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Small is beautiful

Ursprung und Bedeutung eines beliebten, aber fragwürdigen Slogans

"Small is beautiful", dieser Slogan wird bis jetzt oft und gern zitiert, vor allem von solchen Gesellschaftskritikern, die das Problem der Zeit im modernen Lifestyle ausmachen. Was steckt dahinter?

Der Slogan ist der Titel eines von Ernst Friedrich Schumacher 1973 veröffentlichten Buchs, das als Die Rückkehr zum menschlichen Maß auch auf deutsch erschienen ist. (Rowohlt, 1977; wir beziehen uns im Folgenden auf diese Ausgabe)

Die Rückkehr zum menschlichen Maß

Eigenem Bekunden nach waren es die Erfahrungen, die Schumacher als ökonomischer Berater in Burma und anderen damals als Dritte Welt bezeichneten Ländern machte, die den Anstoß für seine Theorien gaben. Ein Fünftel des Buchs ist dementsprechend auch den armen Ländern gewidmet; dieser Abschnitt beginnt mit1 [1]:

Ein Weißbuch der britischen Regierung zur Entwicklung in Übersee legte vor einigen Jahren die Ziele der Entwicklungshilfe wie folgt fest: "Tun, was wir können, um den Entwicklungsländern dabei zu helfen, ihrer Bevölkerung die materiellen Gelegenheiten für den Einsatz ihrer Fähigkeiten, für ein erfülltes und glückliches Leben und eine ständig wachsende Verbesserung ihres Loses zur Verfügung zu stellen."

Dass die tatsächlichen Zustände ganz anders sind, weiß Schumacher sehr wohl2 [2]:

Für zwei Drittel der Menschheit scheint das Ziel eines "erfüllten und glücklichen Lebens" mit ständig wachsenden Verbesserungen ihre Loses ebenso weit entfernt wie je zuvor, wenn es nicht gar in immer weitere Ferne gerückt ist.

Wie erklärt er nun diesen Kontrast? Wir lesen3 [3]:

Einer der falschen und und zerstörerischen Zustände in praktisch allen Entwicklungsländern ist das immer deutlichere Auftreten der "zweigeteilten Wirtschaft", in der sich zwei verschiedene Lebensmuster finden, die so weit auseinander liegen wie zwei verschiedene Welten. Es geht nicht darum, dass einige Menschen reich und andere arm sind, wobei sie beide eine gemeinsame Lebensweise haben: es geht darum, dass nebeneinander zwei Lebensweisen bestehen.

und weiter4 [4]:

Bis vor kurzem sprachen die Entwicklungsfachleute selten von der zweigeteilten Wirtschaft und ihren Zwillingsübeln, der Massenarbeitslosigkeit und der Landflucht der Massen. […] Inzwischen ist man weithin im klaren darüber, dass Zeit allein hier nicht heilen kann. Im Gegenteil bringt die zweigeteilte Wirtschaft […] das hervor, was ich einen "Prozess gegenseitiger Vergiftung" genannt habe, durch den erfolgreiche industrielle Entwicklung in den Städten die Wirtschaftsstruktur des Hinterlandes zerstört und das Hinterland sich durch Landflucht der Massen rächt

Als Beispiel für die industrielle Entwicklung in den Städten führt Schumacher Raffinerien an, die nur wenig Arbeitskräfte beschäftigen, wobei zudem viele dieser Arbeitskräfte aus den Industrieländern herbei geholt werden. Auf welche Weise die Existenz solcher Anlagen allerdings die Wirtschaftsstruktur des Hinterlandes zerstören und zur Landflucht führen soll, verrät er uns nicht. Muss denn nicht die Zerstörung der ländlichen Lebensbedingungen auf Vorgängen beruhen, die eben dort, auf dem Land, stattfinden?

Es ist kein Geheimnis, dass während der Kolonialzeit diese Länder als Rohstofflieferanten für die Metropolen hergerichtet wurden: durch Plantagenwirtschaft und Bergbau. Da stand die heimische Bevölkerung nur im Wege und wurde entsprechend behandelt. Die Zerstörung ihrer traditionellen Lebensgrundlagen endete auch nicht durch die Entkolonialisierung, die bei Erscheinen des Buchs in den meisten dieser Länder ein bis zwei Jahrzehnte zurück lag.

Auch die Entwicklungshilfe, wie sie den in die Unabhängigkeit entlassenen Nationen zuteil wurde, orientierte sich an den auswärtigen Interessen: in Form von Infrastruktur, aber auch in Form von Industrieanlagen, die der Rohstoffwirtschaft als Zulieferer oder Erstverarbeiter untergeordnet blieben.

Die oben zitierte offizielle Erklärung zu den Zielen der Entwicklungshilfe ist offenkundig nur die wohltönende Begleitmusik dazu. Schumacher dagegen zweifelt nicht daran, dass darin tatsächlich die politisch maßgebenden Ziele ausgesprochen wären; er konstatiert lediglich, dass die schönen Absichten nicht erreicht würden und breitet das unbeirrt über viele Seiten seines Buchs hinweg aus. Seine Auffassung ist, dass die Mittel, mit denen die guten Zwecke verfolgt würden, ungeeignet wären, und zwar sieht er diese Mittel in Industrieanlagen, die in das Umfeld der armen Länder eben nicht hineinpassen.

Als Alternative propagiert Schumacher die Parole von der Hilfe zur Selbsthilfe5 [5]:

Gib einem Mann einen Fisch, so heißt es, und du hilfst ihm ein wenig für kurze Zeit, aber lehre ihn fischen, und du ermöglichst es ihm, sich ein Leben hindurch selbst zu helfen.

Das mit dem Fischen ist im übertragenen Sinn zu verstehen, denn wo es etwas zu fischen gibt, wissen die Leute auch längst, wie man Fische fängt. Aber was kann es dann sein? Die Menschen dort sind ja nicht dumm; wenn es Möglichkeiten des Lebensunterhalts gibt, die in ihrer Reichweite liegen, sind sie sicher selbst schon darauf gekommen. Was soll man sie also "lehren"? Sonderlich konkret wird Schumacher da nicht6 [6]:

Das also müsste immer mehr zur obersten Maxime von Hilfsprogrammen werden – die Menschen durch großzügige geistige [sic!] Gaben angemessener Art zur Unabhängigkeit und Selbsterhaltung zu führen, durch Gaben für sie wichtigen Wissens über die Arten der Selbsthilfe. Diese Methode hat außerdem den Vorzug, dass sie vergleichsweise billig ist.

Irgendwie bemerkt er aber doch, dass "geistige Gaben" allein wohl nicht ausreichen, und so entwickelt er das Konzept der "mittleren Technologie". Er nennt sie auch "Fünfhundert-Mark Technologie"7 [7], womit er sich auf die Ausstattungskosten je Arbeitsplatz bezieht und es in Gegensatz zur "Fünf-Mark-Technologie" der überkommenen Armutswirtschaft einerseits und der "Fünftausend-Mark-Technologie" der importierten Industrieanlagen andererseits stellt. Es geht also um einfache Produktionsmittel, die zwar relativ wenig kosten, aber doch mehr, als was die Leute von sich aus aufbringen könnten.

Fremde Hilfe ist also auch bei mittlerer Technologie nötig. Die wird von wohltätigen Hilfsorganisationen geleistet, und ich will gar nicht bestreiten, dass das in Einzelfällen auch hilfreich sein kann. Am Prinzip der Ausbeutung der Dritten Welt und der darauf ausgerichteten offiziellen staatlichen Entwicklungshilfe ändert das jedoch nichts. Deshalb bleiben die armen Länder arm, und die Wirkung von auf mittlerer Technologie beruhender Hilfe ist allenfalls ein Tropfen auf den heißen Stein.

Soviel zur sachlichen Seite der Angelegenheit. Schumacher geht es aber um mehr, nämlich um Bewusstsein und ideelle Haltungen; seiner Meinung nach8 [8]

veranlasst unsere grobe, materialistische Anschauung uns, nur die "materiellen Gegebenheiten" zu erwägen, (um die Worte des Weißbuchs zu verwenden, die ich bereits zitiert habe) und die immateriellen Faktoren zu übersehen. Ich bin gewiss, dass unter den Ursachen der Armut die materiellen Faktoren ganz und gar zweitrangig sind – Dinge wie ein Mangel an natürlichem Reichtum oder Kapitalmangel oder eine ungenügende Infrastruktur.

Die übergeordneten Ursachen äußerster Armut sind immateriell, sie liegen in bestimmten Mängeln der Erziehung, Organisation und Disziplin. [der Einschub in runden Klammern steht im Original; das Zitat, auf das darin verwiesen wird, ist dasselbe, das ich am Beginn des vorliegenden Artikels anführe.]

Nun ist die Auffassung, wonach ideelle Dinge höher als materielle Güter zu bewerten seien, in den Industrieländer durchaus gängig; insbesondere Bildung wird selbst im streng wirtschaftlichen Kontext üblicherweise gutgeheißen, und daher werden im Rahmen von Entwicklungshilfe-Programmen oft Schulen, auch höhere Schulen und Universitäten, unterstützt.

Das Problem dabei ist, dass in den armen Ländern meist gar nicht genug Verwendung für höher ausgebildete Leute besteht, was bis zu dem Punkt führen kann, dass man Abitur vorweisen muss, um als Verkäuferin oder LKW-Fahrer anzuheuern; es gibt ja sonst keine Jobs für die Schulabgänger.

Erst recht gilt für die im Vergleich zur Schulbildung noch weniger klaren "Faktoren" Organisation und Disziplin, dass sie nur nützlich sind, wo die entsprechenden Voraussetzungen bestehen: wo es nicht viel zu organisieren gibt, wird man vergeblich darauf warten, dass sich disziplinierte Organisationstalente hervortun. All diese schönen ideellen Dinge werden eben nicht von sich aus wirksam, sondern nur unter materiellen Voraussetzungen, die in den armen Ländern eben nicht gegeben sind.

All dem dann "Mangel an natürlichem Reichtum oder Kapitalmangel oder eine ungenügende Infrastruktur" als bloß "zweitrangige" Ursachen gegenüber zu stellen, legt noch einmal mehr eine verkehrte Perspektive an die Realität an: denn was hier angesprochen wird sind genau die Kategorien, auf die die armen Ländern fixiert werden, egal, ob es gut ist für sie oder nicht:

Erstens "natürlicher Reichtum": die armen Länder haben als Rohstoff-Lieferanten zu dienen, auch und vor allem, wo sie selbst diese Rohstoffe gar nicht nutzen können, weil ihnen die wirtschaftlichen Voraussetzungen dafür fehlen; der Preis der Rohstoffe bestimmt sich deshalb durch die Nachfrage aus den Industrieländern, da ja nur die etwas damit anfangen können. Das führt aufgrund der Konjunkturzyklen in den Industrieländern zu für die armen Länder ruinös exzessiven Preisschwankungen. Klar, es gibt auch arme Länder, die nicht einmal über nennenswerten "natürlichen Reichtum" verfügen – aber der entscheidende Punkt ist doch: auch wo solcher vorhanden ist, sind die Nutznießer nicht so sehr diese Länder selbst, als vielmehr die Industrieländer.

Zweitens "Kapital": was als Wirtschaft rund um Rohstoff-Plantagen und Bergbau existiert, sind für ausländisches Kapital Investitionsmöglichkeiten – die Gewinne fließen an die Kapital-Exporteure, also an die entwickelten Länder zurück. Der Süden dient als Anlagesphäre für fremdes Kapital, ein eigenständiger Wirtschaftsaufschwung kommt nicht zustande.

Drittens "Infrastruktur": der Name leitet sich von lateinisch "infra" = "unterhalb" ab. Es ist das, was die Wirtschaft als zugrundeliegende Voraussetzungen benötigt. Es fragt sich also: unterhalb wovon diese Strukturen denn liegen – und da kommen wir wieder auf die von den Industrieländern eingerichtete Rohstoffproduktion; die Infrastruktur dafür zu unterhalten, bedeutet Unkosten, die den davon profitierenden Kapitalien oft durch Entwicklungshilfe abgenommen werden.

Die Frage, ob die materiellen oder die ideellen Gegebenheiten von vorrangiger Bedeutung seien, ist also bereits verkehrt gestellt, denn es kommt auf den Kontext an, in dem diese stehen. Nicht weil sie "zweitrangig" wären, sondern weil sie als Gegenstand beziehungsweise Mittel für den Zugriff der reichen Länder auf die Dritte Welt fungieren, wirken Rohstoffe, Kapital und Infrastruktur nicht als Reichtumsquelle für letztere. Aber das interessiert Schumacher nicht; er kümmert sich nicht darum, welche Interessen mit welchen Machtmitteln die bestehenden Zustände hervorrufen und aufrecht erhalten; er geht unbeirrt davon aus, dass nur gute Absichten am Werk sind9 [9]:

Es ist beinahe ein Segen, dass wir, die reichen Länder, uns dazu aufgerafft haben, die Dritte Welt zumindest zu betrachten und zu versuchen, ihre Armut zu lindern.

Wenn es dennoch scheitert, so muss das an Unkenntnis liegen: "Eine Untersuchung von mittleren technologischen Verfahren, wie sie heute bestehen, würde zeigen, dass genug Wissen und Erfahrung vorliegen, um jedem Arbeit zu verschaffen."10 [10] Tja – vielleicht wird die Welt von ganz anderen Zielen und Zwecken beherrscht, als jedem Arbeit zu verschaffen.

… und auch in den Industrieländern

Von der beschriebenen Warte aus ist es für Schumacher kein Problem, das Ganze auch auf die Industrieländer zu übertragen. Auch hier konstatiert er eine materialistische Denkweise, einen "Götzendienst an Aspekten der Wirtschaftlichkeit"11 [11] , die sich als Wurzel so manchen Übels erweise. Denn "Wirtschaftswissenschaft saugt die gesamte Ethik auf."12 [12]

Sehen wir es uns näher an. Schumacher weist auf ein in der Tat sehr bemerkenswertes Paradoxon hin13 [13]:

Wenn wir fragen, wohin die stürmischen Entwicklungen der Industrie in der Welt uns im letzten Vierteljahrhundert gebracht haben, ist die Antwort recht entmutigend. […] Nichts in der Erfahrung der letzten fünfundzwanzig Jahre zeigt, dass moderne Technologie, wie wir sie kennen, tatsächlich bei der Linderung der Armut in der Welt helfen kann, ganz zu schweigen vom Problem der Arbeitslosigkeit, die […] sich jetzt auch in vielen der reichen Länder einzunisten droht.

Und das, obwohl festzuhalten sei14 [14]:

Die erste Aufgabe der Technologie, so sollte man meinen, besteht darin, die Arbeitslast zu erleichtern, die der Mensch tragen muss, um am Leben zu bleiben und seine Möglichkeiten zu erweitern.

Allerdings besteht dieses widersprüchliche Phänomen nicht erst seit Ende des zweiten Weltkriegs, sondern ist bereits dem britischen Ökonomen John Stuart Mill (1806-1873) aufgefallen:

Es ist fraglich, ob alle bisher gemachten mechanischen Erfindungen die Tagesmühe irgendeines menschlichen Wesens erleichtert haben.

Karl Marx führt diesen Satz im Kapital an, bemerkt dazu lapidar "Solches ist jedoch auch keineswegs der Zweck der kapitalistisch verwandten Maschinerie." und erklärt die Gründe15 [15]:

Gleich jeder anderen Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit soll sie Waren verwohlfeilern und den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter für sich selbst braucht, verkürzen, um den anderen Teil des Arbeitstags, den er dem Kapitalisten umsonst gibt, zu verlängern. Sie ist Mittel zur Produktion von Mehrwert.

Schließlich ist es ja kein Geheimnis: wenn ein Betrieb neue Technik einführt, durch die dasselbe Arbeitsresultat in kürzerer Zeit erreicht werden kann, so wird nicht die Arbeitszeit reduziert, sondern es werden Leute entlassen, und die, die bleiben, müssen oft unter verstärktem Stress arbeiten, z.B. weil sie sich nun dem entsprechend hoch eingestellten Maschinentakt anzupassen haben.

Dass die Arbeit unter diesen Umständen keinen Spaß macht, überrascht nicht. Sie ist ruinös für Leib und Seele. Auch Schumacher entgeht das nicht, jedoch sieht er den Grund nicht darin, dass die Arbeit gemäß den Kapitalinteressen, denen die Technik in dieser Gesellschaft dient, gestaltet wird, sondern in der Technik selbst16 [16]:

Es ist seltsam, dass Technologie, obwohl sie natürlich vom Menschen hervorgebracht ist, dazu neigt [!], sich nach ihren eigenen Gesetzen und Grundsätzen zu entwickeln.

In der Tat ist es seltsam, dass der Mensch da etwas erschaffen haben soll, was eigene Neigungen hervorbringt und sich gemäß diesen weiter entwickelt. Wie löst Schumacher dieses Paradoxon auf? Gar nicht: er geht unbekümmert dazu über, zu beschreiben, worin seiner Meinung nach diese eigenständigen "Neigungen" und "Grundsätze" der Technologie bestehen. Und die sind denkbar einfach: nämlich immer größer zu werden.

So platt drückt Schumacher das freilich nicht aus, sondern er bringt einen Vergleich mit dem, wie er die Natur sieht; er fährt an der angeführten Stelle nämlich fort17 [17]:

Diese aber sind von denen des Menschen oder der lebenden Natur allgemein sehr verschieden. Die Natur weiß sozusagen stets, wo und wann sie aufhören muss. Noch größer als das Geheimnis des natürlichen Wachstums ist das Geheimnis der natürlichen Begrenzung des Wachstums. Bei allen natürlichen Dingen – ihrer Größe, Geschwindigkeit oder Gewalttätigkeit – gibt es ein Maß.

Als Ergebnis gleicht das System der Natur, zu dem der Mensch gehört, sich selbst aus, regelt und reinigt sich selbst. Das ist bei der Technologie nicht der Fall, oder vielleicht müsste ich sagen: beim Menschen, der von Technologie und Spezialisierung beherrscht wird. Die Technologie erkennt keinen Grundsatz der Selbstbegrenzung an – beispielsweise im Hinblick auf Größe, Geschwindigkeit oder Gewalttätigkeit. Daher besitzt sie nicht die Fähigkeit, sich selbst auszugleichen, zu regeln und zu reinigen.

Machen wir uns die Mühe, das genau zu verstehen, denn aus dieser Textstelle lässt sich das Prinzip von Schumachers Denkweise recht schön ersehen. Die Argumentation folgt dem Prinzip des Vergleichs: er stellt anhand der einen Seite des Vergleichs (die belebte Natur) das, worauf es ihm ankommt so dar, dass es allgemein plausibel erscheint, um mit der Übertragung auf die andere Seite des Vergleichs (die Technologie) sein Argumentationsziel zu erreichen.

Also zunächst zur belebten Natur – wir fragen: Was sind die Fakten, auf die Schumacher Bezug nimmt, und in welcher Weise stellt er sie dar? Lebende Organismen sind in ihren Eigenschaften, zu denen auch die Körpergröße zählt, durch die Anpassung an ihre jeweilige Umwelt und Lebensstrategie (also an das, was man "ökologische Nische" nennt) bestimmt.

Es ist ja die Leistung von Darwins Evolutionstheorie, auf diese Weise Teleologie auf Kausalität zurück zu führen. Das vorausgeschickt, kann man Organismen in Begriffen der Zweckmäßigkeit beschreiben und "Größe, Geschwindigkeit und Gewalttätigkeit" (wie immer man letztere in diesem Kontext fassen will) als zweckmäßig bestimmt erkennen.

Dass sich in den verschiedenen Lebensräumen aufgrund der Angepasstheit der Organismen Lebensgemeinschaften herausbilden, die mehr oder minder langfristig stabil sind, und die man insofern als sich selbst ausgleichend, regelnd und reinigend beschreiben kann, ergibt sich ebenfalls kausal. Das sind die objektiven naturwissenschaftlichen Zusammenhänge – ob man diese nun, so wie es Schumacher tut, so betrachten will, als könnte man von der Natur als einem Subjekt, das etwas "weiß", in mehr als nur metaphorischem Sinn sprechen, bleibt der rein persönlichen Weltanschauung überlassen.

Die Formulierungen suggerieren letzteres jedenfalls, insbesondere wenn vom "Geheimnis" des natürlichen Wachstums und seiner Begrenzung die Rede ist, womit doch offenbar etwas wesensmäßig Tieferes angesprochen sein soll als etwaige noch offene naturwissenschaftliche Fragen.

Die Sache in dieser Weise zu formulieren, trägt dazu bei, es plausibel erscheinen zu lassen, wenn nun die zum Vergleich dagegengesetzte "Technologie" ebenfalls als ein solches Geistersubjekt dargestellt wird. Als ein solches soll es den Menschen "beherrschen" und keinen Grundsatz der Selbstbegrenzung "anerkennen".

Was damit gezielt aus dem Blickfeld genommen wird, ist die Tatsache, dass die Technik gar nicht so wie die Natur vom menschlichen Willen unabhängig existiert, sondern von diesem bewusst geschaffen wird, und zwar in zweckbestimmter Weise, und dementsprechend auch Größenbestimmungen besitzt, die diesen Zwecksetzungen entsprechen. Vielmehr soll es so erscheinen, als würde sich die Technologie ganz selbständig gemäß ihren eigenen Zielen entwickeln.

Tatsächlich sind aber die Zwecke der Technik – jedenfalls was die Industrie betrifft – die des Kapitals, denn in unserer Gesellschaft ist es das Kapital, das über die technischen Industrieanlagen verfügt. Der ganze kunstvolle Aufbau von Schumachers Argumentation hat nichts anderes zum Inhalt, als die Gedanken auf eine Ebenen zu führen, auf der von dieser doch eigentlich selbstverständlichen Tatsache abstrahiert wird.

Die heutigen Industriegesellschaften sind durch große Kapitalkonzentrationen gekennzeichnet und daher auch durch dementsprechend große Produktionsanlagen. Kapital ist seinem Begriff nach auf Selbstvermehrung ausgerichtet. Deshalb erscheint es aus dem Blickwinkel von Schumachers Theorie der selbsttätigen Technologieentwicklung so, als wäre das schiere Streben nach Größe der immanente Zweck aller Technologie.

Alles Unschöne an der kapitalistisch angewendeten Technik wird nun von Schumacher als Folge ihrer Größe dargestellt – und dem die Parole "small is beautiful" entgegengesetzt.

Wie falsch das ist, lässt sich schon am Beispiel der Näherinnen in Bangladesch ersehen: denn die Nähmaschinen, an denen die schuften, kann man gewiss nicht als Großtechnologie bezeichnen. Die miserable Lage dieser Arbeiterinnen hat ihren Grund eben nicht in der Technik, sondern im kapitalistischen Ausbeutungsverhältnis: darin, dass ihnen möglichst viel Arbeit für möglichst geringen Lohn abgepresst wird.

Natürlich ist Größe nicht um ihrer selbst willen erstrebenswert – aber ebenso wenig ist sie per se von Übel. Die richtige Größe bestimmt sich danach, was den jeweiligen Zweck am besten erfüllt. Zweck der Produktion im Kapitalismus ist der Profit; der ist aber an die Produktion von Gebrauchswert gebunden; Produktionseinrichtungen, deren Größe für die Herstellung des jeweiligen Gebrauchswerts unzweckmäßig wäre, wären also auch für die Erwirtschaftung von Profit unzweckmäßig.

Erträgliche Arbeitsbedingungen sind ebenfalls nicht Teil kapitalistischer Zwecksetzung (sie müssen oft genug gegen die Interessen des Kapitals erkämpft werden). Deshalb bringen große Industrieanlagen auch nicht wegen ihrer Größe schlechte Arbeitsbedingungen mit sich, sondern wegen der kapitalistischen Kalkulationen.

Dass Arbeit Plackerei ist, auch das lastet Schumacher der industriellen Großtechnik an und er träumt von einer durch handwerkliche Produktion bestimmten Welt18 [18]:

Jedem würde das gewährt, was jetzt das seltenste Vorrecht ist: die Gelegenheit, nützlich, schöpferisch, mit seinen eigenen Händen und seinem Kopf zu arbeiten. Würde das nicht eine ungeheure Verlängerung der Arbeitszeit bedeuten? Nein, Menschen die so arbeiten, kennen den Unterschied zwischen Arbeit und Muße nicht

Einer solchen Romantisierung vorindustrieller Arbeit ist entgegen zu halten, dass schon in der Bibel, die doch aus vorindustrieller Zeit stammt, also der damaligen Erfahrungswelt entspricht, die Notwendigkeit der Arbeit als ein Fluch dargestellt wird, der seit der Vertreibung aus dem Paradies auf der Menschheit lastet: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen."

Auch ein Schuster im Mittelalter, dessen Arbeit vielleicht noch am ehesten solchen romantischen Vorstellungen entspricht, wird nicht bei jedem Paar Schuhe aufs Neue die volle Freude am Schöpfertum erleben, sondern zusehen, dass er genug des Immergleichen erledigt, um davon sein Auskommen zu haben.

Große Kapitale, wie sie für die heutigen Gesellschaften bestimmend sind, haben bei Investitionen in Produktionsanlagen die Wahl, ob sie im Verhältnis mehr kleinere oder weniger größere Produktionseinheiten installieren wollen. Entscheidend wird sein, wie die höchstmögliche Produktivität erreicht werden kann. Da haben im Allgemeinen größere Einheiten sehr wohl den Vorzug, "rationeller" zu sein, also einen größeren Ausstoß an Produkten pro geleisteter Arbeitsstunde zu ermöglichen.

Das ist ja eben das, was oben angesprochen wurde: die – eigentlich naturgemäße – Erwartung in die Maschinerie, menschliche Arbeit zu erleichtern oder einzusparen, und was, wie besprochen, im Kapitalismus nur zur Steigerung des Mehrwerts dient. In einer vernünftig organisierten Gesellschaft kann es jedoch zur Steigerung des allgemeinen Wohls dienen: durch die Verkürzung des Arbeitstags, d.h. durch die Reduktion der für die notwendige Arbeit aufgewendeten Zeit, so dass in gleichen Maß frei verfügbare Zeit vermehrt wird – also für den "Übergang vom Reich der Notwendigkeit zum Reich der Freiheit", wie Marx das ausdrückte.19 [19]

Es ist Schumacher zugute zu halten, dass er als einer der ersten Gesellschaftstheoretiker die Warnungen über die Grenzen des Wachstums ernst genommen hat – einerseits. Andererseits ist bedauerlich, dass er dabei zu gedanklichen Irrwegen verleitete, die bis heute nachwirken.

Er verfällt zudem oft genug in die Tautologien der moralischen Weltbetrachtung: Die Leute tun, was sie tun, weil sie so sind, dass sie das tun. Die Menschen setzen dem unheilvollen Wachstum nichts entgegen – warum? weil sie zu sehr aufs Wachstum fixiert sind. Sie haben eine20 [20]

Lebensweise, die sich auf den Materialismus stützt, d.h. auf einen Glauben an ständige und unbegrenzte Ausdehnung einer begrenzten Umwelt.

Die Liste der Stellen, wo er alles Übel in der falschen moralischen Haltung der Leute begründet sieht, ließe sich beliebig verlängern. Diese Art von "Gesellschaftskritik" hat es seit jeher gegeben und wird es weiterhin geben. Das spezifisch Neue – und zugleich der entscheidende Fehler – in Schumachers Theorie besteht darin, als Zentrum des Problems die Industrie zu benennen, unter Abstraktion von allen gesellschaftlichen Zwecken und Zusammenhängen, in welchen diese steht. Leider ist das dann auch der Punkt, womit er den weiteren Diskurs beeinflusst hat.

Die bei Schumacher formulierte Abstraktion von den kapitalistischen Zwecken der Industrie ist logisch gleichbedeutend damit, Kapital und Industrie gleichzusetzen – und in dieser Form wurden seine Gedanken von allen aufgegriffen, die man im engeren oder weiteren Sinn zu den sogenannten Postwachstums-Theoretikern rechnen kann.


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