Steht der Einsatz von Uran-Munition in der Ukraine bevor?

Die britische Regierung möchte der Ukraine uranhaltige Munition liefern. Geschosse für Challenger-2-Panzer. Warum die Waffe umstritten ist.

Eine Meldung vom 21.03.2023 hat viele Menschen, und so auch mich, aufgeschreckt. Großbritannien wolle der Ukraine Uran-Munition liefern und Wladimir Putin drohe mit Reaktionen. Die britische Verteidigungsstaatssekretärin Annabel Goldie bestätigte auf eine Frage im britischen Oberhaus: Tatsächlich solle panzerbrechende Munition aus abgereichertem Uran geliefert werden. "Solche Geschosse sind sehr effektiv, um moderne Panzer und gepanzerte Fahrzeuge zu bezwingen", betonte Goldie.

In einer Meldung der Deutschen Presse-Agentur hieß es dazu, Putin habe behauptet, es handele sich um "Waffen mit einer nuklearen Komponente". Er habe hinzugefügt:

Ich möchte anmerken, dass Russland gezwungen sein wird, entsprechend zu reagieren, wenn all dies passiert.

Gesundheitsschäden durch Uranmunition?

Zu den Gesundheitsrisiken des Einsatzes von Uranmunition heißt es in der Meldung:

Uran ist ein radioaktives Metall. Wegen seiner höheren Dichte als Stahl oder Blei hat abgereichertes Uran eine höhere Durchschlagskraft. Die Geschosse wurden etwa in den Kriegen im Irak sowie in Serbien und Kosovo eingesetzt.

Nach einem Gutachten des Wissenschaftlichen Ausschusses Gesundheit und Umweltrisiken der Europäischen Kommission (Scher) von 2010 gibt es "keine Hinweise auf Umwelt- und Gesundheitsrisiken" durch abgereichertes Uran: "Die Strahlenexposition durch abgereichertes Uran ist, gemessen an der natürlich vorhandenen Strahlung, sehr gering".

Aus dem Irak gibt es aber auch Medienberichte über Missbildungen, die auf die zuvor im Krieg verwendete Munition zurückgeführt wurden.

Langfristige Gesundheits- und Umweltschäden in der Ukraine zu befürchten

In einer Presse-Mitteilung vom 22.03.2023 hat die ärztliche Friedensorganisation IPPNW darauf reagiert und erklärt, dass sie den Beschluss der britischen Regierung, panzerbrechende Uranmunition (Depleted Uranium, DU) in die Ukraine zu liefern, verurteile.

Die Ärzt:innenorganisation schätzt ein, dass durch den Einsatz von DU zusätzlich weitreichende und anhaltende Umwelt- und Gesundheitsschäden für die Menschen, die bereits unter dem Krieg leiden, entstehen und appelliert an die Bundesregierung, auf Großbritannien und die Ukraine einzuwirken, mit dem Ziel, auf die Ausfuhr von Uranmunition zu verzichten.

Weiterhin heißt es in der Presse-Mitteilung der IPPNW:

DU schädige das Leben auf zweifache Weise: Als Schwermetall ist es ein chemisches Zellgift, als Alphastrahler verursacht es radioaktive Schäden. Beide Wirkungen potenzieren sich. Der Einsatz dieser Munition führt zu toxischen und radiologischen Langzeitschäden.

Italien habe im Jahr 2009 den kausalen Zusammenhang von DU-Munition und bestimmten Krebserkrankungen anerkannt und 30 Millionen Euro als Wiedergutmachungsfonds für kranke Soldaten bereitgestellt.

Munition mit abgereichertem Uran sei in den Balkan-Kriegen, im Kosovo-Krieg und in den beiden Irakkriegen 1991 und 2003 eingesetzt worden. Es sei zu einem Anstieg der Fehlbildungen, sowie Krebs bei Kindern und Erwachsenen gekommen.

"Die Ukraine sollte nicht zulassen, dass Soldaten und Zivilbevölkerung im eigenen Land durch den Einsatz von DU-Munition langfristigen Gesundheits- und Umweltschäden ausgesetzt werden", so die IPPNW-Vorsitzende Dr. med. Angelika Claußen.

Abgereichertes Uran entsteht bei der Anreicherung von Kernbrennstoff für Atomkraftwerke und von waffenfähigem Uran für Atombomben. Weltweit nutzen Militär und Rüstungsfirmen Waffen mit Uranmunition, zum Beispiel um Panzer zu zerstören oder Bunker zu sprengen. Unter anderem besitzen die USA, Großbritannien, Frankreich, Russland, Griechenland, die Türkei, Israel, Pakistan, Saudi-Arabien und Thailand diese Waffen.

"Bei der Explosion von Uranmunition bildet sich ein Aerosol mit Partikelgrößen im Nano-Bereich. Diese Partikel gelangen durch Einatmen, durch Aufnahme mit dem Wasser oder Nahrungsmitteln, aber auch über Wunden in den menschlichen Körper.

Das Uran-Aerosol kann durch den Wind weiträumig verteilt werden. Im Blut gelöstes DU wird in wenigen Tagen über die Nieren ausgeschieden, aber im Skelett eingelagerte Uranpartikel liegen dort jahrelang und bestrahlen die umliegenden Zellen mit Alpha-Teilchen. Das verursacht Knochentumore und Leukämie.

Eingeatmete Uranpartikel werden in der Lunge abgekapselt oder in regionale Lymphknoten transportiert, wo sie dauerhaft verbleiben und Krebs erzeugen können", erklärt Claußen.

Die gesundheitlichen Schädigungen durch Uranmunition für Zivilbevölkerung, Soldaten und Umwelt seien nach Ansicht der IPPNW so gravierend, dass diese Munition international geächtet werden muss.

Aktuelle Artikelreihe zu Uranwaffen

Zur Information auf weitere Gesundheits- und Umweltschäden durch DU-Munition in den jüngsten Kriegen des Westens möchte ich auf eine dreiteilige Artikelreihe verweisen, die im Februar 2023 in Telepolis veröffentlicht wurde.1

Dort wird auch auf die Kontroversen über Gesundheitsschäden durch DU-Munition eingegangen. Denn: In vielen Medienberichten wird ja seit 2001 die These vertreten, dass es keine Hinweise auf Umwelt- und Gesundheitsrisiken durch abgereichertes Uran gebe, wie das auch die dpa wiederholt, allerdings mit dem verschämten Zusatz, im Irak gebe es Medienberichte über Missbildungen, die auf die zuvor im Krieg verwendete Munition zurückgeführt würden.

Der erste Teil dieser Artikelreihe ist ein Bericht über die verheimlichten Uranwaffen und deren Folgen und über Prof. Siegwart-Horst Günther, einen deutschen Arzt, der den Mut gehabt hat, darüber als Erster aufzuklären.

Der zweite Teil gibt eine Übersicht über die in wissenschaftlichen Studien festgestellten Gesundheitsschäden durch Verwendung von DU-Munition.

Und im dritten Teil wird über die Auseinandersetzung über das "Golfkriegs-Syndrom" berichtet, das bei vielen Tausenden von Militärangehörigen der USA und Großbritanniens diagnostiziert worden ist, die der Uranmunition auf dem Schlachtfeld ausgesetzt gewesen waren.

Anlass für diese Artikelreihe war, dass mit dem letzten militärischen Unterstützungspaket der USA für die Ukraine es Hinweise dafür gebe, dass darin möglicherweise auch uranhaltige Munition für die neuen westlichen Panzer, die demnächst auf dem ukrainischen Schlachtfeld erscheinen sollen, enthalten sei.

Das sagte der Militärexperte und Oberst a.D. der Bundeswehr, Jürgen Hübschen, der seit vielen Jahren einen informativen und kritischen sicherheitspolitischen Blog betreibt.

So sei davon auszugehen, dass bei dem US-amerikanischen Kampfpanzer M1 Abrams Geschosse aus abgereichertem Uran die gängige Munition ist. Auch der britische Kampfpanzer Challenger 2 könne Uranmunition verschießen.

Während die Möglichkeit des erneuten Einsatzes von Uranwaffen im medialen Mainstream weitgehend nüchtern behandelt wird, informierten Medien wie die Nachdenkseiten2 und das Overton-Magazin3 ausführlicher über die Folgen. Auch Telepolis ging auf die Konsequenzen ein.

Bei der Lieferung von Munition aus abgereichertem Uran handelt es sich um eine weitere gefährliche Eskalation des Krieges in der Ukraine.

Russland besitzt natürlich auch solche Munition. Ob sie im Verlauf des Krieges bereits eingesetzt wurde, ist unbekannt.4 Sicher wird aber diese Eskalation dazu führen, dass dann auch Russland in der Ukraine Uranwaffen einsetzen wird, mit dem Ergebnis, dass in diesem Land wahrscheinlich weitere Tausende von Menschen ihr Leben verlieren werden und die Ukraine immer mehr zu einem zweiten Irak wird.

Autor: Klaus-Dieter Kolenda, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin – Gastroenterologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin/Sozialmedizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik für Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems, der Atemwege, des Stoffwechsels und der Bewegungsorgane. Seit 1978 ist er als medizinischer Sachverständiger bei der Sozialgerichtsbarkeit in Schleswig-Holstein tätig. Zudem arbeitet er in der Kieler Gruppe der IPPNW e.V. (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs und für soziale Verantwortung) mit.
E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de