Spaltung der Partei Die Linke: Akteure und Konfliktlinien jenseits von Wagenknecht
"Politikunfähige Clowns" und "Sektenanhänger": Ton im Richtungsstreit verschärft sich. Die Zerrüttung wirkt unheilbar. Es geht um mehr als die Personalie Wagenknecht.
Die Spaltung ist noch nicht offiziell, aber offensichtlich: Im Richtungsstreit der Partei Die Linke hat deren Bundesgeschäftsführer Tobias Bank dem "linkskonservativen" Lager um Sahra Wagenknecht am Montag "Anfeindungen" vorgeworfen, nachdem beispielsweise der Ex-Parteichef Klaus Ernst gegenüber dem Bayerischen Rundfunk von "politikunfähigen Clowns" innerhalb seiner Partei gesprochen hatte.
Die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen hatte gegenüber der Funke-Mediengruppe erklärt, die Parteiführung mache Politik "für eine schrumpfende Gruppe von Sektenanhängern". Ausgegrenzt würden all diejenigen, "die sich für eine Politik für die Mehrheit der Bevölkerung einsetzen", behauptete sie.
Wagenknecht selbst warf der Parteiführung vor wenigen Tagen vor, diese werbe vor allem um junge Klimaaktivisten und vernachlässige die Probleme normaler Bürger, die angesichts der desaströsen Ampel-Politik Angst um ihre Zukunft hätten.
Zur Einordnung dieses Vorwurfs könnte das gerade vom Parteivorstand veröffentlichte Sofortprogramm für Klimaschutz und Sozialen Zusammenhalt hilfreich sein. Wer Klimaschutz für problemlos verschiebbar hält, wird ihn hier wohl überbewertet finden. Allerdings wird darin sehr deutlich betont, dass die Akzeptanz für Klimaschutz von seiner sozialen Ausgestaltung abhängt. Hierzu mangelt es auch nicht an Vorschlägen.
Doch nicht nur die prominente Bundestagsabgeordnete und Ex-Fraktionschefin Wagenknecht hat sich mit dem Vorstand ihrer Noch-Partei Die Linke überworfen. Ihr Name wird in diesem Zusammenhang aber am häufigsten genannt – und sie bekommt besonders oft Gelegenheit, die Positionen des "linkskonservativen" Lagers in Talkshows und Interview mit bürgerlichen Medien zu vertreten.
Sozialer Klimaschutz – geht das oder kann das weg?
Das ärgert unter anderem Parteivize Lorenz Gösta Beutin, der für die Mehrheit des Vorstands sprechen kann: "Unsere Politik wird eben nicht bei Lanz oder in der Welt oder in der Bild-Zeitung gemacht", unterstrich er vergangene Woche auf einer Pressekonferenz in Berlin. Dort hatte er zunächst das mit 100 Milliarden Euro bezifferte Sofortprogramm für Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt vorgestellt. Demnach sollen zum Beispiel die Ticketpreise im ÖPNV schrittweise auf null gesenkt werden.
Nachfragen der Medienschaffenden bezogen sich dann aber vor allem auf die Zerwürfnisse innerhalb seiner Partei – konkret die Ankündigung der Wagenknecht-Verbündeten und Ko-Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Amira Mohamed Ali, sie werde nicht mehr für dieses Amt kandidieren, weil es ihr immer schwerer falle, den Kurs der Parteiführung in der Öffentlichkeit zu vertreten. Auch kritisierte Mohamed Ali die Aufforderung des Vorstands an Wagenknecht, ihr Bundestagsmandat niederzulegen.
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Der Vorwurf an die beliebte Talkshow-Politikerin lautet, Wagenknecht nutze Ressourcen der Partei, um die Gründung einer eigenen vorzubereiten. Wagenknechts Verbündete halten entgegen, das Mandat sei nicht Eigentum der Partei, nur weil sie es auf deren Liste gewonnen habe. Ko-Parteichefin Janine Wissler hatte Mitte Juli im ARD-Sommerinterview die Aufforderung an Wagenknecht verteidigt und deutlich gemacht, dass sie sich einen "Neustart" der Partei besser ohne Wagenknecht vorstellen kann.
An zwei weiteren Akteuren lässt sich aber die Unvereinbarkeit der Vorstellungen beider Lager von Energie- und Wirtschaftspolitik besonders deutlich aufzeigen: Neben Beutin, der in der vergangenen Legislaturperiode klima- und energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion war und eng mit der Klimagerechtigkeitsbewegung kooperierte, ist das der Schweinfurter Bundestagsabgeordnete und Ex-Parteichef Klaus Ernst, der öffentlich damit liebäugelt, sich gegebenenfalls einem Wagenknecht-Parteiprojekt anzuschließen.
Ernst lässt keinen Zweifel daran, dass ihm die Klimabewegung suspekt ist und dass er vor allem Sympathiepunkte bei Beschäftigten der Autoindustrie sammeln will. Der frühere IG-Metall-Funktionär saß als solcher unter anderem im Aufsichtsrat von Porsche und schaffte sich auch privat ein solches Auto an, was ihm den Spitznamen "Porsche-Klaus" einbrachte. Die Proteste gegen die Internationale Automesse IAA Mobility 2021 in München kritisierte er öffentlich, während sich zahlreiche Mitglieder seiner Partei daran beteiligten.
Dass die Bundestagsfraktion Ende 2021 ausgerechnet Klaus Ernst für den Vorsitz des Klima- und Energieausschusses nominiert hatte, war damals für Beutin Anlass genug, den Rücktritt der Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali zu fordern. Auch vergangene Woche betonte Beutin, dass er die Entscheidung für Ernst als Ausschussvorsitzenden für "verheerend" halte.
Grundlagen des Wohlstands: Ökosysteme oder Autoindustrie?
Die Konfliktlinie ist klar: Ernst vereidigt den Wohlstand Deutschlands auf der alten Grundlage, die er solange wie möglich erhalten will, während Beutin und der Parteivorstand betonen, dass nur eine zügige Energie- und Verkehrswende sowie eingehaltene Klimaschutzziele den Wohlstand dauerhaft sichern können.
Soziale Gerechtigkeit schreiben sich dabei beide Lager auf die Fahnen. Die "Linkskonservativen" sehen allerdings durch die vom Parteivorstand geforderte Einhaltung der Klimaschutzziele und Proteste gegen Automessen Industriearbeitsplätze gefährdet.
Die IAA hat den Sinn, dass gerade die neuen Fahrzeuge auch Käufer finden. Das sichert Arbeitsplätze und damit die ökonomische Existenz von Millionen von Familien nicht nur in Deutschland.
Klaus Ernst im September 2021
Ernst spielt hier auf Elektroautos an. Der Parteivorstand will aber mit Blick auf Strombedarf, Ressourcenverbrauch und Lebensqualität in den Städten keine reine Antriebswende, sondern deutlich weniger motorisierten Individualverkehr. Dazu zeigt er Beschäftigungsalternativen auf:
Das Linke-Programm für eine sozialökologische Verkehrswende bietet einen Ausweg aus der Krise der Autoindustrie, der den Belegschaften soziale Status- und Einkommensgarantien gibt.
Durch eine Investitionsoffensive in den Ausbau der Bahninfrastruktur und des ÖPNV können in den nächsten Jahren über 200.000 gut bezahlte Industriearbeitsplätze geschaffen werden. Vorrang hat die Produktion von Fahrzeugen für kollektive Mobilitätskonzepte wie E-Busse, Züge und Straßenbahnen.
Aus dem Sofortprogramm für Klimaschutz und sozialen Zusammenhalt der Partei Die Linke
Die Politik der Ampel-Regierung wird vom Parteivorstand auch und gerade deshalb kritisiert, weil ihre derzeitigen Pläne nicht ausreichen, um die selbst gesetzten Klimaschutzziele für 2030 einzuhalten oder gar – wie versprochen – Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Halbwegs intakte Ökosysteme als Grundlage jedes Wohlstands scheinen in deren Rechnung nicht vorzukommen. Was droht, wenn alle Regierungen weltweit so handeln, hat UN-Generalsekretär als "Klimahölle" bezeichnet.
Wir sind auf dem Highway zur Klimahölle – mit dem Fuß auf dem Gaspedal.
UN-Generalsekretär António Guterres im November 2022
Haltung zu Außen- und Friedenspolitik durchmischt die Lager
Guterres ist nicht irgendwer. Bisher waren sich alle in der Linkspartei einig, dass die Vereinten Nationen in der Internationalen Politik eher zu wenig als zu viel Gehör finden – zumindest im Vergleich zur Nato. Doch gerade außenpolitische Fragen und das Verhältnis zur Nato durchmischen die Lager.
Viele, die Wagenknecht in Sachen Klimapolitik und Migration kritisieren und zum Teil vehement für offene Grenzen eintreten, sahen sich Anfang des Jahres gezwungen, Wagenknecht zu verteidigen, als sie wegen ihrer antimilitaristischen Positionen im "Manifest für Frieden" in der bundesdeutschen Politiklandschaft über Parteigrenzen hinweg angefeindet wurde.
Einigen, die den Parteivorstand in Sache Ökologie und Migrationspolitik unterstützen, ist er in Sachen Antimilitarismus zu uneindeutig. In diesem Punkt, sagen sie, sei nicht Wagenknecht das Problem.
Unter anderem Ex-Parteivorstandsmitglied Thies Gleiss von der Strömung Antikapitalistische Linke (AKL) setzt sich diesbezüglich zwischen alle Stühle. Die Nominierung der parteilosen Seenotretterin und Klimaaktivistin Carola Rackete für das Spitzenteam der Linken zur EU-Wahl, die das Wagenknecht-Lager heftig kritisiert, müsste zwar inhaltlich weitgehend in seinem Sinn gewesen sein. Auch er kritisierte aber das Prozedere der Nominierung durch den Parteivorstand, das an wichtigen Parteigremien vorbeigegangen sei – noch dazu in Ermangelung eines fertigen EU-Wahlprogramms der Linken. Deren Verhältnis zur EU als solcher sei nach wie vor unklar.
Laut Bundesgeschäftsführer Tobias Bank ist "so gut wie entschieden", dass es zur Klärung des Richtungsstreits und der Konsequenzen einen Parteikonvent geben wird. Wann und in welcher Form die Beratungen stattfinden sollen, konnte er am Montag noch nicht sagen.
Einen baldigen Parteikonvent fordert auch der Leipziger Bundestagsabgeordnete Sören Pellmann. Er ruft trotz offensichtlich kaum vereinbarer Positionen seine Partei insgesamt zur Zusammenarbeit mit Wagenknecht auf. "Sahra ist für uns unverzichtbar", sagte er mit Blick auf die Popularität der Politikerin gegenüber der Springer-Zeitung Die Welt.
Ein Grund, warum Pellmanns Stimme ein gewisses Gewicht hat: Er holte bei der Bundestagswahl 2023 eines von drei Direktmandaten, die der Partei Die Linke umgangsprachlich "den Arsch gerettet" haben. Sonst wäre sie mit 4,9 Prozent nicht mehr im Bundestag vertreten. Im Fall einer Spaltung würde Die Linke dort ihren Fraktionsstatus und damit Einflussmöglichkeiten verlieren, die Abgeordneten würden aber ihre Mandate zunächst behalten.