Showdown zwischen Wagenknecht und Partei: Erste Linke nehmen Stellung

LInken-Politikerinnen Hennig-Wellsow, Wagenknecht, 2021. Nun gehen sie getrennte Wege. Bild: Martin Heinlein, CC BY 2.0 DEED

Offener Brief erhebt schwere Vorwürfe gegen Mehrheitsfraktion. Wagenknecht stellt am Vormittag neues Projekt vor. So bereiten sich die Lager intern auf den Bruch vor.

Heute Vormittag kommt es zum Showdown zwischen den inzwischen offen verfeindeten Lagern der Linkspartei: Um zehn Uhr will die Noch-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Vorsitzende der Linksfraktion, Sahra Wagenknecht, einen Verein als Vorstufe einer neuen Partei vorstellen.

Es wird – zumindest innenpolitisch – das Thema des Tages: Nach einer monatelangen Hängepartie wird sich die deutsche Parteienlandschaft heute wohl erneut verändern.

Klar ist: Die Linkspartei in ihrer bisherigen Konstellation ist Geschichte. Damit endet ein Projekt, das am 16. Dezember 1989 mit der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) begonnen und sich 2007 mit der Fusion mit der westdeutschen SPD-Abspaltung Arbeit & soziale Gerechtigkeit – die Wahlalternative" weiterentwickelt hatte.

Der Versuch, unterschiedliche linke Strömungen – auch aus Westdeutschland in Ostdeutschland – zu vereinen, ist gescheitert.

Dieser Text erscheint in Zusammenarbeit mit der Berliner Zeitung. Den vollständigen Bericht unserer Partnerredaktion finden Sie hier.

Nun also wird das letzte Kapitel im Dauerstreit zwischen der Linksfraktion und den Akteuren des neuen Projektes geschrieben. Parallel dazu fordern am heutigen Montag knapp zwei Dutzend Mitglieder und ehemalige Mitglieder der Linkspartei sowie Aktivisten die Abgeordneten aus dem Wagenknecht-Lager in einem offenen Brief auf, ihr Mandat zu behalten. Unterzeichnet ist das Schreiben, das Telepolis und der Berliner Zeitung vorab vorlag, unter anderem von dem Kassler Politikwissenschaftler und Friedensforscher Werner Ruf sowie dem Leipziger Linken-Politiker Volker Külow.

Nicht erst Wahlergebnisse der Landtagswahlen in Bayern und Hessen hätten verdeutlicht, in welche existenzielle Krise sich die Linkspartei gebracht habe, heißt es in dem Schreiben an die "liebe Sahra" und die "lieben mitstreitenden Abgeordnete in der Bundestagsfraktion", das auf der Seite der Bundesarbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik veröffentlicht worden ist.

Zentraler Appell an die Wagenknecht-Anhänger in der Fraktion: "Wir möchten Euch bitten, Euer Mandat als Bundestagsabgeordnete unbedingt weiter auszuüben und im Bundestag auch weiterhin aktiv im Sinne des Erfurter Grundsatzprogramms der Linken zu wirken, wenn es zu einer Trennung bzw. der Auflösung der Bundestagsfraktion der Partei kommen sollte."

Wagenknecht-Anhänger gegen "Funktionärskader"

Den Vorsitzenden der Linken, Janine Wissler und Martin Schirdewan, werfen die Initiatoren des Offenen Briefes vor, sie "und ihr Funktionärskader" hätten in vielen Fällen mit dem geltenden Programm der Linken gebrochen, "auf dessen Grundlage wir diese Partei gegründet haben bzw. in sie eingetreten sind".

Dies sei ein entscheidender Grund dafür, "dass die Partei nicht nur einen rekordverdächtigen Aderlass an Wählern, vor allem ins Nichtwählerlager, sondern auch einen Rekord an Austritten zu verzeichnen" habe.

Der Brief wird rund zwei Wochen lanciert, nachdem 50 Mitglieder der Linken in einer ähnlichen Initiative den Ausschluss Wagenknechts aus der Partei gefordert hatten. Die Gegeninitiative wird bislang nur von 20 Erstunterzeichnern getragen.

Die Initiatoren sind dennoch zuversichtlich, dass weitere Mitunterzeichner den Appell unterstützen, zumal "die Friedensfrage wieder grimmige Realität erlangt" habe: "Historisch waren PDS und Linke immer dann auch elektoral stark, wenn ihre Stimme in Kriegszeiten klar und deutlich war. Das war 1990 so, das war 1998 so, das war 2004 so.

Die These wird sich nun dem Realitätscheck stellen müssen. Bis dahin steht der offene Brief durchaus in einer Tradition der Streitkultur der Linkspartei, in deren Geschichte sich vor allem Anhänger und Gegner Wagenknechts gegenseitig mit derartigen Appellen, Brandbriefen und Forderungskatalogen bedacht haben.

Da wurde Wagenknecht von der "Antikapitalistischen Linke" wegen ihrer Haltung in der Flüchtlingsfrage gescholten (2016), die Linke zur Abkehr von einem rot-rot-grünen Projekt aufgefordert (2017), es wurde Wagenknecht für ihre "tolle Arbeit" gedankt (2019) oder – wiederholt – entweder ihr freiwilliger Rücktritt oder erzwungene Rausschmiss gefordert (2022, 2023).

Derweil hat die Landesschiedskommission der nordrhein-westfälischen Linken am vergangenen Donnerstag ein Parteiausschlussverfahren gegen Wagenknecht eröffnet. Der Beschluss liegt Telepolis und der Berliner Zeitung vor. Beantragt hatten das Verfahren 58 Mitglieder der Partei.

Wagenknecht soll nun aus Linkspartei ausgeschlossen werden

"Die Verhandlung soll in einem mündlichen Verfahren geführt werden", sagt der Leiter der Linke-Landesgeschäftsstelle und Mitarbeiter der Landesschiedskommission, Michael Kretschmer. Einen Termin dafür gebe es bisher nicht. "Jetzt hat Dr. Sahra Wagenknecht in den nächsten vier Wochen die Möglichkeit, eine Stellungnahme abzugeben."

Wann Wagenknecht und ihre Unterstützer die neue Partei gründen, ist unklar. Laut Medienberichten könnte es im kommenden Januar so weit sein. Dann bliebe gerade noch genug Zeit, um Kandidaten für die Europawahl im Juni aufzustellen. Auch ein Gründungspartei muss organisiert werden.

Über den Verein BSW ("Bündnis Sahra Wagenknecht") sollen voraussichtlich Spenden für die Finanzierung der Partei gesammelt werden. Durchaus möglich also, dass Wagenknecht vorher aus der Linken ausgeschlossen wird. Für ihre innerparteilichen Gegner wäre das auch ein Akt der Selbstbestimmung – sie wollen das Kapitel Wagenknecht möglichst würdevoll schließen.

Zuletzt hatte Linke-Chef Martin Schirdewan im ZDF angekündigt, dass alle, "die diesem Verein beitreten, die diesen Verein gegründet haben", aus der Linken herausfliegen würden. Eine Möglichkeit sei der Entzug der Mitgliedsrechte. Der Vorstand der Linken hat bereits einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit BSW verabschiedet.

Der Berliner Linke-Politikerin Elif Eralp ist eine der Initiatorinnen des Antrags auf das Verfahren gegen Wagenknecht. Nun hoffe man auf einen schnellen Ausschluss, sagt Eralp der Berliner Zeitung und Telepolis. Dieser hätte dann auch den Ausschluss auf der Bundestagsfraktion zur Folge.

"Daher ist es ein Gebot des Anstands auch das Mandat zurückzugeben, so dass Genoss:innen nachrücken können, die unsere Partei vertreten und so auch die Fraktion und ihre Arbeitsplätze erhalten bleiben können", sagt Eralp. "Schließlich hat Wagenknecht ihr Mandat aufgrund der Linkspartei erhalten und nicht für sich persönlich. Eine Privatisierung des Mandats verbietet sich."

Es könne nicht sein, dass Wagenknecht "auf Kosten unserer Partei ihr Konkurrenzprojekt aufbaut und sich ein schönes Leben macht", sagt Eralp, die für die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus sitzt. "Es ist besser, eine schlagkräftige, geeinte Gruppe im Bundestag zu haben, als eine Fraktion, die aufgrund permanenter Querschläge nur noch als zerstritten wahrgenommen wird."

Beide Seiten stricken an Legenden

Sollte das Lager um Sahra Wagenknecht gehofft haben, mit der Vereinsgründung unter dem Radar der Partei zu bleiben und keinen ausreichenden Anlass für Parteiausschlussverfahren zu liefern - es wäre die erste Fehlkalkulation des Projektes. Man darf also gespannt sein, wer ihr nun auf dem neuen Weg folgt, oder ob die Anhänger der 54-jährigen Neosozialistin in der Fraktionspartei weiter in Deckung bleiben.

Die Autoren und Erstunterzeichner des Offenen Briefes an die Abgeordneten jedenfalls haben sich erklärt. Sie werfen der Parteimehrheit vor, die gemeinsame politische Basis verlassen zu haben – und berufen sich dabei auf das sogenannte Erfurter Programm von 2011.

Die Gruppe von Wagenknecht-Anhängern in der Bundestagsfraktion sei "für uns Linke (...), die wir für diese Positionen im ganzen Land politisch aktiv sind, weiterhin unsere konsequente Stimme".

Sie plädieren dafür, die Inhalte des Erfurter Programms auch weiterhin im Bundestag zu formulieren: "Wir möchten Euch bitten, einer eventuellen Aufforderung zur Mandatsniederlegung nicht nachzukommen". Ihr Mandat zurückgeben müssten vielmehr jene Linken-Abgeordneten, die in der Vergangenheit immer wieder gegen das eigene Parteiprogramm gehandelt hätten und dies auch weiterhin täten.

Dem widersprachen erklärte Gegner Wagenknechts, darunter die nordrhein-westfälische Abgeordnete Kathrin Vogler. Die Rumpfpartei bleibe "die richtige Adresse für alle, denen Gerechtigkeit und Solidarität für alle Menschen im Land, die friedliche Lösung von Konflikten, sozialer Klimaschutz und der entschlossene Kampf gegen Rechts am Herzen liegen", heißt es in einer Gegenerklärung.

So steht am Morgen dieses 23. Februar fest: Die Linke ist gescheitert. Und beide Seiten arbeiten an Legenden, wie es dazu kommen konnte.

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