Selenskyj in Washington: Was passiert, wenn die Ukraine-Hilfe der USA ausläuft?

Connor Echols

US-Präsident Joe Biden und der ukrainische Präsidenten Wolodymyr Selenskyj beim G-7-Gipfel in Hiroshima, Japan, am 21. Mai 2023. Bild: Ukrainische Präsidentenbüro

Ein Bruch der US-Unterstützung für Kiew scheint wahrscheinlicher denn je. Europa könnte ebenfalls kürzen. Was wären die Folgen? Gastbeitrag.

Zu Beginn der letzten regulären Arbeitswoche des Jahres 2023 im US-Kongress wächst die Sorge, dass die US-Hilfe für die Ukraine zumindest vorübergehend auslaufen wird.

Connor Echols arbeitet für das US-Magazin Responsible Statecraft.

Sowohl in Washington als auch in Kiew beginnt man, sich der Realität bewusst zu werden. Die Biden-Administration kündigte kürzlich an, dass die Hilfe vor Ende des Jahres auslaufen wird, und Joe Biden selbst erklärte letzte Woche, dass eine Einstellung der Mittel zu einem direkten Konflikt zwischen Russland und der Nato führen könnte.

Diese eindringlichen Warnungen veranlassten den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu einem Überraschungsbesuch in den Vereinigten Staaten, wo er zu dringenden Gesprächen mit dem Weißen Haus und der Führung des Kongresses zusammenkam.

Es ist noch unklar, ob er damit Parlamentssprecher Mike Johnson von den Republikanern überzeugen kann, der nun das größte Hindernis für die Fortsetzung der Hilfe darstellt.

Eine kurze Lücke

Was passiert also, wenn die US-Unterstützung für die Ukraine versiegt? Während Kiew eine kurze Lücke in der Finanzierung wahrscheinlich überstehen könnte, würde eine längere Verzögerung oder sogar eine dauerhafte Einstellung die Ukrainer dazu zwingen, ihre militärischen Operationen erheblich einzuschränken, wodurch die Möglichkeit bestünde, dass Russland die hart erkämpften Gewinne der Ukraine im Osten des Landes wieder rückgängig machen könnte.

Der plötzliche Schritt würde es auch erheblich erschweren, kurzfristig eine Verhandlungslösung zu erreichen, so George Beebe vom Quincy Institute.

Wer glaubt, die Vereinigten Staaten könnten den Krieg beenden, indem sie einfach ihre Hilfe für die Ukraine einstellen, sollte sich genau überlegen, wie sich ein solcher Schritt auf Kiews Einfluss in den Gesprächen auswirken würde.

"Die Vereinigten Staaten sollten ihre Karten nicht aus der Hand geben, indem sie die Hilfe für die Ukraine einseitig beenden oder die Karten vorzeitig ausspielen", schreibt Beebe auf Responsible Statecraft.

Aber wenn sie nicht schnell handeln, um die Hilfe durch Diplomatie zu ergänzen, könnten sie feststellen, dass die Gelegenheit, ihre Karten auszuspielen, plötzlich verschwunden ist.

Das Spiel mit den Zahlen

Ein wichtiger Faktor, der die Diskussionen über die künftige Hilfe erschwert, ist die weitverbreitete Unsicherheit darüber, wie viel Geld die USA noch zur Verfügung haben. Senator Mark Warner von den Demokraten sagte im Oktober, dass selbst der Kongress manchmal Schwierigkeiten hatte, eine klare Antwort auf eine Frist für neue Mittel zu erhalten.

Im letzten Monat hatte das Weiße Haus nach eigenen Angaben rund 96 Prozent der vom Kongress für die Ukraine bereitgestellten mehr als 100 Milliarden Dollar ausgegeben. Aufgrund eines Buchungsfehlers des Pentagons verfügte das Verteidigungsministerium über mehrere Milliarden Dollar zusätzlicher "präsidialer Abzugskompetenzen", die es der Regierung Biden ermöglichen, Ausrüstung aus US-Beständen zu entsenden.

Für den Ersatz dieser Waffen steht jedoch nur noch etwa eine Milliarde Dollar zur Verfügung, und das Weiße Haus hat bisher gezögert, Waffen zu schicken, ohne die Zusage zu geben, sie zu ersetzen, so Mark Cancian vom Center for Strategic and International Studies in Washington.

Die Auswirkungen

Die Auswirkungen einer Kürzung der Mittel wären nicht sofort sichtbar, vor allem angesichts des langsamen Tempos der Kämpfe während des Winters, würden aber zu einer schrittweisen Reduzierung der ukrainischen Operationen führen, so Cancian gegenüber RS.

Seiner Einschätzung nach ist das Tempo der Hilfe im Vergleich zu den ersten Tagen des Krieges "bereits rückläufig", obwohl ein stetiger Strom von Waffenlieferungen angesichts der für die Herstellung neuer Waffen erforderlichen Zeitspanne noch jahrelang anhalten wird.

"Wenn dieser Strom nachlässt, wird auch die militärische Fähigkeit der Ukraine abnehmen", sagte Cancian. "Irgendwann, wahrscheinlich im Januar, wäre die Ukraine nicht mehr in der Lage, eine umfassende Gegenoffensive zu starten, und im Februar wäre sie vielleicht überhaupt nicht mehr in der Lage, Angriffe durchzuführen."

Was Biden versprochen hat

"Später im Frühjahr wäre die Ukraine vielleicht kaum noch in der Lage, die Russen aufzuhalten", fuhr er fort. "Es ist nicht so, dass sie keine [Waffen] hätten, aber sie hätten nicht den nötigen Nachschub, um Operationen auf hohem Niveau aufrechtzuerhalten."

Bidens zusätzlicher Antrag sieht die Bereitstellung von rund 59 Milliarden Dollar für die Ukraine vor. Ein Drittel davon ist für humanitäre Hilfe und direkte wirtschaftliche Unterstützung bestimmt, während der Großteil für verschiedene militärische Zwecke verwendet wird.

Von den 38,7 Mrd. Dollar Militärhilfe sind etwa 30 Milliarden für den Kauf von Waffen für die Ukraine oder den Abbau von US-Lagerbeständen vorgesehen. Die verbleibenden acht Milliarden Dollar sind für den Ausbau der US-Truppenpräsenz in Europa als Reaktion auf den Ukraine-Krieg vorgesehen, wobei ein kleiner Teil der Mittel für die Überwachung der Hilfe bestimmt ist.

Die Auftragnehmer aus den USA

Cancian merkt an, dass ein Großteil dieser Mittel als Investition in die US-Wirtschaft verstanden werden sollte, da ein großer Teil davon an amerikanische Auftragnehmer fließen wird. Dieses Argument, das auch die Regierung Biden vorgebracht hat, wird von Gegnern höherer Militärausgaben kritisiert, die darauf hinweisen, dass die Verteidigungsausgaben weniger Arbeitsplätze schaffen als viele andere Formen von Staatsausgaben.

Auf wirtschaftlicher Ebene wäre eine plötzliche Kürzung der US-Finanzierung weniger drastisch als ein Ende der Militärausgaben, da ein Großteil der ukrainischen Budgethilfe von der Europäischen Union stammt.

Doch selbst diese Finanzierung könnte von Ungarn blockiert werden, das unter dem rechtsgerichteten Premierminister Viktor Orbán seine europäischen Partner oft frustriert hat. (Selenskyj und Orban schienen am Rande der Amtseinführung des Präsidenten in Argentinien am vergangenen Wochenende in einen heftigen Streit zu geraten).

Politischer Nachhall

Ein Ende der US-Hilfe wäre eine scharfe Abfuhr für die Regierung Biden, die seit Langem argumentiert, dass die amerikanische Unterstützung für die Ukraine so lange andauern wird, bis Kiew sein erklärtes Ziel der Rückeroberung seines gesamten Territoriums, einschließlich der Krim, erreicht hat.

Viele glauben, dass auch die europäischen Staaten ihre Finanzierung zurückziehen würden, wenn die US-amerikanische Unterstützung endet, so Cancian. "Die Logik ist die gleiche wie in den USA", erklärte er.

Dort gibt es sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite Elemente, die gegen die hohen Kosten und den mangelnden Erfolg sind. Wenn die Vereinigten Staaten aufhören, werden viele ihrer Kritiker darauf verweisen und sagen: "Die Vereinigten Staaten hören auf. Warum schicken wir Geld für einen erfolglosen Versuch?"

Neues Narrativ

Während die Möglichkeit einer Einstellung der Hilfe wächst, haben einige Analysten argumentiert, dass es für die Biden-Regierung an der Zeit sei, ihren Ansatz für den Krieg zu ändern und realistischere Ziele zu setzen – ein Schritt, der die Bedenken in Europa dämpfen und gleichzeitig den Kritikern des Weißen Hauses im Inland entgegenkommen könnte, die argumentieren, dass der Präsident keine klare Strategie für den Krieg hat.

Das Weiße Haus sollte versuchen, ein neues Narrativ zu entwickeln: dass es sich um einen Verteidigungskrieg für die Ukraine und eine strategische Niederlage für Russland handelt, und dass die USA die Ukraine unterstützen können, während sie gleichzeitig anerkennen, dass es andere nationale Sicherheitsprioritäten gibt, die möglicherweise Vorrang haben müssen,

argumentierte Emma Ashford vom Stimson Center im Guardian. "Dieses Narrativ ist weniger ehrgeizig, sondern pragmatischer".

Vor allem aber würde dieser Ansatz die Biden-Regierung im Falle einer Wiederwahl im November in eine viel stärkere Position versetzen, um die Waffenstillstandsverhandlungen Ende 2024 fortzusetzen.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit dem US-Medium Responsible Statecraft. Sie finden das englische Original hier. Übersetzung: David Goeßmann.