"Sputnik V wurde ignoriert und verunglimpft"
Pikst auch mit Sputnik V: Linken-Politiker Dehm während der Impfung in Moskau. Bild: ria.ru
Der Abgeordnete Diether Dehm über seine Covid-Impfung in Moskau, das Verhältnis zwischen der EU und Russland sowie die Wiedererlangung seiner Grundrechte
Herr Dehm, Sie haben sich am Montag dieser Woche in Moskau den Covid-Impfstoff Sputnik V verabreichen lassen. Wie geht es Ihnen?
Diether Dehm: Keine Spur von Nebenwirkungen. Ich habe am Montagabend sogar in Moskau seit Monaten mein erstes frischgezapftes deutsches Bier getrunken.
Ihre Impfreise wurde von russischer Seite medienwirksam begleitet. Auf einem Video wirken Sie bei der Injektion etwas angespannt. Hatten Sie doch Angst vor der Spritze?
Diether Dehm: Weil ich bei jedem Pik angespannt bin, habe ich zur Ablenkung beim Einstich vor mich hingesprochen: "Es lebe die russisch-deutsche Zusammenarbeit!"
In Berlin wird die Priorisierung für das Vakzin von Astrazeneca diese Woche aufgehoben. Wie kamen Sie auf die Idee, sich dennoch in Russland impfen zu lassen?
Diether Dehm: Ich hätte mich im Bundestag auch auf Steuerzahlerkosten mit dem US-Präparat von Moderna impfen lassen können. Aber Sputnik V bietet nach Angaben des Gamaleja-Forschungszentrums für Epidemiologie und Mikrobiologie in Moskau eine höhere Immunisierung gegen Mutanten und hat geringere Nebenwirkungen. Dafür habe ich also lieber alles selbst bezahlt.
Ging es Ihnen aber um Ihre Gesundheit oder um eine politische Stellungnahme?
Diether Dehm: Ich bin als promovierter Psychosomatiker weder ein notorischer Impfgegner noch -fan. Ein Marxist ist nun mal pragmatischer. Aber die geostrategische und aktienorientierte Niedertracht, mit der die EU und neoliberale Politiker "den Russen jetzt so richtig wehtun" wollen, wie es Joschka Fischer und Alexander Lambsdorff kürzlich bekannt gaben, haben durchaus zu meiner politischen Reaktion beigetragen.
Im September 2020 wurden Ablauf und Ergebnisse der Phase-I/II-Studien für den Sputnik-V-Impfstoff im britischen Fachmagazin The Lancet veröffentlicht. Demnach sind keine schweren Nebenwirkungen zu erwarten. Die Studien wurden aber in Zweifel gezogen.
Diether Dehm: Sie werden sehen, dass am Ende die Slowakei auch Sputnik impfen wird. Dortige Bedenken hängen offenbar vor allem an kommerziell auseinanderdriftenden Vertragsinterpretationen. Immerhin hat die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Professorin Falk, das Sputnik-Konzept eine "eigentlich geniale Idee" genannt.
Sie sagte im Interview mit der Tageszeitung Die Welt, auf das Sie sich beziehen, aber auch, dass sie noch "viele Fragen" zu Sputnik V habe und die "Studiendaten nicht optimal präsentiert" worden seien.
Diether Dehm: Ja, aber auch der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission, Thomas Mertens, hatte zuvor von einem guten Impfstoff gesprochen, der wohl auch in der EU zugelassen werde. Die russischen Forscher seien sehr erfahren mit Impfungen und Sputnik V clever gebaut. Wichtig ist ja, dass anders als bei Astrazeneca zwei unterschiedliche Adenoviren zum Einsatz kommen. Dadurch können mögliche Wirksamkeitsverluste verhindert werden.
Läuft eine Verschwörung gegen den russischen Impfstoff Sputnik V?
Warum, denken Sie, stellen die russischen Entwickler die verlangten Daten nicht zur Verfügung?
Diether Dehm: Lassen Sie mich anders antworten: Vor einigen Monaten hat San Marino die EU wegen der damals dramatischen Erkrankungslage um Hilfe angefleht, aber von Ursula von der Leyen die kalte Schulter gezeigt bekommen. Dann kam durch Vermittlung meiner Genossen im Europarat ein Kontakt mit den Sputnik-Herstellern zustande. Heute haben dort 74 Prozent der Bevölkerung über 16 Jahren zumindest eine Dosis eines Covid-Impfstoffs erhalten, wobei 90 Prozent dieser Impfungen mit Sputnik V durchgeführt wurden - und alle Läden sind wieder offen.
Wir haben über die Einschätzungen der Biologin Falk und des Virologen Mertens gesprochen. Werden bei Sputnik V strengere Maßstäbe angelegt als bei Vakzinen westlicher Entwickler?
Diether Dehm: Die Phase-III-Studien wurden doch bei allen Impfstoffen verkürzt. Was bei der neuartigen mRNA-Methode schwerer ins Gewicht fällt als bei traditionell erprobten Vektorvakzinen. Ein weiterer Unterschied: Die Entwicklung des Biontech-Stoffs wurde zu über 80 Prozent vom Steuerzahler finanziert, aber die gigantischen Börsengewinne dann privat eingefahren. Und das bei enormen Lieferengpässen im Winter durch zu laxe Verträge.
Zu unserer gemeinsamen Zeit bei den Jusos nannten Olaf Scholz und ich so etwas noch unisono "staatsmonopolistischen Kapitalismus". Der Biotech-Impfstoff hätte nach einem Buyout öffentlich-rechtlich vermarktet werden müssen.
Laut dem Vorsitzenden der Duma, Wjatscheslaw Wolodin, ist "die Frage von Sputnik eine Frage der großen Politik und des großen Geldes". Die USA versuchten, ihren Impfstoff durchzusetzen und täten alles, um den Markteintritt anderer Impfstoffe zu verhindern. Eine Verschwörungstheorie?
Diether Dehm: Die schlimmste Verschwörungslüge war doch die von der russisch-kommunistischen Weltverschwörung, die jetzt vor 80 Jahren zum Weltkrieg mit 27 Millionen getöteten Sowjetmenschen führte …
… was ein bisschen vom Thema wegführt.
Diether Dehm: Mich bewegt das aber zeitlebens. Und nicht ohne Grund offenbar, denn heute führt die EU - als nur ein Teil von Europa - gegen den russischen Teil von Europa einen Handelskrieg. Und so vorschnell, wie damals der Kreml für Anschläge auf den Doppelagenten Sergei Skripal sowie dessen Tochter und dann auf den Oppositionellen Alexei Nawalny von einigen deutschen Medien und Außenminister Heiko Maas vorverurteilt wurde, hat man Sputnik V vier Monate lang ignoriert. Anfang August vergangenen Jahres wurde das Präparat dann in deutschen Medien verunglimpft, wobei "Putin-Murks" noch das Harmloseste war.
Auf politischer Ebene treiben die Grünen diese Kampagne an. Im Hintergrund stehen, wie ich meine, durchaus auch handfeste wirtschaftliche Interessen, dazu zählt auch die Hoffnung, man könne das teure und dreckige Fracking-Gas doch noch anstelle von Nord-Stream-II-Gas nach Europa exportieren.
Dehm kündigt bei Verweigerung von Grundrechten nach Sputnik-Impfung Klage an
Thüringens Regierungschef Bodo Ramelow, der wie Sie der Linken angehört, hat sich für eine Zulassung von Sputnik V ausgesprochen. Zugleich sah auch er die Entwickler in der Pflicht, Daten zu liefern. Haben Sie das Thema vor Ort angesprochen?
Diether Dehm: Auch wenn in der Sputnik-Frage der bayerische CSU-Ministerpräsident Markus Söder ausnahmsweise meinem Freund Bodo Ramelow politisch nahekommt, habe ich natürlich nicht den letzten Einblick, wer Recht hat: die Russen, die sagen, alle notwendigen Informationen geliefert zu haben. Oder ihre Gegner bei der EMA …
… also der Europäischen Arzneimittelagentur, die – ob in Gegnerschaft zu Russland oder nicht – nach feststehenden Kriterien prüft. Hätten Sie in Moskau denn nicht konkret zur Lösung des Impfstreits beitragen können?
Diether Dehm: Naja, als einzelner MdB ist das nicht ganz so einfach. Meine Impfung erfolgte nicht ohne Grund in einer privaten Klinik. Fragen an den russischen Staat müssen offiziell, etwa über Ministerien, meine Fraktion oder die Botschaft laufen.
Seit wenigen Tagen werden vollständig immunisierten hierzulande nach der jüngsten Impfverordnung wieder mehr Grundrechte zugestanden. Das gilt aber nicht für Sputnik V und also auch nicht für Sie. Empfinden Sie das als gerecht?
Diether Dehm: Nein! Grundrechte sind keine Geschenkartikel. Sollte mir der Genuss meiner Grundrechte trotz meiner Impfung weiter verwehrt werden, werde ich gegen eine solche etwaige Entscheidung natürlich klagen. Zumal Sputnik V bereits in 64 Länder mit einer Gesamtbevölkerung von mehr als 3,2 Milliarden Menschen zugelassen ist.
Aber ich habe gerade in dem Buch "Herrschaft der Angst" beim Promedia-Verlag über einen anderen, sträflich vernachlässigten Komplex veröffentlicht: Weit über 80 Prozent Erfolge gegen Viren leistet nämlich unser körpereigenes Immunsystem und sorgt für ausbleibende oder milde Krankheitsverläufe. Die T-Leukozyten im peripheren Blutbild werden aber durch soziale Faktoren wie Berufsstress, späten Renteneintritt, schlechte Luft, Wohnverhältnisse und Ernährung bis zu 50 Prozent gemindert.
Wenn der Fokus also mehr auf unsere Immunkräfte und das Gesundheitswesen gerichtet und hier nur eine Steigerung von zehn Prozent erreicht werden könnte, würde das weltweit hunderttausende Erkrankungen weniger und damit auch viele gerettete Menschenleben bedeuten. Der Impf- und Lockdown-Zank verdrängt diese in Wahrheit hochpolitischen Aspekte im öffentlichen Diskurs.