik der Verteidigungsunterstützung durch unsere Partner aufrechtzuerhalten.
Die Geschwindigkeit der Versorgung war und wird einer der Schlüsselfaktoren in diesem Krieg sein.
Russland hofft, den Krieg in die Länge zu ziehen, um unsere Kräfte zu erschöpfen. Wir müssen also die Zeit zu unserer Waffe machen. Wir müssen die Ereignisse beschleunigen, die Versorgung beschleunigen und der Ukraine neue notwendige Waffenoptionen eröffnen.
Wolodymyr Selenskyj
Grund für den Druck aufs Tempo gegenüber den Unterstützern aus dem Westen ist wohl auch die gegenwärtige Kriegslage. Selenskyj bezeichnet sie als "sehr schwierig". Bachmut, Wuhledar und andere Gebiete in der Region Donezk seien ständigen russischen Angriffen ausgesetzt, die versuchen würden, ukrainische Verteidigungslinien zu durchbrechen.
"2023, das Jahr unseres Sieges"
Ob und inwieweit dies gelingt, darauf geht Selenskyj nicht ein. Er spricht auch nicht direkt davon, wie sehr die russischen Angriffe an die Substanz der ukrainischen Armee gehen, wie man das bei einer Analyse der Washington Post erfahren kann. Es gehört nicht zu den Aufgaben des ukrainischen Präsidenten, die Moral zu unterminieren. Im Gegenteil. Das geht klar aus seiner Botschaft hervor.
Der Feind zählt seine Leute nicht und hält trotz zahlreicher Verluste eine hohe Angriffsintensität aufrecht. In einigen seiner Kriege hat Russland insgesamt weniger Menschen verloren als hier, insbesondere bei Bachmut.
Dem kann nur mit außerordentlicher Widerstandskraft begegnet werden und dem vollen Verständnis dafür, dass unsere Kämpfer mit der Verteidigung der Region Donezk die gesamte Ukraine verteidigen. (…)
Ich bin allen unseren Einheiten und jedem einzelnen Krieger dankbar, der trotz allem seine Stellung hält und die feindlichen Angriffe in der Region Donezk abwehrt.
Wolodymyr Selenskyj
Der Oberbefehlshaber hat ein Ziel vor Auge und das heißt, wie die Frankfurter Rundschau seinem Telegram-Account am Sonntag entnommen hat: "2023 muss und wird definitiv das Jahr unseres Sieges sein!"
Ob der Sieg auch die Rückeroberung der Krim umfasst? Selenskyj hat dies verschiedentlich erklärt. Wie aber stehen die Unterstützer aus dem Westen dazu?
Eine genaue und konkrete Antwort darauf, welche Ziele die westlichen Verbündeten bei der Krim-Frage unterstützen, inwieweit die öffentlich bekundeten Interessen der Ukrainer und der Nato-Mitgliedsländer deckungsgleich bleiben, steht noch aus.
Wann wird der "diffuse Kriegszustand" (siehe auch: Annalena Baerbock: "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland") aus dem "Entwicklerbad" gezogen, um der Öffentlichkeit ein klares Bild über die Interessen und Ziele zu zeigen? Inwieweit unterschieden sich die Ziele der Ukraine von denen der deutschen Regierung? Bleibt Scholz auf dem reaktiven Posten oder gestaltet er auch? Wie sehen seine Ziele für eine europäische Friedensordnung aus? Welchen Plan verfolgt er genau?
Cherson
Im Zusammenhang mit der Krim ist der Kriegsverlauf in Cherson, im Süden der Ukraine, wichtig, wie der ehemalige General der US Air Force, nun im großen Strategen-Internetgelände tätig, erklärt:
Eine zweite Vorbedingung für jeden ukrainischen Vorstoß zur Rückeroberung der Krim ist die Rückeroberung des gesamten südlichen Territoriums. Die Befreiung der Provinzen Cherson und Saporischschja wird die operative und taktische Grundlage für jeden ukrainischen Feldzug auf der Krim bilden.
Mick Ryan, "War in the Future"
Wie die Tagesschau und andere Medien berichten, werde "die Gebietshauptstadt des gleichnamigen Gebiets Cherson, die die ukrainische Armee vor wenigen Monaten zurückerobert hat, immer wieder von Russlands Streitkräften heftig beschossen". Dabei sollen laut Gebietsverwaltung drei Menschen ums Leben gekommen sei, wie heute gemeldet wird.
Peskow: Waffenlieferung ändern nicht den "Lauf der Dinge"
Die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine würden "den Lauf der Dinge nicht ändern", die militärische Spezial-Operation werde weitergehen, ist heute von Kremlsprecher Dmitri Peskow in der englisch-sprachigen Ausgabe der Tass zu lesen.
Dort wird auch die Reaktion Peskows auf Melnyks Wunsch nach einem deutschen U-Boot berichtet:
Die Ukraine hat nach mehr und neueren Waffen gefragt. Der Westen hat diese Forderungen ermutigt und gleichzeitig seine Bereitschaft bekräftigt, diese Waffen zu liefern. Dies hat zu einer Pattsituation geführt, die zu einer erheblichen Eskalation geführt hat, wobei sich die Nato-Länder zunehmend direkt in diesen Konflikt einmischen.
Dmitri Peskow
Laut Reuters und France 24 hat ein russisches Unternehmen namens Fores Belohnungen für die Zerstörung westlicher Kriegsgeräte ausgesprochen: Fünf Millionen Rubel (etwa 72.000 US-Dollar) in bar für die ersten Soldaten, die in der Ukraine einen Panzer aus westlicher Produktion erbeutet oder zerstört haben, und 500.000 Rubel (7.200 US-Dollar) für alle weiteren Angriffe.
15 Millionen Rubel (215.000 US-Dollar) gibt es als "Prämie" für die Zerstörung eines Kampfjets aus westlicher Produktion, "sollten diese jemals an die Ukraine geliefert werden".