Staatsschulden sind eine Frage nach dem Demokratieverständnis
Seite 2: Die sieben W
Wer unter Demokratie mehr als die Herrschaft einer Mehrheit versteht, wird diese Fragen auch auf alle demokratischen Aushandlungsprozesse beziehen wollen und sie vielleicht wie vorgeschlagen noch erweitern.
Im Folgenden sei diese Fragenreihung durch Umstellung als VW7 abgekürzt (Von Wem Will Wer Was Wofür Wie Warum?).
Wer?
Schon die erste Frage nach dem "Wer" wird regelmäßig nicht beantwortet bzw. durch die nicht aufgelöste Variable "Staat" ersetzt, was unsinnig ist, weil "der Staat" gar nichts wollen und tun kann, sondern nur Menschen, die "ihn" bzw. demokratischer "den Souverän" - also die Bürgerinnen und Bürger - z.B. als Abgeordnete vertreten.
Tatsächlich ist der "Wer" aber regelmäßig auch nicht ein Politiker (von Spezialfällen wie seiner Diäten genannten Vergütung abgesehen). Er tritt nur als Anwalt anderer auf. In den Worten des Grundgesetzes:
Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
Art. 20 Abs. 2 GG
Bevor also überhaupt über irgendwelche Schulden und ihre juristischen Regelungen gesprochen werden kann, muss klar sein, wer sie fordert (oder auch Steuern, Ge- und Verbote etc.). Das mag beim großen Schlagwort "Klimaschutz" auf den ersten Blick noch einfach erscheinen (Antwort: die große Mehrheit der Bevölkerung), tatsächlich ist es aber weit diffiziler.
Denn tatsächlich geht es beim "Klimaschutz" um die Verringerung von anthropogener Klimaveränderung. Am simplen Beispiel Flugreisen kurz verdeutlicht:
Wenn über mögliche Begrenzungen von Flugreisen verhandelt und dies als mehr oder weniger willkürliche Eingriffe in die private Bewegungsfreiheit wahrgenommen wird, geht es tatsächlich um die Aushandlung, welche Gegenleistungen der Flugwillige denen bieten möchte, die er mit seinem Reisevorhaben zu tangieren trachtet, ob nun durch Lärm, Flächenverbrauch oder eben Klimaauswirkungen. (Siehe zum Freiheitsbegriff auch: "Freiheit ist nie vulgär".)
Eindeutiger ist die Suche nach dem "Wer" etwa bei der "Energiepreisbremse". Hier wollen nicht Christian Lindner oder Robert Habeck etwas, sondern ein Großteil der Bevölkerung. Nehmen wir also dies als Beispiel.
Von wem?
"Was" wollen diese Menschen bzw. "wir" nun? Geld. Aber "von wem"? Auch diese Frage bleibt in der Regel unbeantwortet. Denn im Bundeshaushalt oder einem Haushalt der Länder findet sich der "Anspruchsgegner" nie.
Er wird im Gesamtbudget unter der Summe aller geplanten Einnahmen inklusive Schuldenaufnahme vernebelt. Einzig "die Reichen" werden immer wieder benannt, die man über höhere Steuern, Vermögensabgabe oder Veränderungen im Erbrecht in die Pflicht nehmen könnte.
Wen ansonsten in welchem Umfang Steuern treffen, etwa über die von niemandem zu vermeidende Mehrwertsteuer, wird hingegen nicht dekliniert. Dabei müsste genau das für einen demokratischen Prozess exakt benannt werden: von wem soll in welchem Umfang das Geld stammen, das der "Wer" haben möchte?
Wofür?
Die Frage nach dem "Wofür" erscheint wieder einfacher: zur Senkung der eigenen Belastung (hier im Beispiel: durch Energiekosten). Im Detail gibt es jedoch wieder große Unterschiede, die bei der Frage nach dem "Warum" zutage treten.
Wie?
Das sechste W fragt nach dem "Wie". Wie also soll das Geld von den nicht näher bestimmten "Von Wem"-Menschen zu den Anspruchstellern ("Wer") transferiert werden? Die Antwort kann nicht einfach lauten: durch diese oder jene Steuer. Es braucht dafür wie bei jedem Vertrag einen Deal.
Demjenigen, der zur Zahlung verpflichtet werden soll, muss irgendetwas geboten werden, wenn das "Wie" - überspitzt gesprochen - kein Raub sein soll. Für die Ideen, sich das Geld bei "den Reichen" zu holen, könnte der Deal etwa lauten: "Die Empfänger eures Geldes ermöglichen euch, weiterhin euren Reichtum zu leben, was ohne sozialen Frieden nicht gewährleistet werden kann."
Bleibt die Frage nach einer Begründung für das Ansinnen: Warum will hier jemand etwas? Bei Energiekostenzuschüssen haben wir vereinfacht auf der einen Seite Anspruchsteller, die bereits am Existenzminimum leben und für die es bei hohen Energiepreisen um weit mehr als etwas Komfort geht.
Auf der anderen Seite der Skala stehen Anspruchsteller, die ihren Wohlstand gerne weniger geschmälert sehen möchten. Sie quasi gewerkschaftlich unter einen Hut zu bekommen dürfte schwierig sein, tatsächlich wird man zahlreiche VW7-Gruppen bilden müssen.
Mit der Aufnahme von Staatsschulden wird die Beantwortung der VW7-Fragen umgangen, ja regelrecht verweigert. Alles bleibt nebulös, und solange sie tatsächlich einfach in die Zukunft verschoben werden, gibt es wenig Widerspruch, im Zweifelsfall nur immer neue Forderungen von Gruppen, die auch noch etwas haben wollen.
Demokratisch höchst problematisch ist dabei eben vor allem die Verweigerung einer klaren Benennung der sogenannten Anspruchsgegner, also des ungeklärten "Von Wem". Es sind irgendwelche Menschen in der Zukunft.
Die übliche Legitimierung dieses Vorgehens brachte gerade der Kabarettist Tobias Mann gut auf den Punkt mit folgendem gespielten Dialog, der das Schlagwort von der Generationengerechtigkeit karikiert:
Vater: "Wir dürfen unseren Kindern keine Schulden hinterlassen."
Kind: "Aber Papa, hier ist ja alles kaputt"
Vater: "Schon, aber dafür ist der Haushalt ausgeglichen."
Niemand wird bestreiten, dass eine Gesellschaft funktionstüchtige Schulen braucht (wenngleich endlich auch mal über Form und Inhalt anstatt nur über Gebäude diskutiert werden müsste). Allerdings fallen Unterhaltungskosten für diese so wenig vom Himmel wie solche für Straßen, Brücken oder Schienen.
Was?
Sie gehören deutlich vor dem ersten Spatenstich zur "Was"-Frage. Das "Was" kann eben nicht nur der Schulneubau sein, es muss stets seinen Unterhalt bis hin zum irgendwann vielleicht doch nötigen Abriss beinhalten.
Offenbar haben das Politiker regelmäßig nicht eingepreist, wie auch die hohen zukünftigen Verpflichtungen etwa für Beamtenpensionen zeigen (Grafik bei Statista, kritisch dazu bspw. Prof. Jan Priewe).
Dass die Kostenlast dabei in die Zukunft gestreckt wird, ist unproblematisch, wenn es zu jedem Zeitpunkt eine Einigung bei den dann jeweiligen Akteuren zu den VW7-Fragen gibt.
Das klingt bei heutigen, schuldenfinanzierten Investitionen in Schulen wiederum zunächst gegeben (unter der Annahme, dass es auch dann, wenn die Schulden auf die ein oder andere Weise doch beseitigt werden müssen, noch diese Schulen braucht und die dann anfallenden Kosten im Verhältnis zum Nutzen stehen).
Allerdings nur, wenn man den Blick auf die Gesamtausgaben verweigert. Kein Bürger, auch kein Politiker wird jedoch behaupten können, alle staatlichen Ausgaben zu kennen, geschweige denn die für diese jeweils beantworteten VW7-Fragen.
Sollte jeder Blumenkübel in einer Fußgängerzone, jede Ausgabe für Denkmalschutz, jede vom Staat finanzierte und in freier Trägerschaft gehaltene Beratungsstelle, sollte alles, was in den staatlichen Gesamtausgaben von derzeit rund zwei Billionen Euro im Jahr enthalten ist, von denen, die es zu finanzieren haben, gewollt bzw. nicht rechtmäßig abzulehnen sein?
(Man wird nämlich auch demokratisch für vieles Zustimmungspflichten begründen können, sogenannten "Kontrahierungszwang", bei dem sich also nicht einzelne ausnehmen können, da sie über das "Wie" einen akzeptablen Deal erhalten.)