Sicherheitsgarantien für die Ukraine: Der Schlüssel zum Frieden?

Die Ukraine sucht einen Weg zum Frieden. Präsident Selenskyj nennt dafür eine klare Bedingung: westliche Sicherheitsgarantien. Doch ist der Westen bereit, dieses riskante Versprechen zu geben?

Nachdem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj vor einer guten Woche seinen Siegesplan vorgestellt hatte, der mit der Strategie "Frieden über Stärke" den Krieg bis Ende 2025 beenden sollte, trat er am Donnerstag bei der Pressekonferenz des Gipfels der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Budapest vor die Kamera und machte deutlich: "Ein Waffenstillstand wird dann kommen, wenn der Staat, der im Krieg ist, besonders das Opfer, weiß, dass es Sicherheitsgarantien haben wird."

Aufziehende Gefahr

Angaben über die aktuelle Lage der Ukraine nach mehr als zweieinhalb Jahren Krieg müssen mit Vorsicht zur Kenntnis genommen werden, da man – wie in jedem Krieg – auf kaum überprüfbare Informationen angewiesen ist. Vor einem Monat warnte der ehemalige Berater des ukrainischen Präsidialamts.

Oleksij Arestowitsch, gegenüber ukrainischen Medien, drohe ein militärisches Fiasko: "Die Front könnte sonst in drei bis vier Monaten zusammenbrechen."

Vor einer Woche reihte sich der Generalmajor der ukrainischen Streitkräfte Dmytro Martschenko in der Reihe der Warner ein und erklärte, dass die Front im Donbass zusammengebrochen sei.

Nach Meldungen aus der Ukraine und den USA befinden sich inzwischen wohl auch 11.000 nordkoreanische Soldaten auf der Seite Russlands. Der russische Angriff scheint massiv weiterzugehen. Aktuell wird unter anderem die ostukrainischen Großstadt Charkiw angegriffen, ebenso Odessa.

Wechsel in den USA

Nach dem Wahlsieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen ist es mehr als fraglich, ob sich die Situation der Ukraine verbessert. Trump hatte großspurig angekündigt, den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden, wobei konkrete Details seines mutmaßlichen Plans nicht bekannt sind.

Eine Reihe von Kommentatoren gehen davon aus, Trumps Vorschlag bestehe darin, dass die Ukraine zumindest die territorialen Gebietsgewinne Russlands anerkennt, also eine Art Einfrierung des Status quo. Trumps Berater widersprachen der Forderung nach Gebietsabtretungen jedoch umgehend.

Als Reaktion auf den Wahlsieg Trumps bemühte sich Selenskyj umgehend um Annäherung.

Alles in allem erscheint die Lage in der Ukraine besorgniserregend.

Ein Schritt in Richtung Frieden?

Inwiefern die Ukraine wirklich Russland in jüngster Vergangenheit einen Friedensvorschlag unterbreitet hat, wie es der russische Präsident Wladimir Putin beim Brics-Gipfel öffentlich bekannt gegeben hat (ohne Details zu nennen), lässt sich naturgemäß nicht überprüfen. Selenskyjs Auftritt in Budapest lässt aber vermuten, dass sich derzeit die ukrainische Haltung ändert und er die Voraussetzungen für einen möglichen Waffenstillstand sondiert. Die entscheidende Forderung: Sicherheitsgarantien des Westens.

Der gordische Knoten für Kiew

Selenskyjs Verlangen ist nicht nur menschlich mehr als nachvollziehbar, es ist auch ein moralisches Gebot. Niemand kann von der Ukraine einen Waffenstillstand und anschließende Friedensverhandlungen verlangen, wenn sie keinerlei Sicherheit darüber hat, nicht wieder jeden Moment angegriffen werden zu können.

Dabei spielt die hypothetische Diskussion, inwiefern Russland daran ein Interesse haben könnte, keine Rolle. Tatsächlich fordert Selenskyj in gewisser Weise nichts Anderes, als den Kern des immer wiederholten Wunschs eines Nato-Beitritts, der auch Teil seines Siegesplans war. Dieser Kern wäre die Sicherheitsgarantie der Nato für die Ukraine. (Wobei natürlich auch nur einzelne Länder und nicht die Nato die gewünschte Garantie abgeben könnten).

An dieser Stelle muss betont werden: Wenn man sich von allzu schematischen Sichtweisen dieses Krieges löst – dass dieser etwa ein imperialer Eroberungs- bzw. Vernichtungskrieg seitens Russland sei –, dann gibt es zumindest denkbaren Spielraum für Verhandlungen und ein gewisses Potenzial für Kompromisse: etwa eine Nato-Sicherheitsgarantie für die Ukraine.

Damit einhergehen könnte eine schriftliche Zusicherung an Russland, die Nato-Militärstützpunkte nicht auf das Territorium der Ukraine auszuweiten und dort ebenfalls keine Nato-Militärübungen stattfinden zu lassen, so wie es für das Gebiet der ehemaligen DDR festgelegt worden ist. Dies entspräche der Position Russlands.

Die Forderung nach einer Sicherheitsgarantie für die Ukraine ist also nicht nur moralisch uneingeschränkt zu unterstützen, sondern tatsächlich ein möglicherweise entscheidender Schritt zu einer konstruktiven Konsensfindung.

Inwiefern der Vorschlag angesichts der vermutlichen militärischen Fortschritte Russlands jedoch nicht zu spät kommt, bleibt unklar. Die Hauptfrage aber zuvor: Ist der Westen bereit, der Ukraine die Sicherheitsgarantie mit der entsprechenden Verpflichtung zum militärischen Engagement im Fall der Falle zu geben?

Forderung nach Nato-Beitritt bleibt erhalten

Inwiefern Selenskyj den kleinen, aber grundlegenden Unterschied zwischen einem Nato-Beitritt und der Nato-Sicherheitsgarantie nicht sieht oder ob es politisches Kalkül sein mag, lässt sich selbstverständlich nicht von außen beurteilen. In jedem Fall erklärte er am Donnerstag in Budapest im Hinblick auf den anwesenden ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, es sei "Nonsens", den Nato-Beitritt der Ukraine abzulehnen und gleichzeitig einen Waffenstillstand zu fordern: "Daher ist ein Staatsführer, der einen Waffenstillstand fordert, doch gegen Sicherheitsgarantien auftritt, einfach ein Schönredner."

Doch, wie gezeigt, ist dies kein solch evidenter Widerspruch, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, sondern vielleicht vielmehr eine Möglichkeit, um den gordischen Knoten zu lösen.

Mögliche Eskalation

Ebenfalls in Budapest forderte der ukrainische Präsident – im Hinblick auf die Eskalation durch den angeblichen Einsatz nordkoreanischer Soldaten - den Westen erneut zu einer Freigabe von weitreichenden Waffen gegen Ziele in Russland auf.

So sehr diese Forderung vonseiten der angegriffenen Ukraine auch nachvollziehbar und verständlich ist, so sehr unterstreicht sie die Gefahr einer zunehmend unkontrollierbaren Eskalation des Krieges. Diese Gefahr wird gerne ignoriert, aber wie der US-amerikanische Investigativjournalist Bob Woodward berichtet, lagen beispielsweise im Herbst 2022 den USA Informationen vor, dass die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes russischer Atomwaffen im Ukraine-Krieg bei 50 Prozent lag.

Die Situation wurde im Weißen Haus sogar mit der Kubakrise verglichen.

Dieses Damoklesschwert der zunehmenden Eskalation sollte neben der Beendigung des täglichen Tötens Grund genug sein, um die Frage noch einmal zu wiederholen: Ist der Westen bereit, der Ukraine die Sicherheitsgarantie mit der entsprechenden Verpflichtung zum militärischen Engagement im Fall der Fälle zu geben?

Waffenstillstand mit einem Angreifer?

Die Frage, inwiefern die Garantie eigentlich nebensächlich sei, weil Russland sich nämlich niemals an einen Waffenstillstand halten wird, mag mit Hinblick auf das Budapester Memorandum von 1994 naheliegen. Zum einen entzieht sich diese Haltung, die sich schlicht weigert, die explizit von der ukrainischen Seite gestellten Forderung zu beantworten, damit galant jeder Verantwortung, zum anderen impliziert diese Einstellung, dass irgendeine Art von Waffenstillstand mit Russland, dem man niemals vertrauen könne, grundsätzlich nicht möglich sei.

Die Konsequenz dieser Haltung ist daher ein Krieg mit endlosem Blutvergießen, bis eine der beiden Länder kapituliert. Denn es ist in der Natur des Krieges, dass er nur durch Kapitulation oder Waffenstillstand beendet werden kann.

Zudem übersieht diese scheinbar selbstevidente Überzeugung eine Reihe historischer Vorläufer, die das Gegenteil beweisen: Angriffskriege, die durch einen Waffenstillstand beendet wurden, ohne dass es zu einem weiteren Angriff anschließend kam. Ein häufig übersehenes Beispiel: Der angegriffene Iran, der sich mit dem Irak, der sogar Chemiewaffen einsetzte, auf einen Waffenstillstand und einen Frieden einigen konnte.

Eine Sicherheitsgarantie des Westens für die Ukraine, die im Gegensatz zum Budapester Memorandum:https://web.archive.org/web/20170312052208/http://www.cfr.org/nonproliferation-arms-control-and-disarmament/budapest-memorandums-security-assurances-1994/p32484 auch rechtsverbindlichen Charakter hätte – zumindest die Verbindlichkeit der Nato-Sicherheitsgarantie – ist daher eine realpolitische Grundvoraussetzung für jede Art von Waffenstillstand.

Verantwortung des Westens

Sicherheitsgarantien für die Ukraine gehen natürlich mit einem potenziellen Risiko einher. Denn falls Russland nach einem möglichen Waffenstillstand jemals wieder die Ukraine angreifen sollte, wären die Garantiemächte angehalten, militärisch aktiven Beistand zu leisten. In gewissem Sinne würde die Ukraine sogar damit die Rechte der Nato-Mitgliedschaft erhalten, ohne Pflichten gegenüber der Nato zu haben.

Daher steht die Frage im Raum: Warum sollten westliche Länder auf Selenskyjs Forderung eingehen?

Es ist eine Frage der Verantwortung. Denn wenn der Westen hierzu nicht bereit ist, bleibt der Ukraine mit dem Ausblick auf diese dauerhafte Unsicherheit kaum etwas anderes übrig, als weiterzukämpfen. Ohne die Option eines Waffenstillstands bleibt aber nur die Entscheidung im Krieg.

Und die militärische Lage sieht nicht verheißungsvoll aus. Wenn der Westen also eine Sicherheitsgarantie ablehnt, nimmt er sehenden Auges die Gefahr einer vollständigen militärischen Niederlage der Ukraine in Kauf oder die Ukraine muss (siehe oben) so sehr bewaffnet werden, dass diese den Krieg für sich entscheiden kann. Mit allen offensichtlichen Gefahren einer endlosen und nicht mehr kontrollierbaren Eskalationsschleife, da Russland weiterhin noch reichlich Eskalationspotential hat.

Die Hoffnung

Der Zeitpunkt für mögliche Verhandlungen über einen Waffenstillstand wäre relativ günstig aufgrund des anstehenden Winters, der zumeist grundlegende militärische Veränderung verhindert (auch wenn aktuell, wie gesehen, Russland im deutlichen Vorteil zu sein scheint und entsprechend geringeres Interesse an Verhandlungen haben könnte).

Der Zeitpunkt von Selenskyjs Forderung nach einer Sicherheitsgarantie erfolgt in anderer Hinsicht jedoch leider zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt: Der Präsidentschaftsübergabe in den USA, die zwei Monate dauern wird, und einem Europa, das sehr mit sich selber beschäftigt sein wird, der Regierungskrise in Deutschland und dem Fokus auf dem Krieg in Nahost.

Man kann nur hoffen, dass angesichts dieser "Ablenkungen" Selenskyjs Forderung nicht auf taube Ohren stößt, sondern der Westen sich der Verantwortung für Frieden konkret stellt. Eine Sicherheitsgarantie des Westens für die Ukraine, die mit unterzeichnetem Waffenstillstand in Kraft tritt, ist das realpolitische Gebot der Stunde. Denn während Sie diese Zeile gelesen haben, sind weiter Menschen in der Ukraine getötet worden und geht Zerstörung und Leiden weiter.