Sieg für den Anti-Merz

Günther im Wahlkampf. Bild: cdu.sh

Schleswig-Holstein hat gewählt und den Christdemokraten unverhofft Auftrieb verschafft

Großer Jubel bei der CDU. Die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein haben ihr am gestrigen Sonntag das beste Ergebnis in annähernd vier Jahrzehnten beschert. 43,4 der abgegebenen Stimmen entfielen nach der ARD-Hochrechnung kurz vor Mitternacht auf die Christdemokraten.

Zu verdanken haben sie dieses vor allem ihrem jungen Ministerpräsidenten Daniel Günther, der das Land in den letzten fünf Jahren in einer sogenannten Jamaika-Koalition mit FDP und Grünen regierte. Günther genießt für einen schleswig-holsteinischen Christdemokraten eine ungewöhnliche Popularität und hat ein eher weltoffenes und zugewandtes Image, das ihm über Parteigrenzen hinweg Sympathien verschafft. Man könnte ihn auch den Anti-Merz nennen.

Von 32 Prozent bei den letzten Wahlen 2017 hat sich die CDU auf gut 43 Prozent verbessert. Zuletzt war sie 1983 mit 49 Prozent besser gewesen. In den Jahrzehnten davor hatte sie ein Abonnement auf den Posten des Kieler Ministerpräsidenten.

Doch dann war ihr die beschränkte Macht einer Landesregierung schließlich zu Kopfe gestiegen, was ihren damaligen Chef Uwe Barschel zu schlecht vertuschten schmutzigen Tricks gegen die seinerzeit langzeitoppositionelle SPD verleitete. Am Ende dieser Affäre stand Barschels bis heute viel diskutierte Tod in der Badewanne eines Genfer Hotels.

Die Sozialdemokraten konnten daraufhin ab 1987 in den Wahlen mehrfach triumphieren, doch hatten sie sich inzwischen so weit abgenutzt, dass es 2017 nicht mehr für eine Koalition mit den Grünen reichte.

Allerdings war damit – wie der gestrige Sonntag zeigte – für die Sozialdemokraten noch nicht der Tiefpunkt erreicht. Nur noch 16 Prozent der Wähler entschieden sich dieses Mal für sie, noch einmal 11,2 Prozentpunkte weniger als 2017.

Damit ist die SPD nur noch drittstärkste Partei im Kieler Landeshaus, ein Novum in der Geschichte des 1946 gegründeten Bundeslandes. Zweitstärkste Partei wurden der grüne Juniorpartner der Union, die um 5,4 Prozentpunkte auf 18,4 Prozent zulegten. Das ist das mit Abstand beste Ergebnis, das die Grünen zwischen Nord- und Ostsee je erzielen konnten. Insgesamt hat damit die Jamaika-Koalition zwischen elf und zwölf Prozentpunkten zugelegt, auch wenn der Dritte im Bunde, die FDP, mit minus 5,1 Prozentpunkten reichlich Federn lassen musste.

Wähler verzeihen CDU zahlreiche umstrittene Vorhaben

Offenbar haben sich die Wählerinnen und Wähler weder an den geplanten Mülldeponien für den schwachradioaktiven Abfall aus dem Abriss der schleswig-holsteinischen AKW gestört, noch an den von der Landesregierung bereits seit Längerem geplanten Flüssiggas-Terminal in Brunsbüttel.

Auch die geplante Ausweitung der Erdölförderung im Naturschutzgebiet Wattenmeer scheint nicht weiter das Wahlergebnis beeinflusst zu haben. Nicht einmal die katastrophale Corona-Politik der christdemokratischen Kultusministerin konnte der CDU schaden (Anm. d. Red.: Wir hatten an dieser Stelle in einer früheren Version der Kieler Kultusministerin irrtümlich eine FDP-Mitgliedschaft unterstellt.).

Diese hatte auf Twitter den Tod von an Covid-19 gestorbenen Kindern heruntergespielt und es, wie ihre 15 Amtskollegen in den übrigen Ländern, nicht für nötig befunden, für Luftfilter und eine kohärente Schutzpolitik in den Schulen zu sorgen.

Vielleicht liegt der Triumph der Kieler Koalition aber auch am Fehlen einer ernstzunehmenden Opposition. Jedenfalls hatte nicht nur die SPD empfindliche Verluste hinzunehmen. Auch die Linkspartei erlitt eine herbe Niederlage. Aus den mageren 3,8 Prozent der letzten Wahl wurden nun nur noch 1,6 Prozent.

Erfreulich ist immerhin, dass die AfD ihre Landtagssitze räumen muss. Mit voraussichtlich lediglich 4,6 Prozent der Stimmen wird es nicht für einen erneuten Einzug ins Kieler Landesparlament reichen. Damit ereilt sie das Schicksal zweier andere rechtsradikalen Parteien vor ihr. Auch NPD und DVU konnten sich ab 1967 bzw. ab 1992 mit recht ähnlichen Wahlergebnissen wie die AfD 2017 nur für jeweils eine Legislaturperiode im Parlament an der Kieler Förde halten.

Freuen kann sich hingegen der Südschleswigsche Wählerverband, der SSW, der als Vertreter der friesischen und dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde ausgenommen ist. Doch dieser Sonderregel hätte es diesmal gar nicht bedurft, denn für die diesmal ganz auf soziale Themen setzende Partei votierten knapp sechs Prozent der Wählerinnen und Wähler.

Das ist deutlich mehr als es je seit Mitte der 1950er für den SSW gegeben hat. Nur einmal, 1947, lag der Anteil mit 9,3 Prozent höher. Allerdings waren bei jener Wahl – der ersten unter britischer Besatzung – die Aussiedler aus dem Osten noch nicht stimmberechtigt. Schleswig-Holsteins Bevölkerung hatte sich durch den Zustrom aus Hinterpommern, sowie den anderen preußischen Ostprovinzen zwischen 1944 und 1949 nahezu verdoppelt

Der SSW, der politisch der skandinavischen Sozialdemokratie nahesteht, befindet sich bereits seit längerem im Aufschwung. 2021 war er erstmals seit rund 50 Jahren wieder zur Bundestagswahl angetreten und hatte mit 55.300 Stimmen ein Mandat erobern können. Landesweit waren dies 3,2 Prozent der Stimmen gewesen.