Seymour-Hersh-Interview: "Der US-Präsident wird es zugeben müssen"
Seite 2: "Schmutz an der Wand"
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Soweit Ned Price, der von Sam Husseini im Pressekonferenzraum des Außenministeriums befragt wurde. Könnten Sie darauf eingehen. Sie haben auf Substack einen interessanten Beitrag mit dem Titel "Crap on the Wall" ("Schmutz an der Wand") geschrieben. Es sind eigentlich nicht Ihre Worte. Sie zitieren das Weiße Haus. Sie schreiben: "Vor zwei Jahrzehnten haben Minister Rumsfeld und Vizepräsident Richard Cheney bei ihren Bemühungen, den muslimischen Terrorismus auszurotten, Rechtsstaatlichkeit und Anstand über Bord geworfen. Ich schrieb damals für den New Yorker." Und weiter schreiben Sie: "Das Weiße Haus reagierte auf einen Artikel, den ich über die geheimen Operationen der CIA im Iran veröffentlicht hatte, indem es ihn als ein weiteres Beispiel dafür bezeichnete, dass Hersh ‚Schmutz‘ – das war das Wort, das ein stellvertretender Verteidigungsminister benutzte – an die Wand wirft, um zu sehen, was hängen bleibt. Unter Barack Obama antwortete ein hochrangiger nationaler Sicherheitsberater: 'Seymour Hersh ist ein bekannter Fälscher', und fügte hinzu, dass die Zeitschrift The New Yorker diese offizielle Reaktion auf jede künftige Hersh-Geschichte ohne weitere Prüfung veröffentlichen könnte." Ihr Kommentar zu all dem.
Seymour Hersh: Meine längst verstorbene Mutter, die als Immigrantin hierherkam und die USA mehr als alle anderen liebte, hätte insbesondere zu den Sachen von Ned Price gesagt: "Man sollte ihm den Mund mit Seife auswaschen", was sie tatsächlich ein paar Mal mit mir gemacht hat. Was soll ich sagen? Ich würde nicht "Wahrheit" sagen. Manchmal verursachen verschiedene Versionen einer Geschichte Probleme.
Der Grund, warum ich derart ausführlich darüber gesprochen habe, was möglicherweise in der Nato und in Europa passieren wird, wenn Biden Westeuropa und Deutschland zu verstehen gibt: "Wir werden unseren Krieg fortsetzen, selbst wenn es bei Euch kalt wird", ist, dass das einige Länder dazu veranlassen könnte zu sagen: "Wir sind vielleicht nicht mehr dabei. Wozu brauchen wir die Nato und die amerikanische Unterstützung, wenn sie uns in einer Krise die Möglichkeit nehmen, unsere Leute warmzuhalten?"
Die grüne Partei in Deutschland hat sehr gut bei den Wahlen abgeschnitten. Der Bundeskanzler kommt von den Sozialdemokraten. Doch die Entwicklungen könnten zu einer umfassenden konservativen Bewegung in der Politik führen. Was wir nach dem Zweiten Weltkrieg getan haben, war fantastisch. Wir haben mitgeholfen, in Europa eine moderne demokratische Vielfalt, eine plurale Gesellschaft aufzubauen.
Es muss jetzt nicht so weit gehen wie in Italien. Aber es könnte zu einigen konservativen Siegen und Gesetzgebungen führen. Europa verfügt über keine natürlichen Ressourcen. Man musste sich immer auf andere verlassen. Und zu den anderen gehören wir und auch russisches Gas. Und wenn wir das unterbinden, dann tun wir das zu einem politischen Preis.
Dazu gäbe es noch viel zu sagen, ich werde darüber weiter schreiben. Die Sprengung der Pipelines ist auch nach Ansicht einiger der Leute, die daran beteiligt waren, eine der dümmsten Sachen, die die amerikanische Regierung seit Jahren getan hat – und wir hatten vier Jahre Trump. Auf lange Sicht gesehen verstehe ich einfach nicht, warum gute Zeitungen wie die New York Times, die ich immer noch lese, so agieren, wie sie es tun.
Ich glaube nicht alles, was sie über die Ukraine schreiben, aber sie haben immer noch wunderbare Reporter. Das Problem sind die Redakteure. Meine Einstellung zu Redakteuren ist: Wenn wir 90 Prozent der Redakteure in der Welt loswerden würden, wären wir viel besser dran. Das habe ich immer schon gedacht, seit ich als Reporter begann zu arbeiten.
Es ist mir also egal, was sie sagen. Wenn ich es ernst nehmen würde, müsste ich weinen, weil manches davon derart dumm ist. Es ist einfach dumm. Ned Price spricht für die Biden-Regierung, er wird für seine Arbeit bezahlt. Ich mache ihm keinen Vorwurf.
Er kennt sich tatsächlich mit Geheimdiensten aus. Er hat eine Karriere beim Geheimdienst hinter sich. Und nach allem, was ich weiß, ist er ein absolut anständiger Mensch. Ich kenne Leute, die ihn persönlich kennen. Er ist ein guter Kerl. Man hat ihm nur gesagt, was er sagen soll, und er hat es gesagt.
Man muss das berücksichtigen, was Außenminister Tony Blinken sagte. Nach dem Bombenanschlag im September stellte er in einer Pressekonferenz fest: "Es ist gut, dass Russland nun nicht mehr in der Lage sein wird, Gas als Waffe einzusetzen".
Dass Russland Gas als Waffe gegen Westeuropa einsetzen könnten, um sich in ein besonderes Licht zu setzen und unsere Macht, Autorität und wirtschaftlichen Möglichkeiten, unsere Kontrolle über Westeuropa zu schwächen, ist seit zwei Jahrzehnten ein großes Thema hierzulande. Es ist kein neues Thema. Russisches Öl und Gas hat Washington schon immer in Angst und Schrecken versetzt.
Die norwegische Regierung behauptet, dass eines der Schiffe, das Sie in Ihrem Artikel erwähnt haben und das an der Planung bzw. Vorbereitung der Übung beteiligt war, zum Zeitpunkt dieser Übungen nicht dort gewesen ist. Was halten Sie von diesem Dementi Norwegens?
Seymour Hersh: Lassen sie mich mit einem Hinweis auf Nicaragua zuerst beginnen. Die CIA-Leute, die in Nicaragua operierten, waren begeistert und freuten sich. Es gibt dort Strände. Und selbst in den schlimmsten Zeiten der sandinistischen Bewegung fuhren sie mit ihren kleinen Motorbooten an die Strände und beschossen sie mit Flechette-Splittermunition.
Sie schossen einfach auf die Strände und wussten, dass es Tote geben würde. Sie taten es einfach, hatten eine Menge Spaß dabei, redeten darüber und prahlten damit. Ich meine, das ist die Art von Dingen, auf die man sich einlässt, wenn man eine verdeckte Operation durchführt.
Die norwegische Regierung stellte nicht nur ein Schiff, das an der Operation beteiligt war. Die CIA flog eine Kompressionskammer ein, die auf dem Schiff angebracht wurde, weil das Schiff nur für die Jagd auf U-Boote ausgestattet ist.
Die Taucher mussten 260 Fuß tief tauchen, das sind 80 Meter. Die Norweger suchten den seichtesten Teil der Ostsee, der sich vor einer Insel befindet, die zwischen Schweden und Dänemark liegt. Dort haben sie ihre Übungen abgehalten. Die Tiefe, wo die Landminen angebracht werden mussten, war aber bis zu 260 Fuß tief.
Die Pipelines sind mit Stahl und mit Betonschilden ummantelt. Es ist also eine schwierige Aufgabe, sie zu sprengen. Bei einer Tiefe von 260 Fuß müssen die Taucher ohne eine Kompressionskammer alle 90 Fuß nach oben gehen. Sie atmen Sauerstoff, Stickstoff und Helium. Das ist für mich ziemlich erstaunlich. Jetzt konnten sie einfach an die Oberfläche kommen.
Man nannte die Operation "Alta". Das norwegische Schiff war dort. Es ist eine dumme Lüge, das zu bestreiten. Das Schiff musste auch nicht dort bleiben. Die Taucher konnten einfach abspringen. Eine lange Erholungsphase war nicht notwendig.
Zu einem bestimmten Zeitpunkt tauchten sie wieder auf. Die Zeit dafür wurde festgelegt. Man stellte einen Timer ein, damit die Taucher bis nach oben kommen konnten. Man bringt nicht einfach so einen Sprengstoff an und lässt ihn in fünf Minuten hochgehen, sondern lässt sich viel Zeit.
Die Taucher kamen also an die Oberfläche und wurden wieder abgeholt. Es konnte alles viel schneller gehen. Zwar ist es nicht ein offiziell gelistetes Element des Schiffs, aber es gab eine Dekompressionskammer auf dem Schiff. Sie wurde eingeflogen und dort platziert, und zwar von der CIA.
Es war eine brillante Operation, wenn man es unter dem Gesichtspunkt klassischer Operationen betrachtet. Sie kamen damit durch, es geheim zu halten. Der Zweck war, die Bedrohung glaubwürdig zu machen.
Die beteiligten Leute waren zunehmend ernüchtert. Dann erhielten der US-Präsident und stellvertretende Außenminister schließlich die Nachricht, dass man es machen könne. Man solle endlich aufhören, darüber nur zu reden. Innerhalb von ein oder zwei Wochen geschah es dann. Man wirft mir vor, es erfunden zu haben. Aber, sehen Sie, der Präsident hat es getan. Und er wird es zugeben müssen.
Ich bekomme viele Nachrichten. Sie kommen aus der ganzen Welt, aus verschiedenen Ländern. Substack ist eine erstaunliche Plattform. Der Artikel erhielt innerhalb eines Tages mehr als eine Million Zugriffe. Leute schreiben mir: "Gott sei Dank. Wir vermissen die Art von Berichterstattung, die Sie und andere machen. Wir sehen sie nicht mehr."
Das Interview erscheint in Kooperation mit dem US-Programm Democracy Now. Übersetzung: David Goeßmann.