Staatsgeld für NGOs: Union stellt 551 unbequeme Fragen
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Parlamentarische Anfrage löst heftige Reaktionen aus. CDU/CSU wird Angriff auf Demokratie vorgeworfen. Aber: Wer kontrolliert die Verwendung der Steuergelder?
Ausgerechnet Fragen an die Bundesregierung haben in den letzten Tagen für große Empörung in der Öffentlichkeit gesorgt – insbesondere bei einigen professionellen Fragestellern: Journalisten.
In einer sogenannten "Kleinen Anfrage" will die Unions-Fraktion des noch amtierenden Bundestags mehr über die staatliche Finanzierung von Vereinen und anderen Körperschaften wie gemeinnützigen GmbHs wissen. Sie werden heute zumeist als NGO bezeichnet (Non-governmental organization, zu Deutsch: Nichtregierungsorganisation).
551 Fragen
551 Fragen stellt die Union (BT-Drucksache 20/15035), wobei diese für die einzelnen Organisationen stets recht ähnlich sind.
So soll die Regierung zur Correctiv gGmbH unter anderem darlegen, ob diese aus Sicht der Bundesregierung ausschließlich gemeinnützige Zwecke verfolgt, wie die gemeinnützigen Tätigkeiten definiert und von parteipolitischer Einflussnahme abgegrenzt werden, ob sie explizit für oder gegen eine Partei geworben habe, wie groß der Anteil staatlicher Förderung am Correctiv-Budget ist und welche personellen Verbindungen es zu politischen Akteuren gibt.
"Messerstiche ins Herz der Demokratie"
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) bezeichnete die Fragen als "551 Messerstiche ins Herz der Demokratie".
Die Parallelen zu amerikanischen Ereignissen sind offensichtlich. Und damit zeigt diese Fraktion ihr wahres Gesicht. Was kommt als nächstes? Ein Gesetzentwurf, nach dem nur noch staatlich gefördert wird, wer sich nicht wagt, unsere Verfassung zu verteidigen? Wer den regierenden Parteien gefällt? Hatten wir alles schon. Wollen wir nicht wieder.
Mariana Friedrich und Ute Korinth, DJV
Die taz sieht in der Anfrage einen "Frontalangriff auf zivilgesellschaftliche Organisationen" und zitiert den Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, Timo Reinfrank, der in den Fragen einen "Einschüchterungsversuch" sieht, den er entschieden zurückweise.
Spiegel-Journalistin Melanie Amann sah im Talk mit Markus Lanz durch die Fragen Teile des Regierungsapparats lahmgelegt.
Wie andere betroffene NGO zeigt sich auch Correctiv brüskiert, hat allerdings auf sie betreffende Fragen öffentlich geantwortet.
Co-Chefredakteurin Anette Dowideit sagte laut MDR:
Sie (CDU/ CSU, Einf. d. A.) zündelt an den Grundfesten der Demokratie, denn diese Narrative von den vermeintlich gefährlichen staatsgesteuerten oder grün gesteuerten NGOs, die kommen eigentlich von der AfD.
Anette Dowideit
"Die Ungewählten"
Dabei hatte Dowideit selbst noch vor sechs Jahren ein sehr langes Stück geschrieben über "die Ungewählten", die an Gesetzen mitwirken und "teils starke Ideologien in die Politik" bringen, dabei aber 15 Milliarden Euro aus Steuermitteln erhalten (Online-Titel: "Die guten Meinungsmacher, die niemand wählt").
Welche Organisationen allerdings diese 15,5 Milliarden Euro erhalten und was sie mit dem Geld genau tun, lässt sich kaum nachvollziehen. (...)
Selbst für Bundestagsmitglieder ist es schwierig, sich einen Überblick zu verschaffen. Ein paar von ihnen, etwa von FDP und Linken, versuchen derzeit, die Bundesregierung zur Auskunft zu zwingen. Sie schreiben Kleine Anfragen zu den Fördersummen für einzelne Organisationen, auf die die Bundesregierung antworten muss.
Christina Brause und Anette Dowideit, Welt, 15. Mai 2019
Die Finanzen und Kampagnen von zwölf Organisationen werden in dem Text ausführlicher unter die Lupe genommen, darunter die Amadeu Antonio Stiftung und die Deutsche Umwelthilfe, die beide auch Gegenstand der aktuellen Unions-Anfrage sind.
Dabei bezieht sich die CDU/CSU-Fraktion explizit auf einen neuen Beitrag in der Welt, in dem es um die mögliche Mitfinanzierung von "Demonstrationen gegen Rechts" durch die Regierung geht.
Auch der Journalisten-Verein Netzwerk Recherche empörte sich über die parlamentarische Anfrage und sieht sie "als einen Versuch, Zweifel an der Gemeinnützigkeit unseres Vereins zu säen".
Das parlamentarische Fragerecht ist ein wichtiges Instrument, um das Handeln der Regierung zu kontrollieren. Auch in der journalistischen Recherche sind die Antworten der Bundesregierung auf parlamentarische Anfragen eine wichtige Quelle.
Es ist jedoch sehr fraglich, ob eine Kleine Anfrage mit insgesamt 551 Fragen kurz vor dem Ende der Legislaturperiode wirklich sachgerecht ist.
Fragen wie "Werden von dem Netzwerk Recherche e. V. gezielt politische Gegner diskreditiert oder diffamiert (…)" zeugen von Unkenntnis über das Tätigkeitsfeld von Netzwerk Recherche und erwecken einen falschen Eindruck von der gemeinnützigen Arbeit unseres Vereins.
Netzwerk Recherche e.V.
Den zwei Tage später erschienenen Newsletter des Netzwerks eröffnet Barbara Junge (Co-Chefredakteurin der taz) dann mit folgenden Worten, die nicht ganz parteipolitisch neutral klingen:
Liebe Kolleg:innen, ihr seid wahrscheinlich auch noch dabei, das Wahlergebnis zu verdauen. Nichts daran ist überraschend. Aber zehn Millionen Menschen, die denken, Rechtsextremismus sei doch irgendwie eine gute Idee, ist schon ein moralischer wie politischer Tiefschlag. Ich pauschalisiere hier, zugegeben.
Viele wählen die AfD nicht, weil sie Rechtsextremismus gut finden. Nur muss man leider festhalten: Sie finden Rechtsextremismus auch nicht schlimm genug, um nicht die AfD zu wählen.
Netzwerk Recherche
Man kann es schon merkwürdig finden, dass Abgeordnete überhaupt erst Anfragen an die Regierung schreiben müssen, um zu erfahren, wohin das Steuergeld verteilt wird. Schließlich gilt die Entscheidungsgewalt über den jeweiligen Haushalt als ein Königsrecht der Parlamente.
Dass es dabei um eine schwer zu überschauende Zahl von Einzelpositionen gehen mag, ist zwar richtig.
Staatsausgaben und das Interesse der Öffentlichkeit: Wer weiß Bescheid?
Aber wie soll ein Parlament einen angemessenen Haushalt beschließen, wenn es dessen Einzelpositionen gar nicht kennt? Wie sollen Abgeordnete zwischen einer Reduzierung von Staatsausgaben und der Erhöhung von Steuern entscheiden, wenn sie gar nicht wissen, was bisher mit dem vielen Geld geschieht?
Der im Bundesfamilienministerium geführte Etat gegen Extremismus wurde zwischen 2009 und heute von 25 auf fast 200 Millionen Euro erhöht, wie die ehemalige Ministerin Kristina Schröder schreibt, weshalb "fast niemand aus der Förderung" fliege.
Neben der Höhe staatlicher Zuschüsse oder sogar kompletter Kostenübernahmen privater Akteure darf sich die Öffentlichkeit auch für die konkrete Verwendung ihres Geldes interessieren. Denn gerade hier gibt es großes Konflikt- und Diskussionspotential, was auch schon der Welt-Artikel von 2019 thematisiert.
Denn die Zuwendungsempfänger sind in weiten Teilen frei zu entscheiden, wie genau sie das Geld verwenden, beispielsweise wo sie etwas einkaufen, wen sie mit Dienstleistungen beauftragen oder wen sie anstellen.
Während die Allgemeinheit oft große Teile bis alles finanziert – beispielsweise bei Kindergärten –, hat sie weder Mitspracherecht noch ein Auskunftsrecht gegenüber den privat organisierten Betreibern, ob dies nun die Caritas oder eine Eltern-Initiative ist.
Andreas Rosenfelder fordert in der Welt, "die undemokratische Macht der NGOs zu brechen":
Tatsächlich sind die regierungsnahen Strippenzieher der Anti-CDU-Proteste nur die Spitze eines politischen Eisbergs. Denn die NGOs sind längst ein Staat im Staate, ein Schattenstaat oder "Deep State", wie er im Buche steht.
Sie durchdringen jene hochsensiblen Gesellschaftsbereiche, in denen sich eigentlich das freie Spiel der demokratischen Willensbildung jenseits staatlicher Einflussnahme zutragen sollte. Und sie verhindern als militante Diskursblockierer und Status-Quo-Verteidiger dringend notwendige Reformen – sei es in der Migrationspolitik, in der Sozialpolitik oder in der Energiepolitik.
Andreas Rosenfelder
Len Sander kommentiert in der Berliner Zeitung:
Keine Organisation hat ein Anrecht auf Alimentierung durch den Staat, so ehrenvoll ihre Ziele auch erscheinen mögen.
Die Debatte: Eine Selbstverständlichkeit
Ein Anrecht gibt es sicherlich nicht. Aber der Souverän darf nach dem Subsidiaritätsprinzip natürlich NGO beauftragen, gesellschaftliche Aufgaben zu erledigen. Dazu muss er aber nicht erst im Nachhinein erfahren, was mit seinem Geld gemacht wurde. Der Souverän muss die gewünschten Aufgaben festlegen.
Eine Debatte über steuerbegünstigte und steuerlich direkt bezuschusste Organisationen sollte daher kein Eklat sein, sondern eine Selbstverständlichkeit. Und der Journalismus sollte durch breite Recherchen und die Abbildung der ganzen Meinungsvielfalt diese Debatte bereichern.
Transparenz-Hinweis: Der Autor ist seit über 20 Jahren Mitglied im Netzwerk Recherche.