Seymour Hersh: USA stecken hinter Nord-Stream-Sabotageakt
Der renommierte US-Journalist Hersh wirft der Biden-Administration vor, die Ostsee-Pipelines gesprengt zu haben. Das sage eine mit der Planung vertraute Quelle. Das Weiße Haus spricht von "Erfindung". Über eine explosive Geschichte.
Die Berichterstattung des Pulitzer Preisträgers und investigativen US-Journalisten Seymour Hersh über den Sabotageakt an den Nord-Stream-Pipelines in der Ostsee erhöht den Druck auf die US-Regierung. In einem Artikel, der auf der Plattform Substack in den USA gestern erschien, wirft Hersh der Biden-Administration vor, hinter der Explosion zu stehen.
Bei der Sprengung der Gaspipelines, die Russland mit Deutschland verbinden, wurden im September letzten Jahres Lecks geschlagen, aus denen daraufhin Gas und große Mengen des klimaschädlichen Methans freigesetzt wurden.
Hersh zitiert für die Geschichte eine anonyme Quelle "mit direktem Wissen über die operative Planung". Danach soll die U.S. Navy die Explosion "unter dem Deckmantel einer weithin bekannten Nato-Übung im Hochsommer namens BALTOPS 22" und mithilfe der norwegischen Marine und des norwegischen Geheimdienstes ausgeführt haben.
Im Juni sollen US-Marine-Taucher, mit der Autorisierung von US-Präsident Joe Biden, "fernzündbare Sprengsätze, die drei Monate später drei der vier Nord-Stream-Pipelines zerstörten", angebracht haben, so Hersh. Das Weiße Haus bezeichnete in einer Presseerklärung des Sprechers des Nationalen Sicherheitsrats die Aussagen als "falsch und komplette Erfindung".
Seymour Hersh ist bekannt geworden durch zahlreiche Aufdeckungen. Im Vietnamkrieg berichtet er über US-Massaker an Hunderttausenden vietnamesischen Zivilisten, insbesondere über ein Blutbad im Dorf My Lai, später brachte er u.a. die Folterpraktiken an Gefangenen im von den USA betriebenen Gefängnis Abu Ghraib im Irak ans Licht.
Die Entscheidung Bidens für die Sprengung sei, so Hersh, nach neun Monaten geheimer Beratungen innerhalb der nationalen Sicherheitskreise darüber, wie das Ziel am besten zu erreichen sei, gefällt worden. Die anonyme Quelle bezeichnete den Angriff auf die Pipeline als "Kriegsakt", der als solcher angesehen würde, wenn er den USA zugeschrieben werden könnte.
Das ist kein Kinderkram.
… so die Quelle gegenüber Hersh.
USA verfügen einzig über Fähigkeiten und Motiv für Sprengung
Die Motive für den Sabotageakt sieht Hersh in dem Interesse der US-Regierung, der wachsenden Abhängigkeit Europas von billigem Gas aus Russland und dem schwindenden Rückgriff auf amerikanische Importe entgegenzuwirken.
Von Anfang an wurde Nord Stream 1 von Washington und seinen antirussischen Nato-Partnern als Bedrohung westlicher Vorherrschaft angesehen. Die Holdinggesellschaft Nord Stream AG wurde 2005 in der Schweiz in Partnerschaft mit Gazprom gegründet. Gazprom ist ein börsennotiertes russisches Unternehmen, das enorme Gewinne für seine Aktionäre erwirtschaftet und von Oligarchen beherrscht wird, die bekanntermaßen Putin nahestehen.
Gazprom kontrollierte 51 Prozent des Unternehmens, während vier europäische Energieunternehmen – eines in Frankreich, eines in den Niederlanden und zwei in Deutschland – sich die restlichen 49 Prozent der Aktien teilten und das Recht hatten, den nachgelagerten Verkauf des billigen Erdgases an lokale Verteiler in Deutschland und Westeuropa zu kontrollieren. Die Gewinne von Gazprom wurden mit der russischen Regierung geteilt, und es wird geschätzt, dass die staatlichen Einnahmen aus dem Gas- und Ölgeschäft in manchen Jahren bis zu 45 Prozent des russischen Jahreshaushalts ausmachten.
Besonders der zweite Strang, Nord Stream 2, der im September 2021 fertiggestellt wurde, sei als eine Bedrohung von den USA angesehen worden, da damit die doppelte Menge an russischem Gas direkt nach Deutschland transportiert werden kann. Biden sagte am 7. Februar 2022 auf einer Pressekonferenz:
Wenn Russland einmarschiert, wenn also Panzer oder Truppen die Grenze zur Ukraine überqueren, wird es Nord Stream 2 nicht mehr geben. Wir werden dem ein Ende setzen. Ich verspreche Ihnen, dass wir dazu in der Lage sein werden.
Bei der Planung wurden verschiedene Optionen durchgespielt, so Hersh in Rekurs auf seine Quelle. Es wurden Angriffe mithilfe von U-Booten und Kampfjets erwogen. Die CIA soll argumentiert haben, dass die Sabotage im Geheimen stattfinden müsse.
Norwegische Beamte sollen dann eine Nato-Übung in der Ostsee als gute Gelegenheit vorgeschlagen haben, um Minen anzubringen. Schließlich wurde der Plastiksprengstoff C4 benutzt, womit drei der vier Stränge beschädigt wurden.
Schweden und Dänemark, in deren Wirtschaftszonen sich die Explosionen ereigneten, kamen beide zu dem Schluss, dass die Pipelines absichtlich gesprengt wurden, ohne jedoch zu sagen, wer dafür verantwortlich sein könnte.
Die Aufdeckungen von Hersh lassen sich, ohne Zugang zu der Quelle, nicht unabhängig verifizieren. Doch Analysten hatten schon früh darauf hingewiesen, dass einzig die USA sowohl über die Fähigkeiten als auch über ein Motiv für die Sabotage verfügen.
Der Kolumnist für Außenpolitik der Washington Post, Ishaan Tharror, twitterte (der Tweet wurde zwischenzeitlich gelöscht), dass, ungeachtet der Quellenlage, "es schon etwas merkwürdig ist, wie die ganze Geschichte in der Versenkung verschwand, als klar wurde, dass es sich nicht um einen russischen Sabotageakt handelte".
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