Soja for Future: Warum Fleisch als Grundnahrungsmittel ausgedient hat
Acht Milliarden Menschen leben nun auf der Erde und müssen ernährt werden. Im brandenburgischen Müncheberg suchen Forscher nach dem Zukunftsrezept. Dabei spielen sie verschiedene Klimaszenarien durch.
Claas Nendel züchtet Pflanzen. Virtuelle Pflanzen. "Mein Gewächshaus ist der Computer", sagt der 50-jährige Professor. "Atmung, Photosynthese, Entwicklung, Ertrag – alles funktioniert wie bei einem richtigen Gewächs." Nur dass die Früchte dieser Arbeit nicht aus Getreidekörnern oder Kartoffeln bestehen, sondern aus mathematischen Formeln.
Nendels Ziel ist, die virtuelle Pflanze in der Zukunft wachsen zu lassen und zwar in einer Welt, in der die Menschheit keinen Klimaschutz betrieben hat – das sogenannte RCP 8.5-Szenrio des Weltklimarates. Um das dann zu vergleichen, was mit der Pflanze passiert, wenn jetzt doch mit strengen Emissionsminderungen begonnen würde.
"Zum Beispiel Soja", sagt Claas Nendel. Gerade hat er ein Forschungsprojekt am ZALF, dem Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, abgeschlossen, das die Anbaubedingungen dieser Hülsenfrucht in unseren Breiten untersucht. "Um acht Milliarden Menschen satt zu bekommen, müssen wir unsere Ernährung neu denken. Soja könnte dabei helfen!"
Eiweißgewinnung: Der Umweg über den Tiermagen ist ineffizient
Die Bohnen des Schmetterlingsblütlers enthalten nämlich bis zu 37 Prozent Eiweiß. Und die Qualität des Sojaproteins ist mit der des tierischen Eiweißes vergleichbar. Nendel: "Der Vorteil ist: Mit dem Sojaanbau kommen wir direkt zu Proteinen, ohne den ineffizienten Umweg eines Tiermagens." Für die Viehhaltung sei sehr viel Fläche nötig, "Fläche, die wir nicht mehr haben."
Der Nachteil: Sojapflanzen wachsen in Mitteleuropa nicht sehr gut. Während in Brasilien vor zwei Jahren 74 Millionen Tonnen Bohnen geerntet wurden, waren es in Deutschland ganze 90.000 Tonnen. Ein Grund dafür ist das gemäßigte Klima in unseren Breiten, die Sojabohne mag es sehr gern warm und trocken. Der andere Grund: Soja ist eine Kurztagpflanze. Also eine, die unter langen Sommertagen leidet.
Claas Nendel sitzt im Haus 45 auf dem Wissenschaftscampus der Stadt Müncheberg im Osten Brandenburgs, die sich - knapp 7.000 Einwohner – selbst "Forscherstadt" nennt. 1928 wurde hier das "Kaiser-Wilhelm-Institut für Züchtungsforschung" gegründet, eine der ersten Wissenschaftseinrichtungen, die sich der Kulturpflanzenzucht widmete.
Nach dem Zweiten Weltkrieg flohen die Mitarbeiter mit samt ihren Forschungsergebnissen nach Vogelsang bei Köln, die DDR musste neu anfangen, gründete am Standort die "Zentralforschungsanstalt für Pflanzenzucht". Heute beschäftigt das Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung 375 Wissenschaftler:innen, manche pendeln von Berlin, die Regionalbahn fährt im Stundentakt.
Während Haus 1 wilhelminische Großzügigkeit ausstrahlt, atmet Nendels Büro in Haus 45 DDR-Pragmatik. "Die roten Punkte", Nendel hat Teile der Soja-Studie auf einen Bildschirm projiziert, "belegen: Mit der Klimaerwärmung wird Sojaanbau Mitte des Jahrhunderts auch in Deutschland möglich".
Der Wissenschaftler hat dafür mit seinem Team virtuelles Soja im dann vorherrschenden Klima angebaut, selbst in Norddeutschland gedieh die Saat. Neue Züchtungen – etwa Sorten der Reifegruppe 0000 – würden zudem mit den langen Sommernächten besser zu Recht kommen. "Wir haben die Studie in dieser Woche zur Veröffentlichung eingereicht".
Claas Nendel hofft, dass die externen Gutachter seine Arbeit hoch einschätzen, für wichtig bewerten und zur Veröffentlichung freigeben. Denn die Fachzeitschrift ist weltweit eine der renommiertesten in der Kategorie Umweltwissenschaften. Und Forschungsergebnisse erst dann etwas wert, wenn sie publiziert sind.
Auch Linsen und Hirse könnten helfen
Traditionelle Nutzpflanzen werden dagegen mit steigender Klimaerhitzung Probleme bekommen. "Weizen zum Beispiel: Ist es bei seiner Blüte zu heiß, wird er steril". Die zunehmend heißer werdenden Frühlingsmonate sorgen dafür, dass keine Körner mehr entstehen. "Oder die zunehmend Trockenheit: Wir wissen nicht genau, wie wir damit umgehen sollen." Hirse könnte helfen, Linsen auch.
"Das spannende an diesen Kulturen ist: Sie hören einfach auf zu wachsen, wenn es zu trocken wird. Sie warten dann auf bessere Bedingungen", erklärt Nendel. Gerste oder Roggen haben solche Eigenschaften nicht, "sie gehen bei anhaltender Trockenheit in die Notreife".
Bauern sprechen dann vom "Schmachtkorn": kleine Körner mit wenig Inhalt. Linsen und Hirse sei eine Zeit ohne Nass dagegen egal, regnet es eines Tages wieder, würden solche Kulturen aus dem Wartezustand in den Wachstumszustand zurückwechseln. "Was fehlt, ist agronomisches Wissen", sagt Claas Nendel: "Wie sind die Fruchtfolgen? Wie kontrollieren wir die Verunkrautung? Welchen Pflanzenschutz brauchen wir? Wir müssen das ausprobieren!"
Deshalb züchten Nendel und sein Team nicht nur virtuelle Pflanzen. Hinter dem Bürokomplex Haus 62 auf dem Campus in Müncheberg liegt ein zwei Hektar großes Versuchsfeld, wo im Sommer ganz reale Schläge Mais, Soja, Lupinen oder Weizen zu erkennen sind, der Roggen an seiner grün-bläulichen Farbe.
Über den Saaten drehen sich dann Drachen im Wind um Vögel zu verscheuchen, die das Messergebnis verfälschen könnten, überall werden rote Plastik-Füchse aufgestellt gegen die Kaninchen. Aller 20 Meter steht ein Schaltkasten, "im Boden sind hunderte von Sensoren eingelassen", erzählt Claas Nendel.
Simulierte Trockenheit auf dem Versuchsfeld
Gärtner fahren mit Mobilen, die ein bisschen an Golfplatzbuggys erinnern, dann durch die Reihen, hinten mit landwirtschaftlichen Geräten bestückt. Es gibt eine mobile Beregnungsanlage und einen "Rainout-Shelter", eine Art Gewächshaus, die dafür sorgt, dass über einem bestimmten Versuchsfeld Trockenheit simuliert wird.
"Hier überprüfen wir, ob sich die virtuelle Pflanze richtig verhält", erklärt Claas Nendel. "Wir sagen dem Computergewächs, unter welchen Bedingungen es sich entwickelt und realisieren exakt die gleichen Bedingungen auf dem Versuchsfeld."
Stimmen Parameter wie Größe, Beschaffenheit, Gewicht, Wassergehalt bei der Computerpflanze mit dem Feldgewächs nach einer Wachstumsperiode überein, dann ist das mathematische Modell geeignet, künftige Verhältnisse zu simulieren. "Im anderen Fall muss ich nacharbeiten und die virtuelle Pflanze ‚umzüchten‘ – also realer machen."
Umzüchten im Labor findet in Müncheberg dagegen nicht statt. "Das machen beispielsweise die Kollegen im Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben, Sachsen-Anhalt", so Nendel. Der Professor für Landschaftssystemanalyse an der Universität Potsdam hält Pflanzenzüchtung für einen wichtigen Baustein in der Anpassung an den Klimawandel, "aber nicht für das Allheilmittel bei der Suche nach der Ernährungssicherheit der Zukunft".
Die Art der Bodenbearbeitung, unser Umgang mit dem knapper werdenden Wasser, die Art der Feldbestellung, wie eine Getreidekultur mit der Umwelt interagiert – diese Fragen sind genauso wichtig."
Nendel glaubt, dass schon in wenigen Jahren der 500-PS-Traktor Geschichte sein wird. "Stattdessen übernehmen paketgroße mobile Ernteroboter alle Dienste auf dem Feld: säen, Unkraut jäten, Düngen und Ernten. "Felder, so wie wir sie heute kennen, wird es Mitte des Jahrhunderts nicht mehr geben", davon ist Claas Nendel überzeugt.
"Es wird viel kleinteiliger angebaut. Auf sandigen Kuppen werden eher trockenresistentere Nutzpflanzen wie Roggen ausgesät, in den feuchteren Niederungen dagegen zum Beispiel Weizen." Autonome Erntemaschinen würden das Korn erkennen, zuordnen und sortenrein ernten.
Ein Versuchsfeld für diese neue Landwirtschaft haben sie in der Nähe von Müncheberg jetzt schon mal angelegt. Buchweizen gedeiht neben Gerste, Mais oder Triticale, einer Kreuzung aus Roggen und Weizen, in einem Schachbrett-Muster. "Patch Cropping" heißt diese Anbaumethode in der Wissenschaft und der Professor ist sicher: Das ist die Zukunft! Was noch fehlt, sind die Ernteroboter. Claas Nendel: "Aber das ist nur noch eine Frage der Zeit!"