Show must go on: Heile Agrar-Welt auf der Grünen Woche
- Show must go on: Heile Agrar-Welt auf der Grünen Woche
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Während Tausende für eine Agrarwende demonstrierten, wird in den Messehallen der Status quo kaum infrage gestellt. Der Bauernverband hält nichts von einer Mehrwertsteuersenkung auf Obst und Gemüse.
Für eine bäuerliche Landwirtschaft, artgerechte Tierhaltung, konsequenten Klimaschutz und gentechnikfreie Lebensmittel demonstrierten am Samstag in Berlin rund zehntausend Bauern und Bäuerinnen. Wie bereits die Jahre zuvor protestierten tausende Menschen aus ganz Deutschland gegen die herrschende Agrarpolitik – mit Transparenten, einer riesigem aufgeblasenem Insekt in Form einer Biene, die wohl auf das Insektensterben hinweisen sollte, und anderen Attrappen.
Allein aus Brandenburg fuhren 55 Traktoren in Richtung Brandenburger Tor. Aufgerufen hatte das Bündnis Wir haben es satt mit rund 80 Organisationen, ein Bündnis aus Bauern – Bio- und konventionell – aus Klima-, Natur-, Tierschutzverbänden sowie aus kirchlichen Hilfswerken.
Sie fordern faire Erzeugerpreise, höhere Sozialleistungen für den Einkauf ökologischer Produkte, mehr Ackerfläche für den Anbau menschlicher Nahrung statt für Futter, daneben eine Übergewinnsteuer für Agrarunternehmen, eine gentechnikfreie Landwirtschaft sowie den Stopp von klimaschädlichen Subventionen. Auch Landgrabbing war ein Thema.
Die Landwirte überreichten Cem Özdemir (Grüne) eine Protestnote: "Wir erwarten deutlich mehr vom Agrarminister und der Bundesregierung", erklärte Bündnis-Sprecherin Inka Lange mit Blick auf ein Jahr Agrar- und Ernährungspolitik der Koalition von SPD, Grünen und FDP. Was er bisher geliefert habe, sei zu wenig ambitioniert, zu mutlos und zu langsam gewesen.
In der Landwirtschaft müsse es ein Umdenken geben, forderte auch Brandenburgs Grünen-Agrarminister Axel Vogel. Rund 80 Prozent der Bäuerinnen und Bauern in Brandenburg sowie deutschlandweit wirtschaften konventionell. Sie könnten für die Bio-Landwirtschaft nur dann gewonnen werden, wenn sie genug Geld verdienten, um ihre Familien zu ernähren und ihre Höfe zu betreiben.
Um den Landwirten höhere Einnahmen zu verschaffen, brauche es intakte Wertschöpfungsketten. So seien in den 1990er-Jahren unter anderem viele Kartoffelverarbeitungsbetriebe oder Schlachtereien geschlossen, die derzeit wieder mühsam aufgebaut werden.
Und auch die Sozialleistungen waren ein Thema. Denn die sind oft so niedrig, dass es gerade so für die billigsten Lebensmittel ausreicht. Die Menschen brauchen mehr Geld, wenn sie wirklich gesünderes Essen konsumieren wollen, das weniger klimaschädlich ist und die Artenvielfalt unterstützt, erklärt Christoph Bautz im Interview mit dem rbb.
Der Geschäftsfüher von Campact fordert 250 Euro mehr beim Bürgergeld. Man müsse aber auch den Mindestlohn berücksichtigen. Denn auch Menschen, die im Niedriglohnsektor arbeiten, sollen sich nachhaltig ernähren. Ginge es nach ihm, würde er die Mehrwertsteuer für Fleisch auf 19 Prozent anheben und bei pflanzlichen Produkten auf Null senken.
Auch der Ökolandbau ließe sich nur über Subventionen fördern. Anstatt die Agrarsubventionen weiter nach dem Gießkannenprinzip auszuschütten, sollten diese gezielt an Bäuerinnen und Bauern je nach ökologischen Leistungen gezahlt werden. Vieles, was Agrarminister Özdemir versprochen hat, habe er noch nicht umgesetzt, kritsiert Bautz weiter.
Wolle er das Ziel von 30 Prozent Ökolandbau und die Halbierung der Pestizide bis 2030 einhalten, müsse der Minister noch aktiver werden. Auch was pestizidfreies, gesundes Essen angeht, wäre schon heute mehr drin. Hier stehe vor allem der Finanzminister auf der Bremse. Anstatt in eine zukunftsfähige, pestizidfreie Landwirtschaft mit gesunder Ernährung zu investieren, werde am falschen Ende gespart.
Probleme der Landwirtschaft werden kaum benannt
Nach einer zweijährigen Corona-Pause präsentieren vom 20. bis 29. Januar auf der Internationalen Grünen Woche rund 1.400 Aussteller aus Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie aus 60 Ländern ihre Produkte in den Berliner Messehallen. Unter dem Motto "Ernährung sichern. Natur schützen" zeigen das Forum Moderne Landwirtschaft e.V. und seine mehr als 30 Partner, wie es der Landwirtschaft gelingt, die Versorgung der Bevölkerung mit hochwertigen Lebensmitteln sicherzustellen und gleichzeitig vielfältige Maßnahmen zum Schutz von Natur, Artenvielfalt und Tierwohl umzusetzen", heißt es auf der offiziellen Website.
Bühnenprogramme, Wein-Verkostungen, Häppchen naschen und Tierschauen in präparierten Hallen. Ganz wie in den Jahren davor soll die Veranstaltung bei den Besuchern den Eindruck erwecken, in der Landwirtschaft, nicht nur in der deutschen, sei im Großen und Ganzen alles in Ordnung.
In der Tierhalle ist die heile Welt der Nutztiere zu bewundern: Schafe, Ziegen, Hunde, Pferde, Schweine, Kühe werden herausgeputzt in der Arena herumgeführt. In der Halle ist es von morgens bis abends laut und turbulent, was die Tiere in ihren Boxen als permanenten Stress empfinden dürften. Dafür stehen sie hier während der gesamten Zeit auf sauberem Stroh.
Auf dem ErlebnisBauernhof werden die "drängenden Fragen unserer Zeit" diskutiert. Als da wären: Herkunftskennzeichnung von Fleisch, Einsatz klimafreundlicher Biokraftstoffe, Züchtung klimaresistenter Pflanzensorten. Mindestens genauso dringend wäre aber zu klären:
- Wie kann der Umbau hin zu einer artgerechten Tierhaltung am besten gelingen?
- Wieviel Konsum an Fleisch- und Milchprodukten hält der Planet noch aus?
- Wie ist die Verschwendung von Lebensmittel zu stoppen?
- Wie könnte die Landwirtschaft mit weniger Pestiziden und synthetischem Dünger auskommen ohne die Selbstversorgung zu gefährden?
- Wie können Betriebe und Konsumenten ihren ökologischer Fußabdruck reduzieren? usw. usf...
Bio-Erzeugern und -Verarbeitern wird wie gewohnt ihr Platz in der Nische zugewiesen: in der Bio-Halle.
Wald und Forst wird vor allem als Lieferant von Nutzholz wahrgenommen. Gleichzeitig kritisieren die Jäger, dass Lebensräume und Rückzugsgebiete der heimischen Wildtiere wegen wachsender Agrarlandschaften und zerschnittenen Lebensräumen abnehmen. Zudem beklagen sie eine Zunahme der Fressfeinde.
Dabei liefern ihnen gerade diese gute Gründe, um weiter zu jagen. Insektensterben, Massentierhaltung, Dauerniedrigpreise, die Betriebe in den Ruin treiben – all das wird, wenn überhaupt, nur am Rande oder in Expertenrunden thematisiert.