Seymour-Hersh-Interview: "Der Plan war ziemlich genial"
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Biden wollte mit der Pipeline-Sabotage verhindern, dass Deutschland die Gashähne wieder aufmacht. Europa sollte beim Ukraine-Krieg nicht ausscheren. Und was Hersh zur Kritik an seiner Enthüllung zu sagen hat. (Teil 1)
Als die Nord-Stream-Pipelines, die Erdgas von Russland nach Deutschland transportieren, im September letzten Jahres beschädigt wurden, waren US-Beamte schnell dabei, Russland zu unterstellen, seine eigenen Pipelines bombardiert zu haben.
Einem neuen Bericht des legendären Enthüllungsjournalisten Seymour Hersh zufolge war es jedoch die US-Marine, die die Sabotage mit Hilfe Norwegens durchführte. Unter Berufung auf eine Quelle "mit direkter Kenntnis der operativen Planung" schreibt Hersh in seinem Substack-Blog, dass die Planung für die Mission im Dezember 2021 begann.
Das Weiße Haus und die norwegische Regierung haben diese Behauptungen inzwischen dementiert. Hersh spricht im folgenden Interview ausführlich darüber, dass die Entscheidung der USA, die Pipelines zu bombardieren, dazu diente, die Verbündeten auf die Unterstützung der Ukraine festzulegen, als einige von ihnen noch schwankten.
"Die Befürchtung war, dass Europa sich aus dem Krieg zurückziehen würde", sagt er.
Hersh gewann 1970 einen Pulitzer-Preis für seine Berichterstattung über das Massaker von My Lai. Seine Berichte über die Bespitzelung von Kriegsgegnern durch die CIA während des Vietnamkriegs trugen zur Gründung des Church-Ausschusses im US-Kongress bei, der zu umfassenden Reformen der Geheimdienste führte. 2004 deckte er den Skandal um die Misshandlung von Gefangenen in Abu Ghraib im Irak auf.
Das Interview wird von Amy Goodman und Juan Gonzalez von Democracy Now geführt.
Symour Hersh, können Sie uns sagen, was Sie in Ihrem Bericht herausgefunden haben und was sie dazu bewegte. Es gab ja einige öffentliche Kommentare, einschließlich von der polnischen Regierung, die direkt nach dem Bombenanschlag sagte: "Danke, Amerika".
Symour Hersh: Nun, zunächst einmal denke ich, dass die Berichterstattung tatsächlich so beschrieben werden kann, wie es ein Freund von mir getan hat: Ich habe das Offensichtliche dekonstruiert. Man muss sich nur anschauen, was der US-Präsident sagte.
Aber natürlich gab es auch geheime Pläne, über die ich schreibe. Es wurde ein Gremium gegründet. Jake Sullivan war direkt daran beteiligt. Er war der nationale Sicherheitsberater und ist es immer noch. Es wurde ein Team zusammengestellt, das Optionen prüfte, wie man Druck auf die russische Regierung ausüben könnte, damit sie sich zurückzieht.
Das sind normale Vorgänge: ein Komitee einberufen, um über Szenarien nachzudenken. Es war klar, dass Russland in die Ukraine eingreifen würde. Die Drohung, die der russische Präsident noch aussprechen musste, war noch nicht ausgesprochen worden.
Das war im Dezember 2021. Und die Frage innerhalb des Beratungsgremium – zu dem die üblichen Vertreter gehörten, CIA, NSA, Finanzministerium, Außenministerium und so weiter zählten, sie trafen sich in einem geheimen Bürogebäude im Executive Office Building gegenüber dem Weißen Haus – war: Wollen wir was konkret Physisches unternehmen oder nicht? Mit anderen Worten: Sanktionen oder Ausschalten der Pipeline. Das waren die Optionen.
Und die Antwort kam ziemlich schnell. Die Erklärung von Unterstaatssekretärin in der US-Regierung Victoria Nuland enthielt sie bereits, bevor Präsident Biden sich äußerte. Das war Ende Januar letzten Jahres. Sie kam zu einer Zeit, als das Gremium bereits involviert war – viele erfahrene Leute in den Geheimdiensten waren zu dem Schluss gekommen, dass man eine Sprengung unternehmen könnte. Dem Weißen Haus wurde gesagt, dass es möglich sei.
Ich glaube, das führte zu den Äußerungen, die die Insider natürlich halb verrückt machten, denn es sollte ja völlig geheim bleiben. Man bezeichnete es als geheime Operation. Keine der Regeln für die Berichterstattung an den Kongress sollten beachtet werden.
Und so begannen sie mit ihrer Planung. Sie stellten Kontakte nach Norwegen her, ein bedeutsamer Verbündeter der USA. Norwegen ist einer der Erstunterzeichner des Nato-Vertrags von 1949. Ich glaube, 19 Nationen waren damals beteiligt. Von ihnen ist Norwegen ein wichtiger US-Aliierter.
Wir haben Hunderte von Millionen, wahrscheinlich sogar mehr, wohl eher mindestens eine Milliarde Dollar, für die Modernisierung von Einrichtungen dort ausgegeben, worauf ich in meinem Artikel näher eingehe. Norwegen hat eine 1.400 Meilen lange Grenze entlang der Atlantikküste, die von Oslo in Europa bis hinauf in den Norden reicht und oberhalb des Polarkreises auf die russische Grenze trifft.
Die USA haben eine Reihe von Einrichtungen im Norden installiert – ein Radar mit synthetischer Blende, was ein Vermögen gekostet hat, um die russischen Nuklearanlagen in der Umgebung und auch die militärischen Aktivitäten auf der anderen Seite der Halbinsel Kola zu überwachen.
Die Norweger sind also unsere engen Partner. Sie sind auch großartig bei Unterwasserarbeiten. Das Ganze lief dann so ab. Die USA haben einen Plan mit ihnen entworfen. Man musste es mit Schweden und Dänemark abklären. Ob die wirklich glaubten, wie ihnen erklärt wurde, die USA würden in der Ostsee nur Übungen machen, lasse ich mal offen. Aber bis jetzt habe ich von den beiden Ländern nicht viel gehört.
Und, wissen Sie, es ist ein ermüdendes Spiel für mich. Als ich meine Geschichte auf Substack veröffentlichte, habe ich nicht einmal daran gedacht – es ist mir peinlich, das zu sagen, nach all den wunderbaren Jahren, die ich bei der New York Times gehabt habe –, eine Geschichte wie diese zur New York Times zu bringen. Sie haben entschieden, dass der Krieg in der Ukraine von der Ukraine gewonnen wird. Das ist es, was ihre Leser von der Redaktion zu hören bekommen, und so soll es sein. Das ist ihre Entscheidung. Ich habe nur meine Berichterstattung gemacht.
Die Minenleger für die Operation stammen aus einem Stützpunkt in einer kleinen Stadt in Florida. Diese Minen-Crews innerhalb der Navy operieren sehr geheim. Sie reden nicht über das, was sie tun. Das waren also die perfekten Leute für die Operation. Sie haben dafür trainiert. Es gab jeden Sommer eine große Übung der sechsten US-amerikanischen Flotte in Italien, die auch die Einsatzrechte in der Ostsee hat. Die Ostsee ist ein extrem großes Gebiet.
Die Pipelines, über die wir hier sprechen, Nord Stream 1, die 2011 in Betrieb genommen wurde, und Nord Stream 2, die bereits fertiggestellt ist, haben eine Länge von 750 Meilen. Und sie führen von Russland, in dessen Besitz sich große Mengen an Gas befinden – in Sibirien haben sie enorme Reserven –, direkt nach Deutschland.
Nord Stream 1 war ein Geschenk des Himmels für die deutsche Wirtschaft und Westeuropa. Russland fördert derart viel Gas zu sehr niedrigen Preisen, dass die deutsche Regierung tatsächlich in der Lage war, einen Teil des von den Russen gelieferten Gases mit Gewinn weiterzuverkaufen, ohne dass Russland Einspruch erhoben hätte.
Die deutsche Wirtschaft wuchs, profitierte und boomte. Dass Deutschland groß im Autogeschäft ist, wissen wir. Aber das Land hat auch das größte Chemieunternehmen der Welt, BASF. Jetzt kommt ihnen die Kappung von Russland teuer zu stehen. Haushalte bleiben kalt. Es gibt eine Menge Wut.