Sondervermögen der Bundeswehr: Kritik wird schärfer
Nun auch ein Fall für den Rechnungshof: Milliarden-Versenken bei der Bundeswehr; Projekte außer Kontrolle und Pfusch als Routine.
Die mit seiner Regierungserklärung am 27. Februar 2022 von Kanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende hat durchaus historische Dimensionen – zumindest was die im Zuge dessen für die Bundeswehr ausgelobten Beträge anbelangt.
Zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Bundeswehr stand eine solche Investitionssumme – das Doppelte des bisherigen Verteidigungshaushalts – auf einen Schlag für Ausrüstung und Modernisierung unserer Streitkräfte zur Verfügung.
Oliver Burkhard, CEO von Thyssen-Krupp Marine Systems,
Handelsblatt vom 19.09.2022
Es folgte eine Grundgesetzänderung, um die Schuldenbremse zu umgehen, und ein am 1. Juli 2022 in Kraft getretenes Begleitgesetz zum Sondervermögen mitsamt einem angehängten Wirtschaftsplan. In ihm fanden sich erstmals – allerdings äußerst vage – Angaben, für was die 100 Milliarden Euro des Bundeswehr-Sondervermögens denn ausgegeben werden sollen (siehe "So rüstet Deutschland auf").
Allerdings weist dieser Wirtschaftsplan so viele Mängel auf, dass er nun auch vom Rechnungshof eine "harsche Breitseite" (Spiegel Online) abbekam. Für die für Mitte November vorgesehene Verabschiedung des Bundeshaushaltes 2023 soll der Wirtschaftsplan nun noch einmal überarbeitet werden. Ob sich das Verteidigungsministerium (BMVg) aber bequemt, die vom Rechnungshof monierten Punkte zu beheben, darf bezweifelt werden.
Schließlich deutet einiges darauf hin, dass es das BMVg hierbei vor allem darauf anlegt, noch mehr Geld für sich (und die deutsche Rüstungsindustrie) herauszupressen, um es in einem völlig ineffizienten Beschaffungsapparat zu versenken, der schon mit den bisherigen Summen nicht ansatzweise zurande kam.
Anatomie des Sondervermögens
Die Zeitenwende-Rede von Kanzler Scholz wurde augenscheinlich von langer Hand geplant – die Idee, ein dreistelliges Sondervermögen für die Bundeswehr auszuloben, wurde Monate vor dem russischen Angriff auf die Ukraine in die Welt gesetzt.
Bereits im Oktober 2021 soll laut Informationen von Spiegel Online ein sechsseitiges Argumentationspapier aus dem Verteidigungsministerium vorgelegen haben, in dem es konkret um ein "Sondervermögen Bundeswehr" in Höhe von 102 Milliarden Euro gegangen sein soll.
Sogar eine Liste mit konkret zu finanzierenden Projekten sei darin enthalten gewesen, die zumindest in Teilen mit dem übereinstimmen soll, was dann später auch im Wirtschaftsplan auftauchte. Leider wurde der Versuch, über das Informationsfreiheitsgesetz an das Dokument zu gelangen, abgeschmettert, indem es als "Verschlusssache mit dem Geheimhaltungsgrad 'VS-Nur für den Dienstgebrauch' (VS-NfD) eingestuft" wurde.
In der Zeitenwende-Rede vom 27. Februar 2022 waren es dann auch vor allem die finanziellen Ankündigungen, die für Furore sorgten. Im Zentrum stehen dabei bekanntlich vor allem zwei Ankündigungen: einmal, dass der Verteidigungshaushalt "mindestens" zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) umfassen solle. Und zweitens, dass ein Sondervermögen im Umfang von 100 Milliarden Euro geschaffen werde, um dieses Ziel zu erreichen.
Danach kam es zunächst am 20. Mai 2022 zur Einigung über den Bundeshaushalt 2022, der für dieses Jahr einen BMVg-Haushalt von 50,4 Milliarden Euro vorsieht. Darauf folgte der Kabinettsbeschluss zum Haushaltsgesetz für 2023 und die Finanzplanung bis 2026 vom 1. Juli 2022, der vorsieht, den offiziellen Militärhaushalt für diese Jahre auf 50,1 Milliarden Euro einzufrieren.
Für Berechnungen im Zusammenhang mit dem Sondervermögen werden allerdings laut dem "Gesetz zur Finanzierung der Bundeswehr und zur Errichtung eines "Sondervermögens Bundeswehr‘" (Begleitgesetz) vom 1. Juli 2022 die Nato-Kriterien herangezogen, die viele versteckte Kosten berücksichtigen, die sich der offizielle Haushalt buchstäblich spart (siehe "Nato-Kriterien: Versteckte Rüstungsausgaben").
Für 2022 schätzt die Nato die deutschen Ausgaben nach ihren Kriterien auf 55,6 Milliarden Euro (statt offiziell 50,4 Milliarden Euro) und für die kommenden Jahre ist von ähnlich höheren Beträgen auszugehen.
Je nach wirtschaftlicher Entwicklung werden sich zwei Prozent des BIP in den kommenden Jahren zwischen 73 und bis zu 85 Milliarden Euro bewegen – jährlich müssten dem Sondervermögen also mindestens 18 und 30 Milliarden Euro entnommen werden, um die Scholzsche Zwei-Prozent-Zusage einzuhalten.
Das passt dann auch relativ genau zum Zeitrahmen, der im Begleitgesetz zu finden ist, das besagt, das Sondervermögen müsse nach "maximal fünf Jahren" aufgebraucht sein – ein Umstand, der mit einiger Sicherheit noch zu erbitterten Streitereien führen wird, doch dazu später mehr.
Projekte außer Kontrolle
Wie bereits erwähnt, wurde dem Begleitgesetz zum Sondervermögen ein Wirtschaftsplan angehängt, der erstmals einen groben Einblick über die Rüstungsprojekte gab, die aus diesem Topf bezahlt werden sollen.
Es handelt sich dabei allerdings um ein "lebendes Dokument", das ständig angepasst werden kann und augenscheinlich auch wird. Was jedoch stets fehlt, sind konkrete Zeitpläne oder gar Beträge einzelner Vorhaben, lediglich Gesamtsummen für vier sich grob an den Teilstreitkräften orientierende Bereiche werden aufgeführt.
In der ersten Version des Wirtschaftsplans waren zunächst rund 40 Projekte zu finden, die sich auf die Dimensionen "Land" (16,6 Milliarden Euro), "See" (8,8 Milliarden Euro), "Luft" (33,4 Milliarden Euro) und "Führungsfähigkeit/Digitalisierung" (20,7 Milliarden Euro) verteilten.
Hinzu kommen noch die Posten KI-Forschung (500 Millionen Euro) und Bekleidung (2,2 Milliarden Euro), womit sich die Gesamtausgaben zwar "nur" auf etwas über 80 Milliarden Euro summieren. Ergänzt wird dieser Betrag noch durch bereits beschlossene und bislang im "normalen" Verteidigungshaushalt verbuchte Posten, die nun in das Sondervermögen verschoben werden sollen, womit das Budget – eigentlich – ziemlich genau ausgeschöpft ist ("Land": 16,6 Milliarden Euro; "See": 19,3 Milliarden; "Luft": 40,9 Milliarden Euro; "Führungsfähigkeit/Digitalisierung": 20,7 Milliarden Euro).
In jedem Fall wäre bei solchen Summen eine kritische parlamentarische Kontrolle wünschenswert – und tatsächlich suggeriert das Begleitgesetz, so etwas sei vorgesehen:
Der Deutsche Bundestag wählt für die Dauer einer Wahlperiode ein Gremium, das aus Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages besteht. Der Deutsche Bundestag bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise. Gewählt ist, wer die Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf sich vereint.
Hierüber konnte sich dann eine ganz große Rüstungskoalition aus SPD, Grünen, FDP und Union bei ihrer Abstimmung Ende September 2022 darüber verständigen, wen sie in diesem Gremium haben wollten – ihre sämtlichen Vertreter:innen – und wen eben nicht: u.a. die Abgeordnete der Linken, Gesine Lötzsch.
So dürfte sichergestellt sein, dass aus diesem Kreis keinerlei rüstungskritischen Stimmen zu hören sein werden, was angesichts der saftigen Kritik, die nun vom Rechnungshof kam, umso problematischer ist.
Rechnungshof: "Nicht nachvollziehbar"
Bereits Anfang September 2022 bestätigte das Fachportal Europäische Sicherheit & Technik den "lebendigen" Charakter des Wirtschaftsplans, der bereits zu diesem Zeitpunkt deutlich von der ersten dem Begleitgesetz angehängten Version abwich.
Das Verteidigungsministerium hat nach den Worten der Amtschefin Christine Lambrecht bereits 65 Vorhaben identifiziert, die aus dem 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr finanziert werden sollen. Davon seien 41 bereits haushalterisch "ganz klar abgesichert" und könnten jetzt zum Vertragsschluss gebracht werden, sagte die Verteidigungsministerin.
Europäische Sicherheit & Technik
Die Zahl der Projekte war also innerhalb weniger Monate nicht nur sprunghaft gestiegen, sie überstiegen nun auch das Gesamtvolumen des Sondervermögens, was nun eben auch Gegenstand der Kritik des Rechnungshofes ist. Er moniert einmal die unübersichtliche und intransparente alleinige Aufführung von Sammeltiteln ("Land", "See"…), die es ermögliche, Ausgaben innerhalb dieser Riesenposten nahezu beliebig hin und her schieben zu können.
Vor allem rügen die Rechnungsprüfer aber in ihrem Bericht an den Haushaltsausschuss, der unter anderem der FAZ zugespielt wurde, die nassforsche Überschreitung des Sondervermögen-Budgets:
Der Wirtschaftsplan für das "Sondervermögen Bundeswehr" weise erhebliche Mängel auf und bedürfe einer grundlegenden Überarbeitung, mahnt der Bundesrechnungshof. […]
Das Ministerium von Christine Lambrecht (SPD) habe 60 Ausrüstungsvorhaben identifiziert, die es mithilfe der Kreditermächtigungen finanzieren wolle. Wie das Ministerium in den laufenden Haushaltsberatungen eingestanden habe, würden aber schon die Gesamtausgaben für die bereits eingeplanten 40 Vorhaben der Bundeswehr den Rahmen von 100 Milliarden Euro überschreiten. Es sei deshalb "nicht nachvollziehbar", so die Rechnungsprüfer, wie bislang nicht eingeplante Vorhaben aus dem Sondervermögen Bundeswehr finanziert werden sollen.
FAZ, 9.10.2022
Ferner kritisierte der Rechnungshof auch, dass das BMVg keine Puffer für durch Inflation und höhere Zinsen steigende Beschaffungskosten vorsehe. Interessant ist auch der Verweis, das Ministerium habe zwar eine Überarbeitung des Wirtschaftsplanes bis zu der für Mitte November terminierten endgültigen Verabschiedung des Bundeshaushaltes 2023 zugesagt, gleichzeitig aber mehr oder weniger offen die Absicht bekundet, nicht ernsthaft etwas verändern zu wollen:
Wie das Verteidigungsministerium dem Bundesrechnungshof mitteilte, überarbeitet es aktuell gemeinsam mit dem Bundesfinanzministerium den Entwurf des Wirtschaftsplans. Die Kritik der Rechnungsprüfer wolle man ‚aufgreifen‘. Der Rechnungshof zeigt sich in seinem Schreiben an den Haushaltsausschuss jedoch skeptisch, inwieweit das Ministerium tatsächlich bereit ist, Abhilfe zu schaffen.
So blieben die Ausführungen zu den mangelhaften Strukturen des Wirtschaftsplans "vage". Auch hat das Ministerium bereits mitgeteilt, man beabsichtige die vom Rechnungshof als rechtswidrig erachtete Struktur von Sammel- und Einzeltiteln beizubehalten.
FAZ, 9.10.2022
Druck auf den Haushalt
Was treibt also das BMVg um, sich hier haushälterisch auf derart dünnes Eis zu begeben? Einiges, scheint die Absicht doch darin zu bestehen, trotz der bisherigen Beschlusslage, dass der offizielle Haushalt bis 2026 eingefroren wird, hierüber Druck zu erzeugen, auch an dieser Stelle den Etat aufzustocken. Der Spiegel dürfte hier den richtigen Riecher für das Kalkül des Ministeriums haben:
Der jetzt vorgelegte Plan des Wehrressorts wirkt, als ob man im Ministerium die kräftige Steigerung des Jahresetats als bereits beschlossen voraussetzt und Projekte startet, die mit den zusätzlichen Milliarden bezahlt werden sollen.
Spiegel Online, 11.10.2022
Aus BMVg-Sicht macht dieses Manöver durchaus Sinn: Bliebe es bei den gegenwärtigen Planungen, müsste das eigene Budget im Jahr 2027 von 55 Milliarden Euro (nach Nato-Kriterien) auf geschätzte 80 bis 85 Milliarden Euro angehoben werden, um auf zwei Prozent des BIP zu kommen. Und das müsste bei einer Einhaltung der Schuldenbremse auf Kosten eines Kahlschlags in anderen Haushalten geschehen.
Die Entscheidungen, ob es zu einer solchen Verstetigung der Zeitenwende kommen wird, dürften spätestens nach der Bundestagswahl im September 2025 getroffen werden. Dann ist das Sondervermögen aufgebraucht und die Frage einer dauerhaften Erhöhung der deutschen Militärausgaben um 25 bis 30 Milliarden Euro könnte im Raum stehen.
Doch bereits jetzt haben die üblichen Verdächtigen damit begonnen, der diesbezüglichen Debatte den Boden zu bereiten – das Institut der Deutschen Wirtschaft forderte beispielsweise schon Mitte August 20221:
Ab 2027 ist die Finanzierung zur Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels aber noch ungeklärt. Wenn das Sondervermögen bis dahin aufgebraucht ist und der Verteidigungshaushalt nicht erhöht wird, entsteht eine Lücke von rund 35 Milliarden Euro. Wenn diese nicht geschlossen wird, würde der Anteil am BIP auf rund 1,2 Prozent zurückfallen […].
Eine Klärung und eine entsprechende mittelfristige Finanzplanung ist nicht erst in der nächsten Legislaturperiode bedeutsam, sondern muss frühzeitig vorgenommen werden, um eine langfristige Planungssicherheit über 2026 hinaus zu erreichen. Ohne diese Verstetigung kann sich auch die Verteidigungswirtschaft nicht auf zukünftige Anforderungen einstellen. […]
Spätestens 2026 muss zur Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels ein um gut 60 Prozent vergrößertes reguläres Verteidigungsbudget zur Verfügung gestellt werden.
Allerdings versicherte Kanzler Olaf Scholz bei seiner Rede auf der Bundewehrtagung Mitte September, man stehe nicht nur ohne Wenn und Aber zum Zwei-Prozent-Ziel, sondern beabsichtige auch eine permanente Steigerung des Militärbudgets:
Bitte denken Sie nicht, dass das mit dem Sondervermögen jetzt nur eine Ausnahme ist und danach alles wieder so wird, wie zuvor. In den vergangenen knapp sieben Monaten seit Russlands Angriff auf die Ukraine ist bereits mehr geschehen als in den Jahren zuvor. Das Sondervermögen ist Realität. Auch meine Aussage, dass wir den Verteidigungshaushalt kontinuierlich auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern werden, gilt! Damit können Sie planen.
Olaf Scholz, Rede bei der Bundeswehrtagung, am 16.9.2022
Diese Aussagen einer "kontinuierlichen" Steigerung des BMVg-Haushaltes stehen in einem offensichtlichen Widerspruch zu den bisherigen Beschlüssen für die Jahre 2023 bis 2026. Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass das BMVg hier Druck erzeugen will, um den Worten des Kanzlers auch Taten folgen zu lassen.
Ob der "Apparat" diese Gelder überhaupt absorbieren kann, scheint dabei allerdings kaum jemanden zu interessieren.
Schwarzes Loch: Der Pfusch als Routine
Dass das Beschaffungswesen der Bundeswehr – vorsichtig formuliert – Mängel aufweist, ist weidlich bekannt. Die Defizite äußern sich in teils dramatischen Verzögerungen und Preissteigerungen, die sogar in regelmäßigen Berichten des Verteidigungsministeriums dokumentiert werden.
Im jüngsten Rüstungsbericht vom Juni 2022 wurden für sämtliche Beschaffungsvorhaben Verzögerungen von durchschnittlich 39 Monaten und Kostensteigerungen im Gesamtumfang von 16,9 Milliarden Euro ausgewiesen. Diese miserable Bilanz ist wohl kaum auf eine dennoch unentwegt herbeigeredete Unterfinanzierung der Bundeswehr zurückzuführen.
Schließlich stieg der Rüstungshaushalt von 32,5 Milliarden Euro (2014) auf jetzt 50,4 Milliarden Euro (2022) steil an. Dementsprechend gingen auch die Gelder für Rüstungsinvestitionen nach oben.
Waren im Jahr 2014 noch 3,82 Milliarden Euro für militärische Beschaffungen (plus Materialerhaltung (2,59 Milliarden), Betreiberlösungen (1,48 Milliarden) und Forschung und Entwicklung (854 Millionen) vorgesehen, wurden 2021 bereits 7,7 Milliarden Euro für diesen Posten bereitgestellt (plus Materialerhaltung (5,1 Milliarden), Betreiberlösungen (2,9 Milliarden) und Forschung und Entwicklung (1,6 Milliarden). Allein für rüstungsinvestive Maßnahmen sind 2022 nun 9,9 Mrd. Euro eingeplant, also noch einmal über zwei Milliarden mehr als im Vorjahr.
Von der fast sprichwörtlich gewordenen "chronischen Unterfinanzierung" der Bundeswehr kann also keine Rede sein. Eine der wenigen vernünftigen Stimmen, stammt in diesem Zusammenhang vom Friedensforscher Herbert Wulf2:
Es ist ein Mythos, dass die Bundeswehr schlecht ausgerüstet ist, weil sie zu wenig Geld bekommt. Mangelnde Finanzen sind nicht das eigentliche Problem, sondern verkrustete Strukturen bei der Beschaffung, strukturelle Defizite bei Entwicklung, Produktion und Beschaffung und erhebliche zeitliche Verzögerungen bei der Auslieferung der bestellten Waffen.
Ab diesem Jahr kommen nun auch noch die Gelder des Sondervermögens hinzu. In Addition von offiziellem Haushalt und Sondervermögen werden jedoch weder in diesem noch im kommenden Jahr die zwei Prozent erreicht – 2022 sollen lediglich 90 Millionen Euro aus dem Sondervermögen entnommen werden, im Jahr darauf werden nach aktuellen Planungen "nur" 8,5 Milliarden Euro zugeschossen.
Weil das Sondervermögen auf maximal fünf Jahre begrenzt sein soll, bleiben also für die Jahre 2024 bis 2026 über 90 Milliarden Euro, die zur Verfügung stehen – das heißt, zusätzlich rund 30 Milliarden Euro jährlich für Aufrüstungsvorhaben jedweder Art, plus eventuelle Steigerungen des offiziellen Etats, auf die das BMVg aktuell drängt.
Hier stellt sich nicht nur für friedensbewegte Kreise ernsthaft die Frage, wie das bereits heute heillos überfordere Beschaffungswesen solche Summen "verschaffen" möchte. In einer für Greenpeace erstellten Studie gelangte Michael Brzoska, Professor em. des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, im Mai 2022 zu dem Ergebnis, das marode Beschaffungswesen würde auch für das Sondervermögen Mehrkosten von 35 Prozent bis 54 Prozent verursachen, zwischen 26 Milliarden Euro und 35 Milliarden Euro würden so vollkommen verpuffen3:
Die Ursachen für Einschränkungen in der Wirtschaftlichkeit der Beschaffung von Großgerät sind […] vielfältig. Zu den wichtigsten Gründen zählen Nebenziele beteiligter Akteure, überbordende Erwartungen in die technischen Fähigkeiten von Waffensystemen und Defizite in der Durchführung von Beschaffungsvorhaben.
Zentrale Folgen sind Kosten erhöhende Bevorzugung regionaler und nationaler Rüstungshersteller, geringe Ausnutzung von Vorteilen internationaler Zusammenarbeit, überlange Herstellungszeiten und damit steigende Herstellungskosten sowie zusätzliche Kosten durch Reparaturanfälligkeit und andere Mängel bei beschafften Waffensystemen.
Michael Brzoska
Zwar ist es durchaus fraglich, ob sich die reibungslosere Beschaffung von Rüstungsgütern tatsächlich als "Verbesserung" bezeichnen lässt, die bislang diesbezüglich in die Wege geleiteten Maßnahmen legen aber ohnehin kaum nahe, dass es dazu kommen wird.
Sicher gibt es auch darüber hinaus viele gute Gründe, der Zeitenwende skeptisch gegenüberzustehen (siehe "Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sind nur der Anfang"). Die Tatsache allerdings, dass hier Unsummen in ein Schwarzes Loch gekippt werden, ist eine, die eigentlich auch abseits jeder parteipolitischen Couleur auf Kritik stoßen sollte.
Von Jürgen Wagner im Oktober 2022 erschienen:
Jürgen Wagner
Im Rüstungswahn
Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung
Neue Kleine Bibliothek 316, 212 Seiten, 16,90 EUR
ISBN 978-3-89438-791-4
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